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Sport: Verlebte Emotion

Die Wiener Fanzone ist ein Vergnügungspark des Grauens. Verwaiste Hüpfburgen statt jubelnder Anhänger, billige Bumsmusik statt lebendiger Fankultur. Hier geht es einzig noch darum, viel Würstchen und Bier in die Besucher hineinzustopfen. Österreich hat die Idee der Fanmeile ruiniert

Man ist noch nicht einmal drin, da wird es auch schon unangenehm. Denn wer die Fanzone zur EM 2008 auf dem Wiener Ring zwischen Parlament und Heldenplatz betreten möchte, wird erst einmal gründlich durchsucht. Von grimmigen Stewards, die offenbar direkt aus dem Personalbestand sächsischer Großraumdiscotheken verpflichtet wurden. Auch Familien werden nach mitgebrachten Hieb- und Stichwaffen abgetastet, und wer leise Kritik wagt, dem wird beschieden, man könne sich das Spiel gerne auch anderswo anschauen.

Kann man natürlich. Aber vielleicht will man die EM doch mal dort verfolgen, wo nach Meinung der Experten das eigentliche Herz des Turniers schlägt. Nämlich in der Fanzone, jener Neuauflage der Berliner Fanmeile, die im Sommer 2006 jeden Tag Hunderttausende Fußballfans anzog, als ziemlich perfekte Simulation des Stadiongefühls, mit einer Mischung aus Großbildleinwand, Bier und Gesängen.

Doch während der EM 2008 schlägt das Herz des Turniers überall, in den Stadien, den Straßencafes, den Beisln - aber eben nicht in der Fanzone. Denn was sich in Berlin noch neu und aufregend als Mischung aus Volksfest und Stehplatztribüne inszenierte, ist in Wien nur noch dessen groteske Karikatur. Das eigene Motto „Erlebe die Emotion“ fröhlich ignorierend, ist die Fanzone eine bizarre Mixtur aus Hüpfburgen, Behelfstoiletten und Fressständen, deren Betreibern bei Strafe verboten worden sein muss, etwas anderes anzubieten als die ewig gleichen Riesenbratwürste und Pilzpfannen. Und als sei die Auswahl der Stände nicht schon deprimierend genug, wird das Areal jenseits der Spiele auch noch hochtourig mit Bumsmusik beschallt, die jeder Autoscooter-Betreiber wegen eklatanter Niveauunterschreitung abgelehnt hätte.

Nun war schon die Berliner Fanmeile beileibe keine subkulturelle Veranstaltung, auch zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule wummerte es meist aus den Boxen, es herrschte kulinarische Einfalt. Aber es war noch ein Rest zu spüren vom Bemühen, auch die Fans ohne Tickets an der WM teilhaben zu lassen. In Wien hingegen herrscht ganz offenkundig der nackte Abgreifwille, größtmöglicher Profit bei größtmöglicher Zuschauerzahl.

Was besonders deutlich wird, wenn man den „Official Store“, den offiziellen Fanshop unweit der größten Leinwand betritt, einen rechteckigen Messebau, der an Eingang und Ausgang durch Sicherheitsleute bewacht wird – was auch viel darüber aussagt, welches Publikum man ansprechen will und gleichzeitig fürchtet. In diesem Fanshop jedenfalls werden neben Bechern und Leibchen aus der offiziellen Merchandise-Palette auch die Trikots der teilnehmenden Mannschaften angeboten. Den Andrang an den Regalen als überschaubar zu bezeichnen, wäre noch euphemistisch, wenig verwunderlich angesichts der Mondpreise. Schon Kindertrikots der kleinsten Größe kosten 55 Euro.

Natürlich haben sich die Betreiber, die Uefa und die Standwirte das ganz anders vorgestellt. Sie träumten davon, alle zwei Tage das Areal wegen Überfüllung schließen zu müssen. Nur deshalb bezahlten die Wirte auch horrende Standgebühren bis zu 40 000 Euro und willigten selbst in bizarre Regelungen ein, wie jene, dass bereits um neun Uhr morgens sämtliche Gerichte servierfertig bereitet sein sollten. Es würde sich schon rechnen.

Tat es aber nicht, ganz im Gegenteil ist die Fanzone derzeit nur für wenige Fans auswärtiger Teams eine Anlaufstelle, was wenig verwundert angesichts des schäbigen Rummelplatz-Ambientes. Nur bei den österreichischen Spielen wurde bislang jene kritische Masse erreicht, die ein solch riesiges Areal wirklich beleben kann. Ansonsten verloren sich so wenige Besucher in der Zone, dass mittlerweile ein Viertel der Wirte vorzeitig die Segel strich. In den toten Winkeln der Fanzone hätte jeder weitere Tag das Minus nur erhöht. Fast ulkig, dass die Uefa dennoch unverdrossen mit FrontbegradigungsLyrik an der Legende vom Erfolg der Fanzonen festhält.

Andererseits, zu ändern ist kurzfristig eh nichts mehr. Aber interessant wäre es doch, einmal darüber zu sprechen, was Fanmeilen auch sein könnten. Nämlich ein Ort der Begegnung, der Fankultur, des Fußballs. Vor allem aber kein Ort, an dem es allein darum geht, möglichst viele Würstchen und viel Bier in die Besucher zu stopfen.

Fraglich, ob sich die Verantwortlichen zu dieser Einsicht durchdringen können. Tun sie es allerdings nicht, ist die Idee der Fanmeile schon nach zwei Turnieren wieder tot. Und das muss man auch erst einmal hinkriegen.

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