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Sport: Zauber des Anfangs

Die Deutschen und die Eröffnungsspiele

Berlin - Das menschliche Gedächtnis ist ein seltsamer Geselle. Bei Fußballern lässt sich das gelegentlich beobachten. Manchmal können sie sich an die wichtigsten Momente ihrer Karriere nicht mehr erinnern; dafür bleiben ihnen vermeintliche Belanglosigkeiten auf immer im Gedächtnis haften. Michael Skibbe hat jetzt in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ über die WM 2002 und das erste Spiel der deutschen Mannschaft geschrieben. Skibbe, damals Kotrainer von Rudi Völler, kann sich noch heute an die ersten Zweikämpfe des Spiels gegen Saudi-Arabien erinnern, vor allem an ein Tackling von Thomas Linke gegen einen gegnerischen Stürmer. „Beim Spiel gegen die Saudis in Sapporo hat die Mannschaft mit Anpfiff begonnen zu fliegen“, schreibt Skibbe. Ihr Flug endete dann überraschenderweise erst im Finale von Yokohama.

Schon Tage vor ihrem WM-Auftakt hatten sich die deutschen Fußballer 2002 in eine Art Wahn geredet: Wir müssen dieses Spiel gewinnen. Wir brauchen einen guten Start. Torhüter Oliver Kahn hat damals gesagt: „Das erste Spiel ist das wichtigste überhaupt.“ Vermutlich war das nie so zutreffend wie vor vier Jahren, als das 8:0 gegen einen eher drittklassigen Gegner aus einer zagenden deutschen Mannschaft ein Team formte, das fortan nicht nur an sich selbst glaubte, sondern auch dem Rest der Welt wieder ein bisschen Angst einflößte.

Es zählt gewissermaßen zum deutschen Volksgut, dass das Auftaktspiel einer WM vorentscheidend ist für das weitere Abschneiden der Nationalmannschaft. Umso erstaunlicher ist es, dass die aktuellen Nationalspieler den alten Mythos in den vergangenen Tagen überhaupt nicht bemüht haben. Kein Wort vom Wert eines Sieges gegen Costa Rica, kein flehentliches Herbeibitten eines Erfolges. „Ich schlafe sehr gut“, sagt Stürmer Miroslav Klose. Man kann das durchaus als positives Zeichen werten: Die Mannschaft ist trotz ihres jugendlichen Alters in sich gefestigt. „Wir haben uns gut vorbereitet“, sagt Kotrainer Joachim Löw. „Das gibt uns das Gefühl der Stärke.“ Dieses Gefühl hatte die Mannschaft 2002, der vermeintliche Vorrundenausscheider, zu Beginn des Turniers noch nicht.

Die WM-Geschichte lehrt, dass sich die Deutschen wegen ihres Auftaktspiels keine allzu großen Sorgen machen müssen. Zwar spielten sie nicht immer berauschend, aber nur einmal, 1982, haben sie ihr erstes WM-Spiel (1:2 gegen Algerien) verloren. Ins Finale holperten sie anschließend trotzdem. Die DFB-Teams gewannen insgesamt zehnmal zum Auftakt, dreimal spielten sie unentschieden. Und auch die DDR war bei ihrem einzigen ersten Mal erfolgreich. 1974 startete sie mit einem 2:0 gegen Australien in das Turnier in der Bundesrepublik.

Zum dritten Mal bestreitet die deutsche Mannschaft das Eröffnungsspiel einer WM. 1978 und 1994 wurde ihr als Weltmeister diese Ehre zuteil, diesmal darf sie als Gastgeber den Anfang machen. Bundestrainer Jürgen Klinsmann stand 1994 in Chicago gegen Bolivien als Spieler auf dem Feld und erzielte nach einer Stunde das einzige Tor des Spiels. „Ich hatte das Glück, dass der Torwart mit seinem Abwehrspieler zusammengeprallt ist und ich mit dem Ball ins Tor spazieren konnte“, erinnert sich Klinsmann. Heute gegen Costa Rica werden vermutlich vier Spieler dabei sein, die schon 2002 gegen Saudi-Arabien in der Anfangself standen: Torsten Frings, Christoph Metzelder, Bernd Schneider, der damals sein einziges Länderspieltor erzielte, und Miroslav Klose, der dreimal traf.

„Wir haben einen Glauben in uns, etwas Positives reißen zu können“, sagt Klinsmann. Immer wenn die Deutschen Weltmeister wurden, sind sie mit einem Sieg in die WM gestartet: 1954 gegen die Türkei (4:1), 1974 gegen Chile (1:0) und 1990 gegen Jugoslawien (4:1). Vor allem dieses 4:1 gilt als Mutter aller Auftaktspiele. „Wir haben gleich am Anfang unser bestes Turnierspiel hingelegt“, sagt Rudi Völler, der damals das vierte Tor erzielte. „Wir haben Selbstvertrauen getankt und Ruhe ins Umfeld reinbekommen.“ So ähnlich stellen sich die Deutschen das auch heute wieder vor, auch wenn Klinsmann sagt, dass das Spiel „alles andere als ein Selbstläufer“ wird. Wie auch immer es ausgeht, eins müssen die Deutschen auf jeden Fall verhindern, wenn sie ihr Ziel erreichen wollen: eine Niederlage. Noch nie ist eine Mannschaft Weltmeister geworden, die ihr Auftaktspiel verloren hat.

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