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Das Morumbi-Stadion in Sao Paulo. Hier bestritt Brasiliens Nationalmannschaft ihr letztes Testspiel gegen Serbien.

© AFP

Willmanns Kolumne aus Sao Paulo: Holen wir uns endlich den Fußball zurück!

Unser Kolumnist Frank Willmann ist immer noch in Sao Paulo unterwegs. Ein bisschen hat er sich inzwischen auch beruhigt und sogar wieder ein kleines bisschen Hoffnung, was die WM und die Zukunft des Fußballs angeht.

Vielleicht legte ich in meiner letzten Kolumne zu sehr das Ohr an die brutalen Seiten Sao Paulos. Am Stadtrand habe ich ein paar lebendige Vögel gesehen. Die japanische Gemeinde, es leben ca. eine Million Japaner in Sao Paulo, macht tollen Sushi. Ok, ich mag keine Sushi. Trotzdem, die Japaner sind sehr freundlich! Am späten Freitagabend trafen wir in einer Samba-Bar auf tanzfreudige Brasilianerinnen. Der Caipirinha, das Fleisch glücklicher Rinder. Hab ich was vergessen? Die Brasilianer können gut singen. Bevor es in die Samba-Bar ging, besuchten wir das letzte Vorbereitungsspiel der Brasilianer gegen Serbien. Im Morumbi-Stadion des FC Sao Paulo.

Ausschließlich Sitzplätze. Eine riesige, nicht überdachte Schüssel. Die Spieler des FC Sao Paulo werden Bambi genannt. Bambi bedeutet Schwuchtel. Das Stadion liegt in einem noblen Viertel der Stadt. Nobel heißt gleichzeitig weiße Hautfarbe. Es gibt keinen Rassismus in Brasilien. Menschen mit dunkler Hautfarbe haben drei Möglichkeiten, reich und berühmt zu werden. Sie sind entweder Fußballer, Musiker oder Verbrecher. Der FC Sao Paulo setzte erst sehr spät schwarze Spieler in seiner Mannschaft ein. Jeder möchte sein Stück vom Kuchen. Bevor das Spiel im berühmten Nichtraucherstadion (Zitat Uli Hannemann) hin und her zu wogen beginnt, erlaube ich mir einen Blick ins sehr gut gefüllte Rund.

Eine Karte kostet durchschnittlich um die 40 Euro. Eine Verkäuferin verdient etwa 250 Euro, ein Militärpolizist 600 Euro. Verkäuferinnen sind nicht so viele im Stadion. Polizisten sind in und um das Stadion präsent. Das Stadion wird gefüllt vom weißen Mittelstand. Mein Sitznachbar, der brasilianische Schriftsteller Marcelo Backes, sagt, echte Fußballfans seien heute hier nicht anzutreffen. Hinter uns sitzen viele Frauen: Neymar, Neymar, Neymar! Wo ist denn der Ball? Wohin läuft Neymar? Was pfeift der? Warum schießt Neymar kein Tor? Das ist aber langweilig! Neymar, Neymar, Neymar!

Während des Spiels werden stolz die Einnahmen verkündet

In der Stadt streiken noch immer diverse Berufsgruppen, die Stimmung im Land ist eindeutig gegen die WM, gegen die Fifa und gegen Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff. Sie ist so etwas Ähnliches wie Sozialistin und saß in der Zeit der Militärdiktatur im Knast. Das Spiel schaut sie nicht mit uns, womöglich sieht sie es im Fernsehen. Bevor es losgeht, brüllen die 67.000 Zuschauer im Sambatakt: Dilma voi tomar no cu! He Dilma, leck dich doch selbst am Arsch! Während des Spiels werden, wie in Brasilien üblich, stolz die Einnahmen verkündet. 8,7 Millionen Real. 2,7 Millionen Euro.

Neymar ist der kleine Gott Brasiliens. Ihn lieben alle. Tritt er gegen den Ball, steigt das Stimmungsbarometer. Oiiiiii, oiiiii, oiiiii raunt die Masse und klatscht in die Hände. Hin und her wogende, leicht gekleidete, kostümierte Folklorehäschen sind nicht zu sehen. Kommt wahrscheinlich erst zu WM, irgendwas in der Art muss man ja im deutschen Fernsehen zeigen. Zuckerhut, nackte Ärsche und Bier.

Neymar ist der kleine Gott Brasiliens. Ihn lieben alle

Das Spiel kommt nicht so richtig in Gang. Die Brasilianer haben wahrscheinlich Angst vor Verletzung, die Serben sind eh nur zum Feiern hier. Der gemeine Stadionbesucher wird schnell zickig. Er hat vom Fußball keine Ahnung. Er ist hier, um den neuen Weltmeister zu sehen, der gefälligst weltmeisterlich zu spielen hat. Tore her – und zwar zackig. Zur Halbzeit ein Pfeifkonzert. Pfeifen und maulen können sie gut. Die eigene Mannschaft Anfeuern ist für Mädchen. In der zweiten Halbzeit fällt dann doch ein Tor für Brasilien. Die Serben verhalten sich wie gute Gäste, es bleibt bei dem einen Tor. Das Volk murrt verhalten, die Wolken ziehen. Neymar ist noch immer ihr Gott, auch wenn sein Spiel alles andere als elysisch ist. Nach dem Abpfiff reiht sich unser Bus ins allabendliche Verkehrschaos ein. Nur drei Stunden, dann sind wir endlich in der avisierten Samba-Bar. Fleisch, Alkohol, Frauen. Der Neuköllner Dichter Uli Hannemann traut sich nicht, das Tanzbein zu schwingen. Er ist wohl der Ansicht, in Sachen Eleganz seien wir der brasilianischen Bevölkerung haushoch unterlegen. Ich tanze trotzdem mit den fülligen Frauen.

Am nächsten Tag wird auf dem Gelände des Goetheinstituts ein temporärer Bolzplatz für alle eröffnet. Die Currywurst bei Goethe ist legendär, wir nuckeln ein bisschen am Bier und gehen früh zu Bett. Anderntags spielt die geliebte deutsche Autorennationalmannschaft gegen Brasiliens dichtende Balltreter. Das Spiel geht 0:0 aus, wir fliegen zurück in den deutschen Sommer. Fast wären wir auf dem Flughafen Blatters Josef begegnet. Am Dienstag tagte die Fifa in Sao Paulo. Ene, mene, muh und raus bist du. Kuhhändler Blatter steht für ein System der Bestechlichkeit und des Mauschelns. Die Welt ist das, was wir daraus machen. Wann holen wir uns endlich den Fußball aus denn gierigen Klauen der Zocker zurück? In Europa regt sich Widerstand, einige Verbände gehen auf Distanz zu Sepp und Co. Sogar aus dem Lager des DFB erklingen Widerworte. Und sehr, sehr langsam, aber stetig, geht auch der einstigen Lichtgestalt Beckenbauer die Lampe aus. Lobbyistendämmerung. Es raunt im Gebüsch, es grummelt und schnattert. Schaun mer mal.

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