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WM-Halbfinale 1954: Das Wunder vor dem Wunder

Beim 6:1 im WM-Halbfinale 1954 gegen Österreich wird die Elf geboren, die später Unsterblichkeit erreicht.

Heute jährt sich zum hundertsten Mal das erste Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. In unserer Serie haben wir jeden Tag an die zehn besten Spiele der DFB-Elf erinnert. Die ganze Serie mit Diskussionsforum finden Sie unter www.tagesspiegel.de/sport. Heute unser Platz eins: das Halbfinale bei der WM 1954 in der Schweiz gegen Österreich.

Um den Ruf des deutschen Fußballs in der Welt ist es traditionell nicht zum Besten bestellt. Man achtet ihn wegen seiner Erfolge, das ja; aber geliebt wird er schon deshalb nicht, weil die Deutschen im Zweifel immer die Kraft der Kunst vorgezogen haben. Dass sie auch ganz anders können, zeigen sie im WM-Halbfinale 1954 in der Schweiz gegen Österreich: Mit filigranem Spiel verzaubern die vermeintlichen Kampfmaschinen das Publikum – die sogenannte Wiener Schule als Vertreterin des ästhetisch anspruchsvollen Fußballs findet ihren Lehrmeister. „Es war ein Sieg des modernen Fußballs“, schreibt „Sport Zürich“ nach dem 6:1-Erfolg der Deutschen, die durch dieses „Wunder von Basel“ zum ersten Mal das Endspiel einer Weltmeisterschaft erreichen. Ein Wunder ist der Erfolg der bundesdeutschen Mannschaft nicht, eher das Resultat eines berauschenden Spiels, aber in der Tat gehört auch Glück dazu. „Alles hat die Nerven verloren hinten“, jammert Heribert Meisel, der Reporter vom Österreichischen Rundfunk, nach dem vierten Treffer der Deutschen. Diese Einschätzung trifft vor allem auf Torhüter Walter Zeman zu, der anstelle von Kurt Schmied dabei ist. Österreichs Nummer eins hat sich beim 7:5-Sieg im Viertelfinale gegen die Schweiz einen Sonnenstich geholt. Zeman, sein Ersatz, gilt zwar als einer der stärksten Torhüter Europas, im Spiel gegen die Deutschen erwischt er den vielleicht schlechtesten Tag seiner Karriere.

Sein Gegenstück auf deutscher Seite ist an diesem Tag Fritz Walter. Der sensible Spielmacher leistet – als Schütze oder Vorbereiter – zu fünf der sechs Tore gegen Österreich seinen Beitrag. Und mit ihm schwingt sich die Mannschaft zu einer nicht für möglich gehaltenen Leistung auf.

Zum ersten Mal während des Turniers treten die Deutschen in exakt derselben Besetzung an, mit der sie vier Tage später in Bern das Finale gegen Ungarn bestreiten werden. Bundestrainer Sepp Herberger hat sein Team gefunden: „Die Zuschauer haben gelacht und gejohlt, wie sicher, trickreich, witzig, einfallsreich die Deutschen ihren Rivalen deklassierten, spieltechnisch, nicht kämpferisch“, schreibt der „Kicker“ nach dem Halbfinale. „Deutschland ist Fußball-Weltmacht. Mag das Finale ausgehen, wie es will.“

Dass die Deutschen im Endspiel auch die unbesiegbaren Ungarn besiegen werden, kann sich zu diesem Zeitpunkt niemand richtig vorstellen. Das 3:2 (nach 0:2-Rückstand) geht als das noch viel größere Wunder in die Fußballgeschichte ein; vor allem aber gilt es als erster Triumph der deutschen Tugenden, als Urszene des deutschen Kampffußballs.

30. Juni 1954, WM-Halbfinale in Basel, Deutschland – Österreich 6:1 (1:0). Zuschauer: 56 000. Tore: 1:0 Schäfer (33.), 2:0 Morlock (47.), 2:1 Probst (52.), 3:1 Fritz Walter (57., Foulelfmeter), 4:1 Ottmar Walter (61.), 5:1 Fritz Walter (65., Foulelfmeter), 6:1 Ottmar Walter (87.).

Morgen: das beste Spiel der DDR.

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