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Auf der Suche nach seiner Form: Roger Federer.

© dpa/Peter Klaunzer

Wimbledon 2016: Für Federer eine Saison zum Vergessen

Heute ist Turnierstart in Wimbledon. Aber der verletzungsgeplagte Roger Federer ist noch nicht in Form.

Roger Federer liebt Emojis. Jeder Tweet des 34-Jährigen ist gespickt mit den bunten Ideogrammen, mittlerweile hat der Schweizer sogar einen eigenen Emoji mit seinem Konterfei. So lüftete Federer im Frühjahr quasi pantomimisch das Geheimnis, wie er sich den Meniskus im Knie gerissen hatte. Die putzige Geschichte ließ allerdings viel Raum für Spekulationen, so ausgetüftelt ist die Zeichensprache dann doch nicht. Aber wirklich lustig war die Anekdote auch nicht. „Eine blöde Bewegung und das war’s“, sagte Federer nun in Wimbledon, „ich war enttäuscht und traurig, in meiner Karriere war bis dahin noch nie eine Operation nötig.“

Seit 1999 hatte Federer bei keinem Grand Slam mehr gefehlt

Besagter Eingriff wurde ein tiefer Einschnitt in seine Saison, die schwierigste, die er je hatte. Und obwohl die Regeneration im Februar zügig verlief, erkrankte Federer beim Masters in Miami und verletzte sich danach in Madrid am Rücken. Die French Open musste er notgedrungen absagen, auch das fiel ihm schwer. Seit 1999 hatte Federer bei keinem Grand Slam mehr gefehlt, „man hat sich irgendwie dran gewöhnt, dass ich immer dabei bin. Das ging mir auch so“. Einen Tag lang sei er traurig gewesen nach der Absage, aber dann wusste er, es war die einzig richtige Entscheidung. „Klar, oft habe ich das Gefühl, ich sollte mich durchwürgen“, sagte Federer, „das mache ich ja auch häufig. Ich muss aber gut abschätzen, wie viel Risiko ich dabei eingehe." Und riskieren wollte Federer dieses Mal nichts. Nicht, wenn es um sein Wimbledon geht.

Okay scheint auch in Wimbledon längst nicht alles zu sein

Nun hat Federer wieder ein neues Emoji, aufgedruckt auf die T-Shirts, mit denen er im All England Club trainiert. Eine gezeichnete Hand formt dabei das „Ok“-Zeichen, das Loch in der Mitte ist als ein gräserner Tennisball ausgefüllt. Doch okay scheint auch in Wimbledon längst nicht alles zu sein. Federer wirkt nachdenklich hinter den alten Clubmauern an der Londoner Church Road. Jenem Ort, der lange Zeit ihm gehört hatte. Wo er sieben Mal den goldenen Challenge Cup in Händen halten durfte. Auf jenem Rasen, den er wie nur wenige Spieler vor ihm beherrscht hatte. Doch dieses Mal scheint Federer den gewohnten Halt auf seinem Lieblingsuntergrund noch nicht zu spüren, eine leichte Unsicherheit der mühsamen, letzten Monate ist geblieben.

„Ich habe in dieser Saison so wenig gespielt wie noch nie in meiner Laufbahn“, räumt Federer ein, „der Rost ist immer noch da, gegen den muss ich ankämpfen. Ich spüre ihn in meinem Körper, meinen Schlägen und ein bisschen im Kopf drin.“

In Stuttgart hatte der Weltranglistendritte seine ersten Gehversuche auf Rasen unternommen, und das war nicht leicht bei dem Dauer-Unwetter. „Da musste ich mich ganz vorsichtig bewegen", sagte Federer. Im Halbfinale schied er schließlich gegen den späteren Turniersieger Dominic Thiem aus, in Halle beendete in der Woche drauf der deutsche Youngster Alexander Zverev ebenfalls im Halbfinale Federers Hoffnung auf den neunten Titel in Ostwestfalen. Sieben Matches in zehn Tagen hatte Federer durchgehalten, das hätte das positive Fazit für den Schweizer sein können im Hinblick auf Wimbledon.

„Ich hätte beide Niederlagen vermeiden können“

Doch so tickt Federer nicht. Er war ärgerlich, als er Halle verließ. „Ich hätte beide Niederlagen vermeiden können“, betonte er. Für ihn hing so viel an diesem Titelgewinn. „Das wäre ein Meilenstein für mich gewesen, mein erster Titel der Saison“, sagte Federer, „es wäre wie 2003 bei meinem ersten Sieg gewesen.“ Damals hatte in Halle sein grandioser Lauf begonnen, sein erster Triumph in Wimbledon folgte direkt, danach noch 16 weitere Major-Trophäen. Deshalb sagte Federer: „Ich hätte den Titel für mein Selbstvertrauen gebraucht. Um zu wissen, dass mein Spiel in die richtige Richtung geht. Das wäre Gold wert gewesen.“

Stattdessen sucht Federer auch in Wimbledon weiter nach Antworten, nach dem Vertrauen in sein Spiel. Mit nur 22 Matches fehlt ihm die Matchpraxis, die Sicherheit. Im Training suchte Federer immer wieder das Gespräch mit seinen Trainern Ivan Ljubicic und Severin Lüthi. Er wirkt verhalten, längst nicht so locker wie sonst in Wimbledon. Obwohl er sagt, das Vertrauen in seinen Körper sei besser geworden. „Mit diesem Rücken habe ich 88 Titel gewonnen – ich kann mit diesem Rücken leben“, sagte er.

Er denkt in kleinen Schritten, auch das ist ungewohnt für den Ausnahmespieler

Dennoch hat Federer seine Erwartungen beim wichtigsten Turnier der Saison erstmals heruntergeschraubt. Seit er 2012 im Finale gegen Andy Murray zum bisher letzten Mal den Titel gewann, hatte Federer noch 2014 und 2015 das Endspiel erreicht und war jeweils Novak Djokovic unterlegen gewesen. In diesem Jahr würde er bereits im Halbfinale auf den Weltranglistenersten aus Serbien treffen. Doch so weit mag Federer gar nicht denken. Zu viel Ungewissheit spielt noch mit, „und wenn man sich nicht hundertprozentig fühlt, hat man gegen die Topspieler ohnehin keine Chance“, ist sich Federer sicher. Er denkt in kleinen Schritten, auch das ist ungewohnt für den Ausnahmespieler. In der ersten Runde trifft er am Montag auf den Argentinier Guido Pella.

Eigentlich wäre dieses Auftaktlos ein Selbstläufer für Federer, aber von selbst geht momentan eben wenig. „Wichtig ist für mich, dass ich durch die erste Woche komme“, sagt er und scheint sich an diese Hoffnung förmlich zu klammern. Bis dahin könnte er sich ins Turnier reingespielt und die beste Form gefunden haben, die ihm nach dieser bisher so verkorksten Saison möglich ist. Die zweite Turnierwoche als Minimalziel in Wimbledon – es zeigt, wie sehr Federer bei der Frage nach seiner Form noch im Dunkeln tappt.

Allerdings gibt es auch kaum einen anderen Spieler, der auf Rasen schneller sein Level anheben kann. Er braucht nur Erfolgserlebnisse. Wimbledon könnte in den nächsten zwei Wochen die Wende bringen, wieder zu seiner Wohlfühloase werden – dann hätte Federer auch gleich ein perfektes Motiv für ein neues Emoji.

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