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Den Frontspoiler trug man damals so. Ronaldo, mit fescher Frisur, im WM-Finale von Yokohama 2002, in dem er das deutsche Team quasi allein schlug. Thomas Linke (Mitte) versucht die Fassung zu wahren.

© dpa

WM 2014 "Brasiliens Ballfieber", Folge 5: Die Ära des Phänomens Ronaldo

Bei den Fußball-Weltmeisterschaften 1994 in den USA sowie 2002 in Japan und Südkorea holt Brasilien zwei WM-Titel – die Stürmerlegende Ronaldo ist beide Male dabei.

Als das Werk vollbracht und der Titel nach 24 ewig langen Jahren endlich wieder in brasilianischem Besitz ist, fassen sich die Helden von Pasadena an den Händen. Gerade haben sie in der Rose Bowl Italien im Elfmeterschießen besiegt, aber in diesem Augenblick des Triumphes geht es ihnen nicht um Fußball. Sie tanzen und lachen und singen und halten ein Plakat in die Kameras, es ist Ayrton Senna gewidmet. Dem Formel-1-Piloten, der ein paar Wochen vor dieser WM in den USA sein Leben auf der Rennstrecke gelassen hat. „Ayrton war auch auf dem Weg zu seinem vierten WM-Titel“, sagt der brasilianische Torwart Claudio Taffarel. „Er hat Brasilien so viel gegeben. Jetzt sitzt er im Himmel und schaut uns zu.“

Senna ist der überirdische Held von Pasadena, der ganz gewöhnliche heißt Romario. Der Stürmer vom FC Barcelona schießt in jedem Spiel ein Tor, mal abgesehen vom Achtelfinale gegen die USA, da liefert er nur die Vorarbeit zum siegbringenden 1:0 von Bebeto.

Vor allem Dank Romarios Spielkunst ist Brasilien ein würdiger Weltmeister. Daran ändert auch das eher unwürdige Endspiel nichts, es ist geprägt vom destruktiven Ansinnen der Italiener, sich mit allen Mitteln irgendwie ins Elfmeterschießen zu retten. Das gelingt ihnen, aber dann versagen beim ersten Schuss Franco Baresi die Nerven und Roberto Baggio beim letzten. Weil auf brasilianischer Seite nur Marcio Santos scheitert, findet das Endspiel einen gerechten Sieger.

1994 steht O Fenômeno noch im Schatten von Romario

Zum brasilianischen Aufgebot gehört auch ein 17-jähriger Stürmer von Cruzeiro Belo Horizonte. Er heißt Ronaldo Luís Nazário de Lima. Später wird man ihn nur noch Ronaldo nennen oder O Fenômeno, das Phänomen, aber in den USA steht er doch sehr deutlich im Schatten von Romario. Ronaldos Nettospielzeit in den sieben WM-Spielen beträgt exakt null Minuten.

Zur nächsten WM nach Frankreich reist er schon als Hauptperson. Mit vier Toren in sechs Spielen trägt Ronaldo maßgeblich dazu bei, dass die Seleçao wieder ins Finale einzieht, wenn auch mit einiger Mühe, etwa beim 3:2 im Viertelfinale über Dänemark und dem Halbfinalsieg im Elfmeterschießen gegen die Niederlande. Im Endspiel gegen Frankreich aber geht nichts mehr. Das heißt: Eigentlich geht schon vor dem Endspiel nichts mehr. Es ist immer noch nicht ganz geklärt, was sich in diesen Stunden abgespielt hat.

Ob Ronaldo einen epileptischen Anfall erleidet oder einen Herzstillstand oder einen Kreislaufkollaps in Folge einer überdosierten Medikation für sein verletztes Knie. Jedenfalls kippt er um und liegt zuckend und mit Schaum vor dem Mund auf dem Bett. „Ronaldo stirbt!“, ruft der Verteidiger Roberto Carlos und irrt wie von Sinnen durch das Mannschaftshotel.

Trotzdem läuft Ronaldo im Endspiel auf, angeblich auf Druck des Sponsors Nike, aber dafür findet auch später ein Untersuchungsausschuss des brasilianischen Parlaments keinen Beweis. Mit dem Totalausfall Ronaldo verlieren die Brasilianer 0:3, so hoch wie keine andere Mannschaft in der Geschichte der WM-Finals.

Da hat´s zweiten Mal gescheppert: Ronaldo zelebriert sein Tor zum Endstand.
Da hat´s zweiten Mal gescheppert: Ronaldo zelebriert sein Tor zum Endstand.

© AFP

Ronaldos Geschichte fasziniert die Brasilianer so sehr, weil sie immer wieder neue Wendungen nimmt. Vor der WM 2002 in Fernost steht er nach diversen Verletzungen schon vor dem frühen Karriereende – und spielt ein großartiges Turnier. In sieben Spielen schießt er acht Tore, darunter die beiden zum 2:0 im Finale gegen Deutschlands überragenden Torhüter Oliver Kahn. Es ist das beste Spiel der bis dahin eher schwachen Deutschen und das schwächste der Brasilianer. Aber die haben eben Ronaldo.

Übergewichtig, nicht austrainiert - Und trotzdem vor Gerd Müller

2006 in Deutschland will er es noch einmal wissen, aber seine Zeit ist vorbei. Ronaldo wirkt übergewichtig und nicht austrainiert, es reicht immerhin noch zu zwei Toren in der Vorrunde gegen Japan und einem im Achtelfinale gegen Ghana. Damit baut er seine WM-Bilanz auf 15 Tore aus und schiebt sich in der ewigen Torschützenliste vorbei an Gerd Müller auf Platz eins. In der Runde der letzten Acht aber gibt es ein 0:1 gegen Frankreich, das Tor des Abends schießt ein anderer Altstar auf seiner Abschiedstournee: Zinedine Zidane, Ronaldos Klubkollege von Real Madrid.

Die Brasilianer wähnen ihre lustlose und überalterte Mannschaft auf einem Tiefpunkt. Da ahnen sie noch nichts von 2010, von der WM in Südafrika, vom Viertelfinale in Port Elizabeth gegen die Niederländer. Man spricht in der Rückbetrachtung von „einer Schande für den brasilianischen Fußball“. Gemeint ist ein übler Tritt von Felipe Melo gegen den am Boden liegenden Arjen Robben.

Felipe Melo fliegt vom Platz und Brasilien mit 1:2 aus dem Turnier. Noch während im Mannschaftshotel tränenreich der Abschied von Trainer Carlos Dunga begangen wird, sammeln sich draußen die Fans. Mitgebracht haben sie ihre Vuvuzelas, die südafrikanischen Trompeten, sie klingen wie Trompeten aus der Hölle und bereiten der Mannschaft eine schlaflose Nacht.

Und doch dürften die Vuvuzelas nur eine lauschige Nachtmusik gewesen sein im Vergleich zu dem, was die Brasilianer erwarten würde, sollten sie sich in ein paar Wochen vorzeitig von der WM daheim verabschieden.

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