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Reitsport: Weiter im Tritt

Reihenweise waren die schlechten Nachrichten zuletzt über den Pferdesport hereingebrochen – es ging um Doping und Tierquälerei, um das, was im Verborgenen passiert. Doch beim CHIO in Aachen, dem großen Reiterfest, das am Sonntag endet, zählt wieder nur, was sichtbar ist.

Es rennt und springt und rennt und springt und rennt, und als es dann nicht mehr will, als es den kommenden Sprung verweigert, den vorletzten im Parcours, da nimmt die Reiterin die Zügel in ihre linke Hand, ihre Springgerte in die rechte, sie holt aus – dann schlägt sie zu.

Es knallt im Stadion, in dem 37 000 Menschen still den Kampf des Pferdes gegen Schwerkraft und Uhr verfolgt haben.

Es knallt, und das Pferd springt, aber die Menschen pfeifen und buhen.

Springgerten sind kurz, sie haben einen gut zu packenden Griff und eine Verbreiterung am Ende, die sie aussehen lassen wie kräftige Fliegenklatschen. Es geht um das Geräusch, das sie machen, nicht um Schmerzen. Doch das Publikum pfeift. Dass Pferde geschlagen werden, das will man nicht sehen.

Wie man überhaupt vieles nicht sehen will in diesen Tagen, in Aachen beim CHIO, Abkürzung für Concours Hippique International Officiel, es ist eine der größten Veranstaltungen im Pferdessport. Man freut sich an dem, was man gewöhnt ist: an Hindernissen, die breit sind wie Ehebetten und bis einen Meter 60 hoch, und ignoriert, was neu dazukam: die Dopingkrise.

Gleich in Serie waren die schlechten Nachrichten in der jüngsten Vergangenheit über den Sport hereingebrochen, der wie kaum ein anderer für Elite steht, für Reichtum, für Snobismus auch: Disqualifizierungen bei den Olympischen Spielen in Hongkong, das Skandalinterview von Springstar Ludger Beerbaum, „erlaubt ist, was nicht gefunden wird“, und dann Isabell Werth, die Dressurkönigin, gesperrt auf unbekannte Zeit, weil ihr Pferd Psychopharmaka bekam.

Doch beim ersten großen Zusammentreffen von Reitern und Fans – kein Wort über all das. Der Sport soll sauber sein, und er soll im Mittelpunkt stehen, jedenfalls für die Dauer des Pferdefestes, so wünschen es die Veranstalter, und die Zuschauer folgen willig. Wozu alles schlechtreden?

Was richtig und falsch ist, was fehlerhaft und was nicht, im Parcours ist es leicht zu erkennen. Fallen die Stangen der Hindernisse, gibt es Strafpunkte. Gerät ein Pferd im säuberlich abgesteckten Dressurviereck aus dem Tritt – der Zuschauer merkt es. Harmonisch sollen die Ritte aussehen, damit zu bestaunen bleibt, dass so ein großes Tier im Gleichklang mit seinem Reiter die schwierigsten Übungen absolviert. Wen interessiert schon, welche Arbeit dahintersteckt. Oder welche verbotene Substanz.

Die Karten für die sonntägliche Abschlussprüfung der Dressurreiter, die große Kür, sind seit einem Jahr ausverkauft. Das Fernsehen überträgt gut 30 Stunden live aus Aachen, Stechen der Springreiter auch zur besten Sendezeit, alles wie gehabt. Vergessen die Kritik an der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, die Drohungen, die Übertragungen einzuschränken. Noch hat der Reitsport die Gunst der Zuschauer nicht verloren. Noch solidarisiert man sich.

„Schön sieht das aus, wie die das Pferd so hinbiegt“, sagt der kleine Junge, der mit seiner Mutter am Dressur-Abreitplatz steht und der deutschen Reiterin Ellen Schulten-Baumer bei der Aufwärmarbeit zusieht. Dass Isabell Werth nicht reiten darf, wird allgemein bedauert. Weil es doch immer so schön aussieht, wenn sie reitet. Die blonden Haare zum Dutt gebunden, im steifen Frack, mit glänzend polierten Stiefeln. Dass sie im Training vielleicht ein bisschen zu ehrgeizig versucht hat, ihr Pferd „hinzubiegen“, dass sie vielleicht sogar zu verbotenen Psychopharmaka gegriffen hat, um ihrem Wallach Whisper Höchstleistungen abverlangen zu können – ach ja, im großen Sport ist das wohl so.

Jens Hufen winkt ab. Sport? So könne man das alles wohl kaum noch nennen. „Der große Reitsport ist heute nur noch Geschäft“, sagt der Mann im hellen Sommeranzug und zieht am Zigarillo. Es ist früh am Dienstagmittag, die Prüfungen haben gerade erst begonnen. Das erste Mal seit 40 Jahren ist der 66-Jährige wieder zum CHIO nach Aachen gereist, seine Frau hat ihm die Tribünenkarten zum Geburtstag geschenkt.

Mit Pferden kennt er sich aus, 1960 war er Deutscher Jugendmeister der Vielseitigkeitsreiter. Doch was er knapp 50 Jahre später sieht, gefällt ihm nicht mehr. „Die Freude am Tier, dass es eben keine Maschine ist“, die sei verloren gegangen bei der Jagd nach Medaillen und Siegen, sagt Hufen. Die „Mitleidslosigkeit des Erfolgs“, so nennt er das. Es sei Geld, das den Sport kaputt mache. Den Radsport, die Formel 1 – und nun seien Doping und Betrug eben auch im Reitsport angekommen.

Und wie bei den Rädern und Motoren sind auch im Reitsport die Anforderungen an das Material, das Pferd, ständig gestiegen. Pferde und Reiter jetten durch die Welt, von Monaco nach Aachen, Amerika und Dubai. Die Saison ist lang und meistens sind Mensch und Tier gemeinsam unterwegs, im Flugzeug oder Lkw. Manche Tiere leben so nur noch zwischen Hänger, Box, Übungsplatz und Laufband. Weidegänge verbietet man ihnen. Aus lauter Angst, das kostbare Material könnte Schaden nehmen.

Hufen trinkt noch ein Schluck an der Champagnerbar, in drückender Schwüle, dann fährt er zurück nach Hause.

Die Spitzenpferde, sie gehören nicht den Reitern, die sie zu Höchstleistungen bringen. Sondern denjenigen, die hier in Aachen abgeschirmt im VIP-Bereich sitzen, und bei gekühlten Früchten die Erfolge ihrer Tiere feiern. Oft Millionäre, für die ein Pferd, bei aller Leidenschaft, auch eine Kapitalanlage ist. Ihnen, den Mäzenen, fühlen sich die Reiter verpflichtet, von ihnen hängen Karrieren ab.

Wer Erfolg haben will, braucht gute Pferde, über einen langen Zeitraum. „Es bringt einem Sicherheit, wenn man Besitzer hat, die ihre Pferde auch lange behalten wollen“, sagt der Nachwuchsspringreiter Daniel Deußer, 28, ein blonder Schlaks mit braungebrannten Armen. Er sitzt, wie die meisten der Reiter, nach seinem Ritt auf der Tribüne, alle noch in der weißen Turnierkleidung, wie Ärzte sehen sie aus, und beobachtet die Konkurrenz unten auf dem Platz.

Deußer reitet im Stall des niederländischen Olympiasiegers Jan Tops. Erst mit den teuren, den richtig guten Pferden, das weiß Deußer, kommen die internationalen Erfolge. Er ist noch neu in der Spitzengruppe der Reiter, neu unter denen, die den Sport seit Jahren dominieren. Deußer sagt, dass Springreiter sein Traumberuf ist, und dass es fast unmöglich ist, ohne Beziehungen in den Spitzensport reinzukommen.

Die anderen Reiter auf der Tribüne unterhalten sich über die Schwierigkeit der Sprünge und über die Qualität ihres Pferdematerials, das derweil von Pflegern betreut wird, den eigentlichen Bezugspersonen der Tiere. In Aachen stehen die Pferde in Tag und Nacht bewachten Ställen. Stewards des internationalen Reitverbandes FEI kontrollieren sie, manchmal unangekündigt. Tasten ihre Beine ab, lassen Bandagen entfernen. Auf den Abreitplätzen beobachten sie die Reiter, überprüfen die Zäumung. Die Reiter, sagen die Kontrolleure, seien inzwischen sensibilisiert.

Reden will aber keiner mehr, schon gar nicht Ludger Beerbaum, der das Wort Doping nicht mehr ausspricht. „Darüber“ rede er nicht, sagt er.

Dabei waren es seine Äußerungen zur Medikation im Reitsport, die vor wenigen Wochen für einen Skandal sorgten und dazu führten, dass der Deutsche Reiterverband die Kader der olympischen Reitdisziplinen auflöste, Beerbaum aus dem Nationalteam suspendierte. Ab Mitte Juli soll eine unabhängige Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes alle Reiter befragen. Nur wer sauber ist, darf zurück in den Kader.

Im Hof vor den Stallungen in Aachen trabt ein Pferd hektisch auf und ab, an der Hand eines Pflegers, der Mühe hat, mitzukommen, und vor den Augen dreier Tierärzte, die Beine und Trabrhythmus des Pferdes genau beobachten. Zwischen wichtigen Wettbewerben finden solche Verfassungsprüfungen statt, die Anzahl der Dopingproben haben die Veranstalter verdoppelt. Der Cheftierarzt des CHIO, Friedrich Wilhelm Hanbücken, sagt, der Mensch habe gegenüber dem Pferd eine besondere Verantwortung.

Die US-Amerikanerin Ashlee Bond, die mit einem waghalsig schnellen Ritt durch den Parcours am Mittwoch den „Preis von Europa“ gewinnt, sagt über ihr Pferd Cadett: „He loves what he does“, er liebt, was er tut. Doch wie gut kann sich ein Mensch hineinfühlen in ein Tier?

Jeder will in Aachen gewinnen, „everybody likes to win in Aachen“, sagt der Chef der US-amerikanischen Springreiter-Equipe George Morris. Nicht zuletzt die hohen Gewinnsummen stacheln den Ehrgeiz der Reiter an, aus den Pferden herauszuholen, was geht.

„Hochleistungssport kann man auch ohne Doping betreiben“, sagt Tierarzt Hanbücken. Doch er sagt auch, dass Behandlungen erlaubt sein sollten, weil die Hochleistungspferde eben Hochleistungssportler sind. Das fordern auch die Reiter. Es bedarf einheitlicher Regeln, die Präparate erlauben oder verbieten, die eine Grenze ziehen zwischen Medikation und Doping.

In Aachen sollen die vermehrten Dopingkontrollen eine Art Ordnung schaffen. 29 Pferde wurden im vergangenen Jahr getestet, in diesem Jahr sollen es in zehn Turniertagen 60 sein – von insgesamt rund 450 teilnehmenden Tieren. Deren Urin wird aus Aachen in ein Labor gebracht und dort auf verbotene Substanzen untersucht. Die Analyse dauert drei Wochen, das Labor liegt in Frankreich, dem Land der Tour de France.

Das geschlagene Pferd, das den vorletzten Sprung im Parcours doch noch gemacht hat, verweigerte dann den letzten. Die Reiterin schied aus.

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