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Neue Macht. Radamel Falcao schoss Kolumbien zur WM nach Brasilien und auf Platz Nummer vier der Weltrangliste.

© dpa

Wie ergibt sich die Weltrangliste?: Das kann man sich ausrechnen

Warum wird die Fußball-Nationalmannschaft der Schweiz bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien gesetzt und Italien nicht? Ein kleiner Exkurs in die Tiefen der Fußball-Weltrangliste.

Am Montag in London hat Joachim Löw mal wieder laut gestaunt. Er macht das häufiger in der letzten Zeit, und meist geht es dann um die Befindlichkeiten aus Dortmund und München und warum er auf diese denn bitteschön nicht mehr Rücksicht nehme. Diesmal aber ging in der Hauptsache um Mathematik und die daraus abgeleiteten neuesten Notationen im Weltfußball. „Bei der Weltrangliste wundert mich manchmal, wer da weit vorne auftaucht“, sprach Löw. „Warum ist die Schweiz vor Italien? Das kann ich nicht immer nachvollziehen.“

So ähnlich geht es vielen beim Studium des frisch veröffentlichten Zahlenwerks. Spanien, Deutschland und Argentinien auf dem Treppchen – schön und gut. Aber was haben direkt dahinter Kolumbien und Belgien zu suchen? Wieso sind Brasilien und Portugal nicht unter den Top ten? Und warum wird die Schweiz bei der WM in Brasilien gesetzt und Italien nicht?

Das ist der eigentliche Punkt. Jahrelang galt das 1993 eingeführte Ranking des Weltverbandes Fifa als verkopfte Zahlenspielerei, ersonnen von fachfremden Technokraten, die irgendwie ihre gut bezahlten Jobs rechtfertigen mussten. Dann aber beschloss die Exekutives des Weltverbandes, die Weltrangliste zum alleinigen Kriterium für die Setzliste der WM im kommenden Sommer in Brasilien zu machen. Und plötzlich ist die Aufregung groß. In klassischen Fußball-Nationen wie Italien, England oder den Niederlanden, weil sie bei der Auslosung am 6. Dezember in Costa do Sauípe auf keinen Fall den Status eines von acht Gruppenköpfen erhalten werden. Die Franzosen erwogen sogar einen offiziellen Protest bei der Fifa, weil sie nicht mal für die europäischen Play-offs der acht besten Gruppenzweiten gesetzt wurden. Und selbst der gänzlich unbeteiligte, weil mit seiner Mannschaft als Weltranglistenzweiter sicher gesetzte Joachim Löw mag das neue Procedere nicht als angemessene Grundlage akzeptieren.

Warum ist die Schweiz vor Italien?

1138 Punkte haben die Schweizer und damit zwei mehr als die Italiener. Das ist ein kleiner und feiner und auf den ersten Blick in der Tat schwer nachvollziehbarer Unterschied. Zwar haben sich die Schweizer wie Italien für Brasilien 2014 als Gruppensieger qualifiziert. Aber bei der letzten Europameisterschaft war Italien immerhin Zweiter und die Schweiz gar nicht dabei. Bei der WM 2010 hatten beide die erste Runde nicht überstanden und bei der EM 2008… Stopp, hier wird es schon unwesentlich. Für die Weltrangliste werden ausschließlich die Ergebnisse der vergangenen vier Jahre herangezogen, alle anderen verfallen. Was die genaue Formel zur Ermittlung des Tableaus betrifft, ließe sich damit problemlos ein mathematisches Grundseminar bestreiten. Sie lautet: M multipliziert mit I und T und C, wobei M für das Spielergebnis steht, I für die Wichtigkeit des Spiels, T für die Stärke des Gegners und C für den Mittelwert aus den Stärken der beteiligten Kontinentalverbände. Dazu gibt es ein paar Sonderregelungen. Vereinfacht lässt sich sagen: Je kürzer ein Spiel zurückliegt und je höherwertig der entsprechende Wettbewerb war, desto mehr Punkte gibt es. Am wichtigsten sind WM-Spiele und am unwichtigsten die im Zeichen der Freundschaft stehenden.

Das ist, wie immer, wenn Fußball mit Mathematik erklärt werden soll, keine wirklich zufrieden stellende Lösung. Vor allem, wenn es um Mannschaften aus verschiedenen Konföderationen geht. Die Weltrangliste vergleicht Mannschaften, die nicht im Wettbewerb miteinander stehen. Dazu können die afrikanischen Mannschafte beim Afrika-Cup alle zwei Jahre Punkte sammeln, die Europäer bei der EM nur alle vier Jahre. Die Südamerikaner hatten bei ihrer gerade beendeten WM-Qualifikation 16 Spiele, die Europäer nur zehn (die wütenden Franzosen gar nur acht). Und Brasilien konnte als automatisch qualifizierter WM-Gastgeber gar keines der punktträchtigen Ausscheidungsspiele bestreiten.

Die Konflikte über die Konföderationen hinaus sind überschaubar. Die bestplatzierte afrikanische Mannschaft ist die Elfenbeinküste auf Rang 17, trotz der vielen Afrika-Cups. Die Südamerikaner haben zwar die meisten Spiele, aber auch die schwersten. Da gibt es keine Liechtensteins, Andorras oder San Marinos. Die zuweilen schwächelnden Bolivianer fordern die Großen in der dünnen Höhenluft von La Paz, der aktuelle Rundenletzte Paraguay stand 2010 in Südafrika noch im Viertelfinale (und unterlag höchst unglücklich 0:1 gegen den späteren Weltmeister Spanien). Wer von den Arrivierten die Kolumbianer nach deren sensationeller Qualifikationsrunde belächelt, wird sich noch glücklich schätzen, ihnen und vor allem ihrem Torjäger Radamel Falcao bei der WM-Vorrunde aus dem Weg zu gehen. Belgien hat die Qualifikation ohne Niederlage überstanden und bietet die jüngste und aufregendste Mannschaft seit Enzo Scifos Zeiten auf. Und die Brasilianer sind als Ausrichter automatisch gesetzt. Der Heimvorteil ist eine angemessene Kompensation für den Rückfall in der Weltrangliste.

Was wäre die Alternative zur mathematisch definierten Setzliste?

Was wäre die Alternative zur mathematisch definierten Setzliste? Die weichen Faktoren, wie sie der frühere Bundestrainer Jürgen Klinsmann einfordert? Unter den gesetzten Mannschaften „erwartet man Mannschaften, die sich wirklich schon bei Weltmeisterschaften bewiesen haben“, sagt Klinsmann. „Jetzt sieht man dort Teams, die noch gar nichts bei einer früheren WM geleistet haben.“

Wie aber definieren sich diese früheren Verdienste?

Die US-Amerikaner, für die deren Coach Klinsmann spricht, sind zwar seit 1990 bei jeder WM dabei, aber große Taten sind auch bei intensivster Recherche im Archiv nicht aufzuspüren. Frankreich und England definieren sich immer noch als Weltmächte, haben aber seit 2006 kein internationales Viertelfinale mehr überstanden. Und die Niederländer leiden immer noch schwer (und nicht nur in der Weltrangliste) am EM-Debakel mit drei Vorrunden-Niederlagen in der Ukraine.

Was nun die eingangs von Joachim Löw gestellte Frage betrifft, warum die Schweiz gesetzt wird und Italien nicht: Das lässt sich mathematisch nach der Logik der Weltrangliste ableiten. 2010 in Südafrika überstanden zwar beide die Vorrunde nicht, aber die Schweizer holten immerhin ein Unentschieden und einen Sieg (gegen Spanien), während die Italiener nur auf zwei Unentschieden kamen (bei der Konkurrenz von Paraguay, Neuseeland und der Slowakei, was auf dem Boulevard nicht als Hammergruppe durchgeht).

Bei der EM 2012 wurden die Italiener zwar Zweiter, holten aber nur zweimal die maximale Punktzahl für Siege in der regulären Spielzeit. Und doch hatten sie es bis zum 15. Oktober in den eignen Füßen. An diesem letzten für die Weltrangliste relevanten Spieltag trudelten die Italiener von Platz vier auf acht und damit aus der Setzliste. Nach einem 2:2 in Neapel gegen ... Armenien!

Selbst schuld.

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