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Tradition aus dem Kölner Süden.

© Marco Bertram

Willmanns Kolumne: SC Fortuna, du Schönheit der Südstadt

Der Wurstbrater am Vereinsheim der Kölner Fortuna steht auf experimentelle Küche. Seine Kunden genießen die Wurst nicht mit gewöhnlichem Senf oder Ketchup. Bei ihm muss es schon Tsatsiki oder Thunfischdipp sein. Unser Kolumnist hat einen Ausflug in den Westen gemacht.

Die rheinische Sonne brennt heiß auf unsere Quadratschädel. Das Volksgetränk Kölsch steht auf den Holztischen, einer singt "Woran ich immer denke? Fortuna und Getränke!"  Das Vereinsheim ist eine feine Holzbaude, ringsherum Fortunen und Fortuninnen jeder Altersklasse. Fortuna ist quasi so was wie das Real Madrid von Köln-Süd, werde ich aufgeklärt. Realitäten negieren steht hoch im Trend. Hauptfeind ist der böse Herr Wenze. Der kommt natürgemäß von der falschen Rheinseite und hat sich den lokalen Konkurrenten gekauft. Die Kölner Viktoria, bei den Fortunen oft und gern als Ficktoria verhöhnt. Wenze soll außerdem im Bergischen Land wohnen. Falsche Rheinseite, Bergisches Land, Geld wie Heu? Damit ist man in den Augen vieler echter Kölner schlichtweg verantwortlich für das Böse in der Welt. Und schlimmer als Leverkusen. Wenzes Viktoria lümmelt, trotz fetter Zuwendungen, auch in dieser Saison  hinter der Fortuna in der Tabelle der Regionalliga West. Die Fortunen stehen auf Platz eins. Daran sollte sich auch an diesem Wochenende nichts ändern, als der Gegner Rot-Weiss Essen hieß.

RWE ist einer von diesen leicht moderig duftenden Ruhrgebietsdinos, die immer mit einem Bein im Grab stehen und trotzdem bzw. gerade deshalb, die Herzen des kleinen Mannes hoch schlagen lassen. Ungefähr zweitausend Zuschauer hatten sich im Kölner Südstadion versammelt. Darunter zweihundert schlecht gelaunte Essener, mit einem Bein im Grab. Das zweite zuckte noch ein wenig, das reichte zu einem Tor. Da Köln aber ein Tor mehr erzielte, jubelte anlässlich des Abpfiffs nur der Kölner Anhang. Die erste Halbzeit verbrachte ich beim Fanclub SC Mülltonn auf der Gegengerade. Leider hatte ihr Trommler seine Spezialausrüstung, eine Mülltonne mit eingebauter Trommel, vergessen. Mülltonn ist eine kleine, aber feine Gruppierung progressiver Fußballfreunde. Die neben der zweiten größeren Fanfraktion, den  Eagles, im Stadion Stimmung macht. Die Eagles sind etwas in die Jahre gekommene Dickbäuche mit teils armenisch-italienischen Wurzeln. Sie nehmen für sich in Anspruch, Anfang der 80er die Ultrakultur nach Deutschland geholt zu haben.

Ein besonders beeindruckender Eagle war ein herrlich gegeltes, bauchiges Männchen mit übergroßer Mafiasonnenbrille, welches kurz nach Anpfiff zum Megafon griff und etwas wie Tsatsiki schnatterte. Vielleicht meinte er auch Zickezacke? War das der Brückenschlag zur Bratwurst mit Tsatsiki? Die Kölner Mundart klingt für Berliner Lauschorgane bisweilen putzig. Am Sonntag auch zugegen eine Busladung solariumverfärbter, sportlich gebauter holländischer Molche aus Sittard nebst Brabanter Buben aus Genk. Pupillen wie Klodeckel, direkt vonner Party. Freunde der dicken Eagleskämpen.

Rut-wiess statt Schwarz-Gelb. Der frühere Klubpatron Schäng Löring hat in den Siebzigern die Vereinsfarben geändert.
Rut-wiess statt Schwarz-Gelb. Der frühere Klubpatron Schäng Löring hat in den Siebzigern die Vereinsfarben geändert.

© Marco Bertram

Für etliche Fortunafans scheint ihr Klub der klassische Zweitverein zu sein. Zum großen FC Köln pflegt man ein freundschaftliches Verhältnis, viele FC-Fans gehen auch zu Fortuna. Alle Kölner mögen die Fortuna, aber kaum ein Kölner geht ins Stadion. Der Schnitt liegt bei 1000 Zuschauern. Machtansprüche würde man gern hegen, wartet aber noch auf den Irren, der 100 Millionen auf den Tisch legt. Der Lokalheilige ist der Schäng (auf deutsch: Jean Löring). Der einstige Klubchef. Welcher gewissermaßen sein Leben für Fortuna geopfert hat. Seine Heldentaten füllen ganze Lexika. Besonders legendär: Einmal soll im Südstadion das Flutlicht ausgefallen sein. Als der Schäng dies erkannte, packte er zwei Starkstromkabel. Er presste sie zusammen, das ganze Spiel über. Inklusive Nachspielzeit. Und sorgte so für Strom. In der Vorgebirgstrasse soll sein Harem gestanden haben, man spricht von 1001 „Patenkindern“. 

Bei Fortuna gibt’s alles, was es auch woanders gibt. Die Hauptdrogen heißen Kiff, UN, Kaffee und Bieer. Bier mit zwei e. Früher hat Fortuna in Schwarzgelb gespielt. Bis der Schäng in den den 70ern kam und gesagt hat "Köln ist rut wiess."

Der SC Mülltonn trifft sich vor und nach den Spielen der Fortuna am Mäuerchen in Spuckweite des Stadions. Die bunte Truppe trinkt dort friedlich Kölsch weg. In der Woche geht die Crew arbeiten, diskutieren (kapitale Probleme des Anarchosyndikalismus), studieren oder musizieren. Es herrscht eine hohe Musikantendichte. Annemie sorgt für Ordnung und räumt Müll und Leergut weg. Die ältere Dame ist das innig geliebte Maskottchen des Mäuerchen. Ihr Motto lautet Was sein muss, muss sein.

Fortuna ist sportlich top, das Geld kommt zum großen Teil vom Präsi, einem Fortuna-Verrückten, der seine Groschen mit Internet gemacht hat.

In der Halbzeit wechsle ich auf die Tribüne. Dort sitzt mein alter Kumpel Dietmar, ein RWE-Fan im Kölner Exil. Dietmars anfangs typisch griesgrämige RWE-Mine hellt sich, als er mir berichtet, am Eingang des Stadions seine alten Ruhrpottassis beiderlei Geschlecht getroffen zu haben. "Schöner Kontrast zum netten Fortunenvolk", sagt er und hat endlich etwas zu lachen. "Kunz, du bist ne Funz", singt die Altherrentribüne. Dann ist das Spiel aus. Am Mäuerchen hat Anemie derweil Ordnung geschaffen. Mülltonn singt "SC Fortuna, du Schönheit der Südstadt". Plötzlich hastet der Trupp Holländer oder Belgier vorbei in Richtung Gästeausgang. Nach fünf Minuten kommen sie bekümmert zurück, begleitet von Polizisten. Ein Kasten Kölsch schwebt ein. Die Sonne scheint. Fortuna ist weiter im Aufstiegsrennen. Im Fußballhimmel öffnet der Schäng sein erstes Bieer.

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