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Ob das Erinnerungsdepot dieses Union-Fans für den Winter bereits mit genügend Livespielen gefüllt ist?

© dpa

Willmanns Kolumne: Legt Erinnerungsdepots mit Livespielen an!

Der 1. FC Union Berlin gegen 1860 München, oder auch: Die kleinen Berliner gegen die kleinen Münchner. Unser Kolumnist Frank Willmann war dabei, um sein Erinnerungsdepot für die Winterpause mit Livespielen zu füllen - und sorgt sich um das Weihnachtssingen.

Uns Fußballnarren droht Infernalisches. Ein Vogel hat es mir gezwitschert. In den nächsten Tagen überrennen uns die sogenannten Wintersportarten. Geschöpfe, gewandet in garstige Strumpfhosen, die auf unfairen Brettchen mit & ohne Gewehr die Natur zerstören. Es bleiben nur noch wenige Wochen bis zur selbstmordbegünstigenden Winterpause. Die vorauseilende Verlustangst sitzt tief, deshalb besuche ich auch hohlwangige Spiele wie das zwischen dem 1. FC Union Berlin und dem TSV 1860 München. Warum fragt ihr mich? Ich stahl es Bär und Maulwurf. Ich lege selbstverständlich Livespielerinnerungsdepots an.

Was ist am Samstag An der Alten Försterei passiert? 1860 München hat Union ordentlich versohlt, meine Fresse. 1860 sind die kleinen Münchner, die Guten, sozusagen. Die störrischen, zickigen, die Giesinger, benannt nach einem Münchner Stadtteil. Dort steht auch ihr Sehnsuchtsort, das heilige Stadion an der Grünwalder Straße. Sechzig müsste ja eigentlich mit Union, die wiederum die kleinen Berliner sind, perfekt in einen Sack passen. Mein Freund Uli lümmelte mit mir im blauen Löwenkäfig, also dem Auswärtsfanblock. Neben uns drei Münchner Brüder. Zwei Sechziger, einer davon - ich mag es kaum aussprechen, war Bayernfan. Er war der Zweitälteste, quasi der missratene Bruder von sechsen. Traditionell wird der Zweitälteste zum FCB geschickt. Vor hundert Jahren hätte man ihn in einem blutrünstigen Ritual der Großen Bajuwarisch geopfert. Ja, die Sitten sind rau, tief im Süden.

Trotzdem, oder gerade deshalb, hat sich vor einiger Zeit ein reicher Jordanier nach München verlaufen. Der Hasan. Die Legende geht um, er hätte gehört, er könne sich für zwanzig schlappe Riesen den FC Bayern leisten. Als er merkte, er bekam stattdessen die Sechziger serviert, war es schon zu spät. Die Tinte war sozusagen bereits trocken unter dem Vertrag. Anfangs traf man ihn hin und wieder im Stadion an. Doch seit es fußballerisch abwärts geht, kam er nicht mehr nach München, um sich von seinen neuen Freunden des Weißbiers und der Weißwurst knuddeln zu lassen. Indes dich der eine knuddelt, zieht dir der andere das Geld aus der Tasche. Das kommt davon, wenn man rot nicht von blau unterscheiden kann. Jedenfalls meint Uli, die coolen Typen in seiner urbayerischen Schule wären immer für 1860 gewesen. Obwohl das auf dem Land war. Und auf dem Land eigentlich nur plattnasige Rote (FCB Rote, 1860 Blaue) hausen. Die Jungs mit den Löchern im Geldbeutel gegen die drallen Geldsäcke.

Der Auswärtsfanblock ist sehr gut gefüllt, nichtsdestoweniger ist die Fanszene der Sechziger seit Jahrzehnten uneins. Hier die Traditionalisten, die lieber sofort Insolvenz gehen und in die Bayernliga absteigen würden. Dort die Erfolgsfans, denen Typen wie Wildschwein Wildmoser oder Hasan der Jordanier die rechten Bazi`s (Bazi – liebevoll für Gauner) sind. Es gibt 1860-Fans, die besuchen seit dreißig Jahren nur noch Auswärtsspiele. Sie betraten in ihrem ganzen Fanleben weder das verhasste Münchner Olympiastadion, noch die protzige Dingsbumsarena, benachbart der Autobahn.

Großes Fahnenwedeln im Block. Die zwei arbeitsamen 1860-Vorsänger sahen mir verdächtig nach Hipster aus. Bartalarm! Hipsterforscher Uli meinte aber, es wären keine Hundertprozentigen. Ihnen fehlten wichtige Hipsteraccessoires wie Riesenbrillen, dünne Beinchen und Truckermützen. Ja die Folklore beim Fußball, ich lerne die Bezeichnung Oaschloch ist durchaus liebevoll gemeint. Wer hot`s Dürl g´schossa? War es am Ende der Wolpertinger? Nein, der Herr Adlung hatte Union aufs Korn genommen. „Wir sind diejenigen, die alle Bayernfans hassen“  und „Wir sind die Blauen, die alle Roten hauen“, sangen die Sechziger. Mir tat der arme Uniondüwel leid, der es wieder abbekam.

Uli meint, der 1860-Wappenlöwe sei über den Umweg Braunschweig ins Sechzigwappen gekommen. Es wird kompliziert. Jo mei, hat denn etwa Heinrich der Löwe beide Clubs gegründet? Dinokuttenfan Uwe gibt zu bedenken, es könne vielleicht an Peugeot liegen. Der Franzos? Über solchen ethnologischen Diskursen schossen die Blauen ein Tor nach dem anderen. Beseelt sangen sie, ihr Himmel wäre weißblau, und nicht blauweiß. Schinkenmythologisch betrachtet, würde das bereits in der Bayernhymne klar erklärt, meint Uli der Besserbayer. Kruzitürken, schoss es mir siedend heiß durch den Kopf.

Was wird nun aus dem Weihnachtssingen des 1.FC Union? Ist es gefährdet?  Fällt es dem Düwelstreit zum Opfer? Oder wird Trainer Düwel bereits dem Nikolaus geopfert? Schwere Tage in Köpenick. Am 15. November solidarisierte sich der 1. FC Union Berlin auf seiner Website mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus Treptow-Köpenick und unterstützte die Mahnwache „Solidarität mit Flüchtlingen statt Ausgrenzung!“. Diese grundsolide Aktion führt kurz nach ihrer Veröffentlichung auf Facebook zu einem sogenannten Scheißesturm. Etliche Unionfans publizierten ihren Zorn über das Bravourstück ihres Clubs. Die wollen nur unser schönes Sozialsystem kapern, Politik gehöre nicht ins Stadion usw. Wahnsinn, wow. Das sind genau die Geister, vor denen sich schwule Fußballer verstecken müssen. Mein Vorschlag zur Güte: Verlegt das nächste Weihnachtssingen in die Köpenicker Alfred-Randt-Straße 19. Dann strahlt dort das Wohncontainerdorf für Flüchtlinge im weihnachtlichen Glanz. Bigbrotherfeeling meets Bürgerkriegstrauma.

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