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Ein Fall für zwei. Eine vermeintliche Schwalbe des Hannoveraners Sergio Pinto erwiderte Bayerns Jerome Boateng mit einem gerechtigkeitsheuchelnden Generalangriff. Foto: dapd

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Sport: Von sich selbst verfolgt

Der FC Bayern kann die Niederlage in Hannover verkraften – doch die Konkurrenz hofft nun, dass sich die Münchner noch öfter im Weg stehen

Nach dem Spiel hat Jan Schlaudraff noch kurz in der Münchner Kabine vorbeigeschaut. Die Herren kennen und mögen sich, denn vor seinem Engagement in Hannover hat sich der Stürmer Schlaudraff auch einmal für eine Saison bei den Bayern versucht, nicht besonders erfolgreich, wie seine Bilanz von acht Spielen und null Toren belegt. Als er dann nach fünf Minuten wieder herauskam, begehrten die hannoverschen Reporter eine Kampfansage in Richtung des haushohen Meisterschaftsfavoriten. Sind die Bayern doch nicht so gut, wie seit Wochen behauptet wird? Keineswegs, sprach Jan Schlaudraff, sei seien sogar noch besser: „Die Bayern sind im Moment das Nonplusultra. Auch in Unterzahl haben sie enorm Druck gemacht. Das ist schon eine herausragende Mannschaft.“

Das entsprach ziemlich genau der Mehrheitsmeinung nach diesem dramatischen Spiel am Sonntagabend bei Hannover 96. Die Bayern hatten zwar verloren, aber weil das Ergebnis mit 1:2 denkbar knapp ausgefallen und die Münchner Mannschaft früh dezimiert worden war, deuteten es die Kommentatoren auf beiden Seiten schnell um zu einem moralischen Pari, mindestens. „Wir hatten auch in Unterzahl die klareren Torchancen als Hannover“, befand Kapitän Philipp Lahm, Trainer Jupp Heynckes war „nach dieser Niederlage zufriedener als nach manchem 5:0- oder 7:0-Sieg“, die sonst so kritische „Süddeutsche Zeitung“ rezitierte gar ein Spektakel „ohne gerechtes Ergebnis“. Und Hannovers großartiger Torhüter Ron-Robert Zieler reduzierte seinen Jubel auf ein ehrfürchtiges Dankeschön beim Bundestrainer, dass er den Münchner Torjäger Mario Gomez im Kreis der Nationalmannschaft kennenlernen durfte „und ich heute so stark gegen ihn halten konnte“.

Seltsame Zeiten sind das, in denen Niederlagen des vermeintlich turmhoch überlegenen Tabellenführers so zurückhaltende Wertung erfahren. Kann der FC Bayern sich am Ende nur selbst schlagen auf dem Weg zum fest eingeplanten Titel? Ganz so einfach ist es nun doch nicht.

Zum einen überlagerte die Erinnerung an den finalen Münchner Sturmlauf (als auch Hannover nur noch zehn Spieler auf dem Platz hatte) manche Phasen des Leerlaufs, in denen Schweinsteiger, Kroos und Ribéry wenig einfiel gegen die beiden dicht gestaffelten Hannoveraner Viererketten. Zum anderen war die frühe Dezimierung nach Jerome Boatengs Platzverweis (in dessen Folge er am Montag vom DFB für zwei Spiele gesperrt wurde) nicht Auslöser, sondern Teil des Münchner Problems.

Eine souveräne und in sich ruhende Mannschaft hat es nicht nötig, nach noch nicht einmal einer halben Stunde eine vermeintliche Schwalbe des Gegners im Niemandsland mit einem gerechtigkeitsheuchelnden Generalangriff zu erwidern. Vielleicht ist Boateng zu hart bestraft worden für seine Rempeleien gegen die niedersächsische Abordnung. Doch auch Trainer Jupp Heynckes und Mittelfeldstratege Bastian Schweinseiger gaben dem heißblütigen Kollegen eine gewisse Mitschuld: „Er hat da nichts zu suchen.“ Es war eine Warnung mit Blick auf die Zukunft. Eine Niederlage in Hannover lässt sich für die Bayern ja verkraften. Doch sollte ihnen Ähnliches in der Champions League passieren, in Mailand, Barcelona oder Manchester, könnte das schon das Münchner Aus bedeuten.

Als Boateng später am Abend Richtung Mannschaftsbus schlenderte, wirkte er mit schwarzer Mütze und breiter Brille wie ein schüchterner College-Student, der sich gerade um ein Basketballstipendium bewirbt. Auch Basketball ist längst kein friedliches, körperloses Spiel mehr, und Jerome Boateng ging am Sonntag weder schüchtern noch elegant zu Werke. Der umstrittene Platzverweis überdeckte die Mängel der von ihm und Holger Badstuber gebildeten Innenverteidigung. Hannovers Marokkano-Norweger Mohammed Abdellaoue lief den beiden mehrfach so munter davon, dass sich der Respekt der internationalen Gegnerschaft vor der Münchner Defensive ein wenig relativiert haben dürfte. Selbst der sonst so zuverlässige Philipp Lahm erlaubte sich auf der linken Seite ungewohnte Schwächen – den tollpatschig gegen Steven Cherundolo verursachen Elfmeter bezeichnete er selbstkritisch als „korrekt“. Und Torhüter Manuel Neuer irrte in der Schlussphase einmal so orientierungslos über den Platz, dass er Konstantin Rausch um ein Haar das 3:1 ermöglicht hätte.

Aus all dem folgt, dass die Bayern schon ihren Teil dazu beitragen müssen, wenn die Konkurrenz den Abstand in der Tabelle über die derzeitigen drei Punkte hinaus reduzieren will. Aber das ist mehr, als die Verfolgerschaft aus Dortmund, Gelsenkirchen oder Bremen in den vergangenen Wochen hat erhoffen dürfen.

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