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Pausenclown. Beim Promirennen schwenkt Sebastian Vettel die Zielflagge.

© Claus Vetter

Zum Abfahrtsrennen auf der Streif: Schwitzen beim Stanglwirt - es war einmal

Kein Skirennen lebt so sehr vom Drumherum wie die Streif. Erinnerungen an den Januar 2020, als Sebastian Vettel und Sido ihre Bühne in Kitzbühel hatten.

Es ist der 23. Januar, ein schöner Freitagmittag, droben auf dem Hahnenkamm. Aksel Lund Svindal blickt durch den Sonnenschein ins Tal. Er erzählt davon, wie es ist, die steile Piste hinunterzufliegen. „Es gibt nichts Größeres für einen Skifahrer im Weltcup“, spricht der Norweger. Wer hier gewinnt, sei „der König der Saison“. In der Abfahrt, dem Kernrennen und Höhepunkt des alljährlichen Rennwochenendes von Kitzbühel, hat Svindal das nie geschafft.

Nur einen Megasturz hat der Megaskistar auf der anspruchsvollsten Abfahrt der Welt hingelegt, 2016 an der Hausbergkante. Künstlerpech des 2018er-Olympiasiegers in der Abfahrt. Die Streif gewann er dreimal im Super G, aber das zählt nicht so viel für den heutigen Unternehmer. „Die Strecke und die vielen Zuschauer, das ist einfach ein großes Spektakel“, sagt Svindal.

Das Coronavirus steht vor einem Jahr erst kurz vor der Tür

Das war so bis vor einem Jahr, gefühlt ist das Jahrzehnte her. Das Spektakel Streif wird heuer nur ein Spektakel für die Geister. Ohne Fans, ohne Party, aber mit Rennen. Am Sonnabend sollte zum 81. Mal die Hahnenkamm-Abfahrt auf der Streif steigen, sie wurde abgesagt – Regen im unteren Streckenabschnitt – und soll am Sonntag (10.20 Uhr) nachgeholt werden.

Das Super-G-Rennen wurde auf Montag verschoben (10.45 Uhr). Am Freitag wurde schon gefahren auf der Streif; es war das verlegte Rennen von Wengen. Doch wegen schlechter Sicht und gefährlicher Winde und zwei schlimmer Stürze wurde abgebrochen, der Sieg ging an den Schweizer Beat Feuz. Das Ergebnis mit dem starken fünften Platz von Andreas Sander aus Schwelm interessierte am Ende wenig. Wobei der Sport ohne das Drumherum in Kitzbühel ohnehin gefühlt wenig Wert ist.

Kein Wochenende ist im Ski-Weltcup größer als das von Kitzbühel. Das Abfahrtsrennen ist Wahnsinn, 3300 Meter Sturzpiste in knapp zwei Minuten. Die Partys sind Wahnsinn, 50 000 Menschen fallen alljährlich ein in die Gemeinde mit 8000 Einwohnern. Das Örtchen in den Tiroler Alpen ist für Tage im Ausnahmezustand, bordet über, und kippt ab. Es ist das Ischgl der Profis, was Skifahrer und Feierwütige betrifft – bis zum Januar 2020.

Ischgl auf reich. Beim Stanglwirt ging es immer hoch her in Kitzbühel.

© imago

Das Coronavirus steht vor einem Jahr erst kurz vor der Tür. Es ist kaum Thema, als die wilden Tage von Kitzbühel starten. Aufreger gibt es andere, vor allem den Auftritt des Berliner Rappers Sido im Stanglwirt. In dem Megalokal unweit des Ortes steigt wie jedes Jahr auch am Freitag, 24. Januar 2020, die große „Weißwurstparty“. Erwartbare Promis posieren mit dem Megawurstkessel, allen voran Arnold Schwarzenegger und Mario Adorf. Am frühen Abend passt es in der Kitzbüheler Weißwurstwelt noch. Es ändert sich ein paar Stunden später, als viele der älteren und gut betuchten Partygäste schon im Bett sind und der jüngere, gut betuchte Teil der Menschheit im umfunktionierten Riesenpferdestall bei diversen Liveacts auf engstem Raum schwitzt.

Der DJ am Pult fragt um 22 Uhr in die Runde: „Wie besoffen seid ihr denn? Wer ist schon voll dabei? Hand hoch?“ Etliche Menschen heben die Hand. Der rechte Zeitpunkt für den Überraschungsgast. Ein Herr in Krachlederner, der sich als „Vico“ Torriani oder so vorstellt und dann launig losrappt, und DJ („DJ Moese, hihi“) sowie das Publikum flugs beleidigt. Mit Blick auf die Galerie sagt Vico-Sido: „Ihr seid die Reichen, euch hätte man bei der französischen Revolution geköpft.

Der Berliner Rapper legt noch einen drauf, als ihm die Resonanz des Publikums nicht so gefällt und sagt: „Jetzt ziehen wir das hier durch – mit deutscher Disziplin, die uns ein Österreicher beigebracht hat.“ Das sitzt nicht, obwohl fast nur Deutsche und Österreicher im Publikum sind, aber die haben schon zu viel getrunken. Den donnernden medialen Nachhall gibt es erst einen Tag später, Kitzbühel hat seinen Naziaufreger. Die Bild titelt: „Hitler-Skandal um Rapper Sido!“

Steiler Hang, leerer Zielraum. Auf der Streif gibt es nur Geisterrennen, aber nicht mal das klappt so richtig. Die Abfahrt am Freitag (im Bild der Slowene Cater), von Wengen nach Kitzbühel verlegt, wurde abgebrochen.

© Imago

Das Abfahrtsrennen wird am Samstag, dem 25. Januar, trotz „Hitler-Skandal“ gefahren. Arnold Schwarzenegger ist auch da und schaut von der Promitribüne zu, und gibt auch einen lobhudeliigen Kommentar zum Besten über die Lautsprecher. Marke: Nirgendwo ist es so schön wie in Kitzbühel. Die Steilpiste säbelt der Österreicher Matthias Mayer als Schnellster hinunter. Schnell vorbei ist er, der sportliche Höhepunkt. Hinter der Tribüne ist es glatt, huschen leere Plastikbecher über den Schnee. Aus den Lautsprechern dröhnt Schunkelliedgut, alles ist wie immer. Nach dem großen Rennen gibt es noch ein Promirennen, bei dem Ex-Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel nur die Zielflagge schwenken darf.

Das ist nur Vorprogramm für die nächste große Feiernacht von Kitzbühel. Im Ort tobt am Samstagabend das bierlaunige Volk mit Plastikbechern, unweit der Strecke schwenkt die Prominenz die teuren Gläser. Wobei dieser Begriff hier weit gefasst ist. Im „Kitz Race Club“, einem Riesenprovisorium von Halle, sind weit über 1000 Gäste. Auf dem Damenklo gibt es sogar einen Frisiersalon.

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Als es im „Kitz Race Club“ losgeht mit der Gala, heißt es: „Hier ist ihr Moderator, Thomas Gottschalk.“ Der begrüßt dann die Sieger des Tages: „Von Ski habe ich keine Ahnung, aber ich muss sagen, so ein mehrgängiges Menü hier zu zaubern für so viele Gäste, das ist schon hohe Kunst.“ Im Publikum wird brav applaudiert, den Abend runden die „Black Eyed Peas“ ab, günstig war der Auftritt der US-Popband bestimmt nicht zu haben. Am Ausgang erhalten alle Menschen eine feine Torte vom Hotel Sacher aus Wien, mit einem „Servus“ und „bis nächstes Jahr“ garniert.

Wer weiß, wann und ob sie einmal wieder die Streif wird, die sie einmal war

Am Sonntag gibt es dann schließlich noch zum Kater das Super-G-Rennen. Ein Jahr später gibt es aber kein „nächstes Jahr“. Das Spektakel Streif ist ein ganz einfaches Opfer für die Pandemie, wie ein verlorenes Reh vor einem Rudel Wölfe. Die Streif lebt von Nähe, von Massen von Menschen auf engem Raum. Die Streif passt nicht in unsere Zeit, in der alle auf Abstand gehen müssen und unsere Gewohnheiten und Geflogenheiten womöglich nachhaltig verändern.

Wer weiß, wann und ob sie einmal wieder die Streif wird, die sie einmal war.

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