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Raue See: Der führende Charlie Dalin hat Mühe, dass seine „Apivia“ nicht zertrümmert wird.

© AFP/ Loic Venance

Vendée Globe - Halbzeit auf rauer See: Wenig Schlaf und viel Sturm

Nach 12.000 Meilen haben die 27 Solosegler ihren Rhythmus gefunden. Doch das große Rennen geht an die Physis und an die Nerven.

Es ist still geworden um die Solosegler auf ihrem Weg durch den „Großen Süden“, wie die Franzosen das antarktische Meer nennen. Nicht, dass die 27 Verbliebenen gar nichts mehr von sich hören ließen, aber der Ehrgeiz, mit Fotos und Videobotschaften von den Eindrücken zu berichten und auf sich aufmerksam zu machen, hat deutlich nachgelassen. „Wenn man in dieser Phase des Rennens nichts mehr hört, ist das ein gutes Zeichen“, sagt Vendée-Globe-Veteran Mike Golding.

Der lange Atem des Südens hat das Regime übernommen. Auch Boris Herrmann, 39-jähriger Wahlhamburger, erzählt bei dem wöchentlichen Presse-Call am Freitag, dass er nun einen eigenen Rhythmus gefunden habe. Nachdem ihn in der Vorwoche die Einsamkeit bedrückt und er noch einmal intensiv gespürt hatte, wie stark sein Wohlbefinden vom sozialen Austausch abhängt, sagt er nun: „Ich finde mich mehr und mehr zurecht, mache mein Ding.“

Wie Schnee in der Sonne

Herrmann hat nach fünf Wochen beinahe die Hälfte der Strecke zurückgelegt, die ihn einmal nonstop um die Welt führt. 12.000 Meilen liegen hinter ihm. Er hofft, die wichtige Wegmarke des australischen Kap Leeuwin am Montag zu passieren und damit auch den Indischen Ozean endlich hinter sich zu lassen, der seinem schlechten Ruf wieder mal gerecht wurde. Es hat die ganze Zeit gestürmt.

Zuletzt ist am Mittwoch ein ausgeprägtes Tiefdruckgebiet über die Spitzengruppe hinweggezogen und hat sie schwer gebeutelt. Der führende Charlie Dalin veröffentlichte ein kurzes Video, indem man den Wind schrill pfeifen hört, die Gischt wird waagerecht weggerissen, und der 36-jährige Franzose hatte Mühe, seine „Apivia“ mit dem mehrfach verkleinerten Großsegel so langsam fahren zu lassen, dass die raue See sie nicht zertrümmert.

Danach wartete gleich die nächste Geduldsprobe. Während seine Verfolger auf der Rückseite des Sturmtiefs allmählich die Bedingungen finden, die sie für ihre Aufholjagd benötigen, steckt Dalin in einer Flaute fest. Sein komfortabler Vorsprung von 200 Meilen hat sich binnen 36 Stunden mehr als halbiert. Die Prognosen deuten zwar darauf hin, dass er nicht überholt werden dürfte, doch ist es nervenaufreibend, einen Vorteil so hilflos schmelzen zu sehen.

Die Einsamkeit des Langstreckenseglers. Boris Herrmann am 33. Tag seiner Reise.

© Boris Herrmann / Seaexplorer YCM

Zu denen, die Dalin bedrängen, gehört auch Boris Herrmann. Er hat sich auf Rang acht gut positioniert, um seine „Seaexplorer“ in dem anhaltend kräftigen Südwest-Wind auf maximale Geschwindigkeit zu bringen. Endlich könnten die großen Foils zum Tragen kommen, die bislang wegen des unruhigen Seegangs eher hinderlich waren. „Das hatten wir uns anders vorgestellt“, gibt ein von den chaotischen Bedingungen spürbar genervter Herrmann zu.

Theoretisch sollten die „fliegenden“ Yachten in der langen Dünung des Südozeans ihr größtes Potenzial entfalten. Und alle Tests hatten darauf hingewiesen, dass sie zehn Prozent mehr Leistung bringen könnten. Allerdings waren diese bei Wellenhöhen von fünf bis sechs Metern durchgeführt worden, wie sie im Nordatlantik üblich sind. Nun aber sehen sich die Teilnehmer mit Wellen von acht Metern Höhe und mehr konfrontiert, zudem durcheinander laufende Kreuzseen, die die 18-Meter-Racer mit der Nase hart aufschlagen lassen.

Da kommt es eher darauf an, das Tempo zu drosseln, um die filigrane Struktur nicht zu überlasten. Man sei eben, sagt ein Experte, mit Formel-1-Fahrzeugen querfeldein unterwegs.

"Alles hängt am Schlaf"

So kommt es, dass Dalin fünf Tage hinter dem Rekord zurückliegt, den Armel Le Cléac'h 2017 aufstellte. Und ganz vorne hält noch immer eine Gruppe älterer Yachten mit, die keine Foils besitzen. Trotz der auch für sie widrigen Umstände müssen Jean Le Cam („Yes We Cam!“), Benjamin Dutroux („OMIA“) und Damien Seguin („Groupe Apicil“) ihr Tempo nicht künstlich reduzieren in der Befürchtung, dass eines ihrer Schwerter kaputtgehen könnte.

Herrmann muss das ständig tun. Die Sturmfront wetterte er ab, indem er seine Tragflächen-Foils soweit ins Boot zurückzog wie möglich, damit sie nicht beschädigt wurden. Mit jeder Bö, die die „Seaexplorer“ auf 30 Knoten und mehr beschleunigen lässt, springen auch die Alarmsignale an, die vor zu viel Druck in den Foils, im Rigg und weiteren Teilen warnen.

Das ewige Ringen um die passende Konfiguration hat Herrmann ausgelaugt. Er sei „extrem erschöpft“, sagt er. „Alles hängt am Schlaf.“ Davon hat er zuletzt sehr wenig bekommen.

Fabrice Amadeo hat das Rennen aufgegeben, nachdem er keine Daten mehr empfangen konnte. Er hätteauf die alte Art und "blind" weitersegeln können. Das war ihm zu gefährlich.

© Fabrice Amadeo / Newrest

Die Situation wird ihm dadurch erschwert, dass er die für diese wechselhaften Bedingungen wichtige mittelgroße Genua nicht einsetzen kann. Sie ist mit einem Reißverschluss am Vorstag befestigt, der sich zu lösen droht. Da sie fest installiert ist, allenfalls eingerollt werden kann, muss Herrmann ruhige Momente abwarten, die ihm eine etwas kniffelige Reparatur ermöglichen. Bis dahin hat er entweder zu wenig Segelfläche oder zu viel zur Verfügung, was sein Fortkommen einschränkt.

Sein direkter Konkurrent Yannick Bestaven ist derweil enteilt. Aber was heißt das schon bei diesem engen Rennen? Bestaven an 3. Position und Herrmann, der aktuell auf Rang 8 liegt, trennen nicht mehr als 130 Meilen. Die sind schnell überbrückt, wie ein Blick auf die Schadensliste der Konkurrenz zeigt. So musste Fabrice Amadeo das Rennen am Freitag mit Computerproblemen aufgeben. Und Manuel Cousin repariert einen Riss im Ruderblatt.

Der Bart ist ab

Da kann sich der Deutsche, auch wenn es ihm schwerfällt, bestätigt sehen in seiner vorsichtigen Methode. Unter den ersten zehn Booten gibt es nur noch vier, die sehr viel schneller segeln können, als es bislang möglich war. Zu ihnen zählt die „Seaexplorer“, die sich mit Bestavens „Maitre Coq“, Louis Burtons „Bureau Vallée“ sowie der „MACSF“ von Isabelle Joschke um einen Podiumsplatz streiten könnte.

Im Moment liegt die in München geborene Deutsch-Französin noch 50 Meilen hinter der Spitzengruppe. Doch seit einer Woche holt die zierliche 43-jährige mit den rotblonden Locken und dem strengen Blick beständig auf.

Wie schnell eine solche Distanz überwunden werden kann, erfährt Charlie Dalin zur Zeit. Immerhin nutzt er die Pause, die ihm das Windloch auferlegt hat, um sich seinen Sturmbart abzurasieren. Die „Narben“, die ihm der Orkan nach eigener Auskunft zugefügt haben soll, sind nicht zu sehen.

Isabelle Joschke kam schwer ins Rennen. Nun jagt die 43-jährige Deutsch-Französin der Spitzengruppe hinterher und ist nach dem Ausscheiden von Sam Davies die Frau mit den besten Aussichten auf einen Podiumsplatz.

© Isabelle Joschke / MASCF

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