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Saubermann auf Abwegen. Schiedsrichter Moreno wird während des WM-Spiels Südkorea – Italien 2002 von den Italienern bedrängt, nachdem er Francesco Totti Gelb gezeigt hat.

© AFP

WM 2014: Schiedsrichter Byron Moreno, der deprimierte Stier

In seiner Heimat Ecuador nannten sie Byron Moreno stolz "el Jucticiero", den Gerechtigkeitsliebenden. Doch dann kam das WM-Spiel zwischen Südkorea und Italien 2002. Ein Blick auf die schräge Karriere des Skandalschiedsrichters.

Es ist eine dieser 50/50-Entscheidungen. Ein leichter Kontakt zwischen Francesco Totti und Chong-Gug Song, der Italiener sinkt im Strafraum zu Boden und ein Pfiff ertönt. Aber Schiedsrichter Byron Moreno gibt nicht den fälligen Elfmeter, er sprintet zu Totti und zeigt ihm die Gelbe Karte. Die Mitspieler lamentieren, Totti rauft sich ungläubig die Haare, aber es hilft nichts, es ist seine zweite Gelbe Karte und er muss vom Platz. Später im Spiel wird Andrea Tommasi das reguläre Golden Goal aberkannt, auf der Gegenseite ist Ahn Jung-Hwan zur Stelle und entscheidet das WM-Achtelfinale zugunsten des Gastgebers Südkorea. Italien ist raus und Byron Moreno, der Saubermann, der in seiner Heimat bereits als 18-Jähriger auf Profiniveau Spiele pfiff und den sie stolz „El Jucticiero“, den Gerechtigkeitsliebenden nennen, ist plötzlich Mittelpunkt von Spekulationen.

„Skandalös“, „eine Schande“, „schmutzig“, sind die noch moderatesten Umschreibungen der Presse für Morenos Spielleitung in jenem WM-Spiel 2002. Fast schon poetisch poltert „La Stampa“: „Die vorgefasste Meinung von Schiedsrichter Moreno mit diesem Gesicht eines deprimierten Stiers ist abscheulich.“ Italiens Nationalcoach Giovanni Trapattoni, prinzipiell ein italienischer Gentleman alter Schule, schlägt wutentbrannt auf das Plexiglas seiner Trainerbank ein und nennt Morenos Vorstellung später „kriminell“. Im sizilianischen Santa Teresa Riva benennt die Gemeinde die neuen Pissoirs an der Strandpromenade nach dem ecuadorianischen Schiedsrichter. „Mein Gewissen ist rein“, beteuert der und heizt die Spekulationen um ein verschobenes Spiel mit dem Kauf eines neuen Sportwagens zusätzlich an. Selbst Fifa-Präsident Joseph Blatter fühlt sich zu einer Stellungnahme genötigt und beteuert mit Blick auf Morenos Leistung, fortan werden nur noch die besten Schiedsrichter bei einer WM pfeifen.

An Moreno perlt der Aufruhr ab. In Italien mag er der meistgehasste Mensch der Welt sein, in der Heimat aber, in der er jahrelang als Vorbild galt, hart zwar – in einer Saison kommt er auf durchschnittlich 1,08 Platzverweise pro Spiel –, aber immer gerecht, geht er seiner Schiedsrichter-Arbeit alsbald wieder nach. Und macht sich dabei erneut verdächtig. Nur 85 Tage nach dem Ausscheiden der Italiener pfeift Moreno das Spiel Liga Deportiva Universitaria Quito gegen Barcelona Guayaquil in der ecuadorianischen Liga. Beim Stande von 2:3 soll sechs Minuten nachgespielt werden, Moreno macht daraus 13 Minuten. Erst als Quito das Spiel noch in ein 4:3 gedreht hat, ist Schluss. Zusätzlichen Nährboden finden die Gerüchte um eine erneute Verschiebung neben der überlangen Spielzeit in der Tatsache, dass Moreno just für das Stadtparlament in Quito kandidiert, ironischerweise mit dem Slogan „Rote Karte der Korruption“.

Die Zollbeamten finden sechs Kilogramm Heroin in seiner Unterhose

Die Bevölkerung Quitos dankt dem Referee den Sieg allerdings nicht, vielmehr sorgt das skandalöse Spiel für Ausschreitungen. Auch in der Heimat bekommt der Ruf nun Kratzer, der ecuadorianische Verband spricht eine 20 Spiele währende Sperre für Moreno aus. Als die Fifa Wind von dem überlangen Spiel bekommt, leitet sie eine Untersuchung ein, als deren Ergebnis Moreno nicht mehr international pfeifen darf. Währenddessen läuft die nationale Sperre ab, Moreno pfeift wieder und verweist in nur einem Spiel drei Spieler eines Vereins des Feldes. Erneut brandet Kritik auf, diesmal reicht es auch Moreno: Er tritt zurück.

In den Schlagzeilen aber bleibt er auch nach Karriereende. Im ecuadorianischen TV ist er ein gern und oft gesehener Gast, für Fußballsendungen beurteilt und kommentiert er Schiedsrichterleistungen. Im September 2010 dann aber der Tiefpunkt: Am New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen wird ein sichtlich nervöser Moreno von den Zollbeamten festgehalten und untersucht. Die Fahnder finden sechs Kilogramm Heroin in seiner Unterhose, in Amerika wird er zu zweieinhalb Jahren Knast verurteilt. Italiens Keeper Buffon tritt nach, als er davon erfährt: „Sechs Kilo Drogen? Die hatte er 2002 auch schon. Aber nicht in der Unterhose, sondern im Blutkreislauf.“„Eine Dummheit“, sagt sein Anwalt, mit der Moreno angehäufte Schulden habe begleichen wollen und für die er jetzt bezahlen werde.

Im Gefängnis ist Moreno indes beliebt. Er bügelt die Wäsche der anderen Insassen, richtet Fußballspiele aus und organisiert sogar einen Ligabetrieb für die Häftlinge. Nach nur 26 Monaten wird er wegen guter Führung entlassen und kehrt nach Ecuador zurück. Seither ist es still geworden um den ehemaligen Saubermann, Skandalschiri und Drogenkurier. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass das nie lange so bleibt.

Stephan Reich

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