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Die "Seaexplorer" ist die einzige noch vollkommen intakte Imoca-Yacht mit großen Foils im Vorderen Classement. Bei idealen Bedingungen könnte Boris Herrmann, aktuell auf dem neunten Rang, noch ein paar Plätze gutmachen.

© Jean Marie Liot

„Aus einem dunklen Loch gekrochen“: Vendée Globe – Boris Herrmann will Platz fünf erreichen

Der Weg zum Äquator wird noch einmal turbulent. Erst viel Wind, dann viel Taktik. So ungewiss war der Ausgang des Rennens noch nie.

Es hat Boxer gegeben, die trotz der Schläge, die sie im Ring einsteckten, kaum je Blessuren zeigten. Ihre Haut riss nicht so schnell, Schwellungen bildeten sich langsamer, Gentleman-Boxer kamen äußerlich immer ungeschoren davon, so dass man das Gefühl bekommen konnte, sie hätten sich gar nicht richtig angestrengt.

Auch Boris Herrmann hat das Talent, immer sehr viel besser auszusehen als das Leid es ihm erlaubt, das er durchlebt und von dem der Solosegler aufrichtig berichtet. Und in diesen Tagen sind es tatsächlich auch Schläge. Seine „Seaexplorer“ knüppelt wenige Tage nach der Rundung Kap Hoorns gegen den Wind nach Norden, die Wellen sind kurz und schnell und sie kommen von Vorne, so dass der Rumpf von ständigen Stößen erschüttert wird.

Wieder mal hat sich ein Tiefdruckgebiet in den Weg des vorderen Teilnehmerfeldes beim Vendée Globe Race gelegt. Boris Herrmann, aktuell auf dem neunten Rang liegend, muss einen unruhigen Tag überstehen, bevor er die Rückseite des Starkwindwirbels als Antriebsfeder für hohe Geschwindigkeiten nutzen kann.

Am Freitagmittag sagte er denn auch, dass er jetzt bloß keinen Schaden verursachen wolle, denn danach sei der Weg frei bis zu den Azoren – und wie geschaffen für einen fliegenden Foiler wie die „Seaexplorer“.

Am Kap Hoorn wurde Boris Herrmann durch Reparaturen zurückgeworfen, was schwer auf seine Gemütslage drückte.
Am Kap Hoorn wurde Boris Herrmann durch Reparaturen zurückgeworfen, was schwer auf seine Gemütslage drückte.

© Boris Herrmann / Seaexplorer - YCM

Es ist an der Zeit, Boden gut zu machen, der auf dem letzten Teilstück des Südozeans verloren ging, als sich der Deutsche auf seinem ansonsten intakten Schiff plötzlich mit einem defekten Generator und einem gerissenen Großsegel konfrontiert sah.

Kap Hoorn lag weniger als 500 Meilen voraus als er Probleme mit seiner Stromversorgung bekommen hatte.

Da die Hydrogeneratoren bei dem hohen Tempo der Yacht abzureißen drohten und nirgends Sonne für die Kollektoren an Deck zu sehen war, erzeugte Herrmann seinen Bordstrom mit einem kleinen Dieselgenerator. Doch der versagte plötzlich seinen Dienst. Herrmann musste die Fehlerquelle unbedingt finden, weil die Batterien höchstens einen Tag alleine durchhalten, danach funktioniert nichts mehr, weder der Autopilot, der das Schiff auf Kurs hält, noch die Trinkwasserversorgung.

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Als Herrmann die Kabelverbindung abtastete fand er eine verdächtige Stelle, doch deren Reparatur verschaffte ihm nur kurz Erleichterung. Der Generator setzte wieder aus. Schließlich gelang es dem Segler, den Apparat in Gang zu bringen. Und als er einen Tag später darüber sprach, steckte ihm der Stress noch in den Knochen. Wieder diese unheilvolle Ahnung eines jähen Endes.

Beim Reffen des Großsegels verhakte sich eine Latte im Rigg, so dass das Tuch einriss. Der Schaden war nicht groß, aber er hätte das Aus bedeuten können.
Beim Reffen des Großsegels verhakte sich eine Latte im Rigg, so dass das Tuch einriss. Der Schaden war nicht groß, aber er hätte das Aus bedeuten können.

© Boris Herrmann / Seaexplorer

Weil es am Kap Hoorn diesmal stürmte, wie es das in den alten Erzählungen der Seefahrer immer zu tun pflegt, misslang dem erfahrenen Kap Hornier Herrmann ein Manöver bei seiner immerhin fünften Passage des legendären Südzipfels und im Großsegel klaffte ein Riss. Anstatt zu feiern, dass die graue Eintönigkeit des Südmeeres nun hinter ihm liegen würde, mühte sich Herrmann mit Nadel, Faden und Klebstoff ob.

Er sei nun, sagt er am Freitag, aus einem „dunklen Loch“ gekrochen, zurück ins Licht, das mit jeder Stunde angenehmer wird, die er nach Norden segelt.

Vielen seiner Konkurrenten ist es ebenso ergangen. „Der Große Süden ist ein verlassener Ort“, berichtet Charlie Dalin rückblickend. „Es gibt nur die See, Wind und noch mehr Wind als du denkst. Der Wind ist stark, kraftvoll, denn er ist kalt. Dreißig Tage lang sah ich kein Zeichen menschlichen Lebens. Man vergisst, wie man vor dem Süden gelebt hat, genau so wie wir die Zeit vor der Pandemie vergessen.... Ich habe das Gefühl von einer Wasserwelt zurückzukehren, in der Land bloß eine Fantasie darstellte.“

Eine Maschine der Royal Air Force überflog Die "Apivia" von Charlie Dalin am 4. Januar nahe der Falkland Inseln.
Eine Maschine der Royal Air Force überflog Die "Apivia" von Charlie Dalin am 4. Januar nahe der Falkland Inseln.

© Cpl Phil Dye / RAF

Der 36-jährige Bretone hat den schwierigen Übergang in den Atlantik bislang exzellent bewältigt. Obwohl der führende Yannick Bestaven („Maitre CoQ IV“) einen Vorsprung von 400 Meilen besitzt, eilt ihm Dalin auf „Apivia“ mit der höchsten Geschwindigkeit in der Flotte hinterher und dürfte, dicht gefolgt von Thomas Ruyants „LinkedOut“, die Distanz in den kommenden Tagen erheblich verkürzen.

Wenn Bestaven derzeit auch in einer zähen Schwachwindzone auf der Höhe von Rio de Janeiro feststeckt, haben die beiden mit dem Handicap zu kämpfen, dass ihr Backbord-Foil jeweils lädiert ist, so dass sie ihn unter idealen Bedingungen nicht voll belasten können.

In diesem Moment könnte die Stunde des gebürtigen Oldenburgers Herrmann schlagen. Die „Seaexplorer“ ist das einzige Boot mit großen Foils, das im vorderen Teilnehmerfeld intakt geblieben ist. Auf dem Papier sollte es deshalb am schnellsten unterwegs sein können auf den 1000 Meilen, die durch die Passatwindzone zum Äquator führen. Bis dorthin hatte es der Vendée-Globe-Sieger von 2017 zu diesem Zeitpunkt übrigens schon geschafft.

Der Franzose Yannick Bestaven führt das Rennen jetzt länger an als jeder seiner Konkurrenten zuvor. Doch auf der Höhe von Rio hat ihn eine Schwachwindzone gestoppt.
Der Franzose Yannick Bestaven führt das Rennen jetzt länger an als jeder seiner Konkurrenten zuvor. Doch auf der Höhe von Rio hat ihn eine Schwachwindzone gestoppt.

© AFP

Dass die kostspieligen Foils mit ihrem zusätzlichen Gewicht bislang so wenig Wirkung entfalten konnten, ist enttäuschend für Herrmann, der erleben musste, wie schmal der Grat ist zwischen hohem Tempo und hohem Risiko. Hätte er die kleinen Foils im Boot belassen, mit denen ihn Yannik Bestaven und Louis Burton in raueren Bedingungen immer wieder abhängten, wäre er, so sagt er, „mit weniger Zweifeln“ gesegelt. So sei er „in eine Spirale“ geraten, in der er sich immer weniger zutraute. „Das ist eine Wechselwirkung, das Vertrauen in das Schiff geht verloren, wenn dessen Potenzial nicht voll ausgeschöpft werden kann.“

Vielleicht gehört das zu der finsteren „Höhle“ dazu, die Herrmann mit dem Süden hinter sich gelassen zu haben glaubt. Im Kopf hat er sich das Ziel gesetzt, bis auf den fünften Rang vorzufahren. Darauf richtete sich sein Ehrgeiz von Anbeginn. Und obwohl bei diesem Rennen bislang alles anders kam, als Statistiken es nahgelegt hatten, ist es vielleicht ganz gut, realistisch zu bleiben.

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