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Geschwindigkeit ist sein Leben. Schon als kleiner Junge konnte sich der Italiener kaum vom Motorrad trennen. Später legte er eine rasante Karriere hin.

© Erwin Scheriau/dpa

MotoGP: Valentino Rossi und das verrückteste Comeback des Jahres

Nur drei Wochen nach einem Beinbruch fuhr Valentino Rossi wieder ein Rennen. Der Italiener hat alles erreicht, kann aber nicht von seinem Motorrad lassen. Porträt eines Besessenen.

Es dauert alles ein bisschen länger und das ist ungewöhnlich für einen, dessen Leben sich seit mehr als 30 Jahren um Geschwindigkeit dreht. In einem schwarzen Auto kommt Valentino Rossi auf der Rennstrecke im spanischen Aragon an. Er hält sich an der Tür fest, drückt sich langsam aus dem Sitz nach oben. Er lächelt zwar und ruft einem weiblichen Fan zu, dass es ihm gut gehe, jede Bewegung wirkt aber mühsam. Dann greift Rossi nach einer Krücke. Er humpelt in Richtung Fahrerlager, seinen mit einem weißen Thrombosestrumpf bedeckten rechten Unterschenkel belastet er nur leicht.

Es ist der 21. September 2017. Rossi wurde 20 Tage zuvor ein Schien- und Wadenbeinbruch operativ gerichtet. Dass er überhaupt schon wieder umherhumpelt, ist erstaunlich. Dass er drei Tage später ein MotoGP-Rennen fährt und nach 42 Minuten mit nur 5,8 Sekunden Rückstand auf Weltmeister Marc Marquez Fünfter wird, ist schier unglaublich.

Es ist das verrückteste Comebacks des Jahres. Fußballer kurieren in 23 Tagen einen Muskelfaserriss aus. Ein Radprofi pausiert ungefähr so lange, bevor er nach einem Schlüsselbeinbruch erneut aufs Fahrrad steigt. Rossi fährt ein Motorradrennen. Auf einem 157 Kilo schweren und mehr als 250 PS starken Yamaha-Prototypen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 333 Stundenkilometern und enormen Fliehkräften. „In den letzten Runden war ich ziemlich fertig, aber mit dem Team und den Ärzten haben wir tolle Arbeit geleistet“, sagt Rossi danach erschöpft, aber wie üblich gut gelaunt.

Die italienische Sportpresse überschlägt sich mit Lobeshymnen. „Die Marsianer existieren. Und sie fahren sogar Motorrad. Einer von ihnen heißt Valentino Rossi“, schreibt Ivano Pasqualino bei „Sky Sport“. Rossis langjähriger Renningenieur Matteo Flamigni spricht in der „Gazzetta dello Sport“ von einer unvorstellbaren Leistung. „Ich dachte, ich hätte mittlerweile alles gesehen“, sagt Flamigni ungläubig.

Rossi hat neun Weltmeistertitel gewonnen

In seiner Karriere hat Rossi alles erreicht. „Il Dottore“, der Doktor, ist neun Mal Weltmeister geworden, hält zahlreiche Rekorde und ist der beliebteste Motorradrennfahrer der modernen Ära. Auch wenn Rossis letzter Titelgewinn schon acht Jahre zurückliegt, dominieren seine gelb-blauen Fanartikel mit der Nummer 46 noch immer das Bild auf den Tribünen. Er muss niemandem mehr etwas beweisen, Chancen auf die WM hatte er auch vor der Verletzung nicht mehr – und doch nimmt Rossi die Qualen der harten Reha und das Risiko einer Folgeverletzung in Kauf. Warum?

Mit rationalen Argumenten lässt sich das nicht erklären. Gerade Rennfahrer sind oft für ihre fast schon obsessive Hingabe zu ihrem Sport bekannt und Rossi ist selbst in dieser Kategorie noch eine Ausnahmeerscheinung. Sicher, er hätte sich in seiner Villa nahe der Adriaküste in Ruhe auskurieren können. Sein Rennstall hatte schon einen Ersatzfahrer an der Strecke. Und ob Rossi am Ende Vierter, Fünfter oder Sechster in der Gesamtwertung wird, macht keinen großen Unterschied. So tickt Valentino Rossi aber nicht. Er ist ein Wettkämpfer, ein Getriebener, und wenn er sich nicht auf der Strecke messen kann, dann versucht er, zumindest das Rennen gegen die Zeit zu gewinnen. Ein Leben ohne Geschwindigkeit und Motoren ist für den Italiener einfach nicht vorstellbar.

Schon sein Vater war Motorradprofi

Schon sein Vater Graziano fuhr in den Siebziger und Achtziger Jahren in der Motorrad-WM. Seine Mutter wollte ihren Sohn zwar vom gefährlichen Rennsport abhalten – er sollte lieber Fußball spielen –, doch vergeblich. Schon mit zwei Jahren bekam er sein erstes kleines Motorrad mit Stützrädern, „die hat er aber fast sofort abgenommen“, erzählte Graziano Rossi der Zeitung „Il Resto del Carlino“. Von da an hieß es: schneller, größer, besser. Über den Kartsport und regionale Motorrad-Meisterschaften in seiner Heimatregion, den Marken, schaffte es Rossi schnell in die WM.

Mit 17 debütierte er in der 125er- Klasse. Es folgte ein einmaliger Aufstieg. Innerhalb von sieben Jahren gewann er vier Weltmeisterschaften in vier verschiedenen Klassen. Nachdem er den Titel dreimal in Folge auf einer überlegenen Honda gewonnen hatte, wechselte er das Team und siegte auf der vorher nicht konkurrenzfähigen Yamaha einfach weiter. Rossi war zu dieser Zeit der unumstrittene König der Szene. Nicht nur sportlich, sondern auch kommerziell verhalf er der MotoGP zu neuem Ruhm.

Mit seiner gewinnenden Art, lässigen Sprüchen und dem kreativen Jubel – 1997 fuhr er die Ehrenrunde mit einer Gummipuppe als Beifahrerin auf seinem Motorrad, 2002 ließ er sich von zwei als Polizisten verkleideten Freunden einen Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens ausstellen –, wurde Rossi zu einer Weltmarke. Ihm wurden Lieder, Videospiele und Comics gewidmet. Zwischen Bozen und Palermo gibt es wohl kein Städtchen, in dem nicht mindestens ein Jugendlicher seinen Motorroller mit der Nummer 46 beklebt und nur auf dem Hinterrad durch die engen Straßen fahrend Rossi imitiert. Auch die Medien verfolgen ihn seit 21 Jahren auf Schritt und Tritt. Zwar genießt er die Öffentlichkeit meist, fühlt sich aber auf der Rennstrecke immer noch am wohlsten.

In 21 Jahren verpasste Rossi nur vier Rennen

Einer wie keiner. Valentino Rossi hat die MotoGP über Jahre dominiert und begeistert die Fans weltweit mit seiner lässigen, einnehmenden Art.
Einer wie keiner. Valentino Rossi hat die MotoGP über Jahre dominiert und begeistert die Fans weltweit mit seiner lässigen, einnehmenden Art.

©  Gaetano Piazzolla/dpa

„Ich bin glücklich mit meinem Motorrad verheiratet“, sagte er „Radio Deejay“. Wenn man sieht, wie liebevoll er seiner Yamaha M1 nach dem Rennen über das Chassis streichelt, glaubt man ihm das beinahe. Motorsport ist für Rossi nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. In seiner Freizeit fuhr er mehrmals in der Rallye-WM, machte Formel-1-Testfahrten für Ferrari und nutzt jede freie Minute, um mit seinen Geländemotorrädern in den Hügeln rund um seine Heimatstadt Tavullia zu trainieren.

Dort zog er sich Ende August auch seine schwere Beinverletzung zu. Bei einer leichten Abfahrt verlor er die Kontrolle über seine Enduro-Maschine und versuchte, sich mit dem rechten Bein abzustützen. Die Last war aber zu groß, Schien- und Wadenbein brachen. Schon am nächsten Tag wurde Rossi operiert. Ihm wurde ein Nagel ins Knochenmark eingesetzt, um das Bein zu stabilisieren. Ein Gips ist so nicht nötig, und mithilfe von Physiotherapie kann die Beweglichkeit und Kraft schneller wieder hergestellt werden.

„Die neuen Operationstechniken mit Titanelementen ermöglichen die sofortige Belastung“, erklärte der italienische Traumatologe Vincenzo Di Sanzo dem „Corriere dello Sport“. Eine mechanische Stabilität sei sofort gewährleistet, während der Knochen noch Wochen brauche, um zusammenzuwachsen. Der operierende Arzt sprach dennoch von mindestens 30 bis 40 Tagen Pause.

Das ist genau die Zeitspanne, die Rossi 2010 benötigte, um wieder fahrtüchtig zu werden. Damals hatte sich der Italiener beim Training auf der Rennstrecke in Mugello eine ähnliche Verletzung zugezogen. Umso erstaunlicher ist es, dass er nun, im Alter von 38 Jahren, noch schneller zurückkehrte. „Je früher ich wieder fahre, desto schneller komme ich danach in eine gute Form“, sagte Rossi pragmatisch. „Außerdem nervt es mich, zuhause bleiben zu müssen. Das war vielleicht die größte Motivation.“

"Ich habe Angst vor dem Karriereende"

Stillstand ist für Rossi nur schwer zu ertragen. Das verdeutlicht neben all seinen Titeln besonders ein Rekord. Seit er 1996 in der WM debütierte, fanden 369 WM-Läufe statt, Rossi nahm an 365 teil. In 21 Jahren verpasste er gerade mal vier Rennen – durch seine Beinbrüche 2010 und 2017. Wenn es irgendwie möglich ist, steigt Rossi auf sein Motorrad. In Aragon fuhr er mit einer unauffälligen, aber äußerst effektiven Modifikation an seiner Yamaha. Anstatt mit dem rechten Fuß zu bremsen, ließ er sich einen kleinen Hebel am Lenker montieren, durch den er die Bremse mit dem Daumen der linken Hand betätigen konnte und so das verletzte Bein entlastete.

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An das Karriereende will er trotz seines Alters und zweier Verletzungen in diesem Jahr nicht denken. „Wir sind Rennfahrer und müssen so trainieren. Vielleicht sollte ich ab jetzt aber auf der Playstation üben“, scherzte Rossi nach seinem Unfall. Für die im März startende Saison hat er sich dasselbe Ziel gesetzt wie in den vergangenen acht Jahren: den Gewinn des zehnten Weltmeistertitels, dem er seit 2009 nachjagt. Die Chancen sind gegen die deutlich jüngere spanische Konkurrenz zwar nicht sonderlich groß, einem Besessenen wie Rossi ist jedoch alles zuzutrauen.

Es sind aber nicht nur die Siege, Titel und Podien, die ihn antreiben. Rennsport ist sein Lebensinhalt. Zwar besitzt Rossi seit einigen Jahren ein eigenes Team, das in der Moto3-Klasse an den Start geht, ob ihn das nach dem Rücktritt aber ausfüllt, ist fraglich. „Es wird schwer, etwas anderes zu finden für die Zeit danach“, sagte Rossi dem Magazin „Speedweek“. „Ich habe Angst vor dem Karriereende.“ Und das ist selbst für einen Marsianer wie Rossi unvermeidlich.

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