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Alfredo di Stefano gehörte zu den besten Fußballspielern aller Zeiten und prägte mit Real Madrid eine Epoche.

© imago sportfotodienst

Zum Tod von Alfredo di Stefano: Ein Tag ohne Sonne für Real Madrid

Alfredo di Stefano gehörte zu den besten Fußballspielern aller Zeiten und prägte mit Real Madrid eine Epoche. Im Alter von 88 Jahren ist er verstorben. Doch das Real von Di Stefano wird bis in alle Ewigkeit das weiße Ballett bleiben.

Am Wochenende hat Gonzalo Higuaín noch einen letzten Gruß nach Madrid gesendet. Gleich nach dem WM-Viertelfinale von Brasilia gegen Belgien, die Argentinier hatten es 1:0 gewonnen, dank eines Tores von Higuaín, er widmete es dem Held seiner Kindheitserzählungen: „Alfredo, ich bete für dich! Sei stark, in meinen Gedanken bin ich bei dir!“

Der Gruß hat Alfredo di Stefano nicht mehr erreicht. Kurz vor dem Spiel seiner Argentinier hatte er am Samstag, einen Tag nach seinem 88. Geburtstag, beim Verlassen eines Restaurants einen 18 Minuten währenden Herz- und Atemstillstand erlitten. Am Montag fand sein Leben ein Ende. Ein Leben, das immer im Zeichen des Fußballs gestanden hatte. Eines Fußballs, der anders war als der heute praktizierte. Alfredo di Stefano hat taktische Spielchen verabscheut und sich immer nur für drei Dinge interessiert: Tore, Tore und Tore, in genau dieser Reihenfolge. „Fußball ohne Tore ist wie ein Tag ohne Sonne“, hat er in einem großartigen Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ mal gesagt.

Die Wundermannschaft von Real Madrid

Die Wundermannschaft von Real Madrid, wer hat sie noch leibhaftig erlebt? Ihr Bild fügt sich zusammen aus der Lektüre von Büchern, aus den Erzählungen alt und grau gewordener Augenzeugen. Der Mythos Real wuchs in einem Biotop, das es nie mehr geben wird. Das Real Madrid der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre zelebrierte seine Kunst in einer Epoche, die noch nicht der Allgegenwart der elektronischen Medien geweiht war. Keine Fernsehbilder von misslungenen Pässen, vergebenen Torchancen oder hässlichen Fouls trüben das Bild von Gento, Puskas und di Stefano. Helden mit Alltagsfehlern sind ein Produkt des Medienzeitalters. Di Stefanos Real wird bis in alle Ewigkeit das weiße Ballett bleiben.

Den Tag im Sommer 1964, als Alfredo di Stefano Real Madrid verließ, bezeichnet Javier Marias noch heute als den furchtbarsten seines Lebens. Di Stefano ist schuld daran, dass Marias dem Fußball verfiel, und damit verdankt ihm die Welt das großartigste Bucher, das sich mit diesem Spiel auseinandergesetzt hat: „Alle unsere frühen Schlachten“, eine Hymne an die Schönheit des Fußballs, ins Bild gesetzt durch die Schönheit der Sprache. „Di Stefanos Art, den Ball zu stoppen, ist genauso unvergesslich wie der Gang John Waynes oder Henry Fondas“ – kann man einem Fußballspieler ein größeres, ein poetischeres Kompliment machen?

Alfredo di Stefan hat nie bei einer WM gespielt

Alfredo di Stefano zelebrierte seine Kunst in einer Epoche, die noch nicht der Allgegenwart des Fernsehens geweiht war, in der noch Raum war für Fantasie, die für das Entstehen eines Mythos’ unverzichtbar ist. Den Spaniern gilt er immer noch als der größte Fußballspieler aller Zeiten. Großzügig übersehen sie, dass di Stefano von Geburt Argentinier war. Geboren in Buenos Aires, ein Kind der berühmten maquina, der Maschine, wie sie die Mannschaft des Club Atletico River Plate damals nannten. Di Stefano verließ seine Heimat im Zuge eines Streiks der argentinischen Profis und ging zu den Millionarios nach Bogotá, in die vom Weltfußball damals geächtete kolumbianische Liga. 1953 erst, als bereits 27-Jähriger, kam er zu Real. Bei Real nannten sie ihn den „Blonden Pfeil“, aber auch „El Alemán“, den Deutschen. Wegen eben jener blonden Haare.

Wer ihn gesehen hat, der schwärmt von seinen Tempodribblings, von seinen Tricks, von seinem strategischen Genie. Javier Marias führt seinen Gästen in Madrid immer noch gern seinen Lieblingstrick von di Stefano vor: „Du nimmst den Ball mit rechts an, täuscht leicht an, der Gegner geht mit, und dann musst du den Ball rüberziehen …“ – an dieser Stelle bricht der Schriftsteller meist ab, denn auch ohne Ball sind die Bewegungen seines Idols nur bedingt nachzuvollziehen. Es soll Spiele gegeben haben, da hatte di Stefano die Parole ausgegeben, es dürfe der Ball nur mit der Hacke abgespielt werden. Auch solche Spiele gewann Real leicht und locker und schön.

di Stefan hat nie bei einer WM gespielt

Als Gipfel seiner Schaffenskunst gilt das 7:3 im Finale des Europapokals 1960 gegen die bemitleidenswerten Statisten von Eintracht Frankfurt. Di Stefano und sein kongenialer Partner Ferenc Puskas führten ein so beeindruckendes Spektakel vor, dass dieses Spiel noch heute von den englischen Fernsehzuschauern regelmäßig zum besten Vereinsspiel aller Zeiten gewählt wird.

Es gehört zu den tragischen Konnotationen des Fußballs, dass der längst schlohweiß gewordene blonde Pfeil ausgerechnet in diesen Tagen der Weltmeisterschaft von Brasilien starb. Denn Alfredo di Stefano, einer der größten Fußballspieler, den die Welt je sah, hat nie bei einer WM gespielt. Argentinien hatte die große Bühne während seiner großen Zeit boykottiert. 1962 in Chile, mit schon 36 Jahren, gehörte er zwar zum spanischen Aufgebot, kam aber nicht zum Einsatz. Schuld daran waren eine leichte Rückenverletzung und der Trainer. Er hieß Helenio Herrera, war wie Alfredo di Stefano und Gonzalo Higuaín Argentinier und später bei Inter Mailand der Erfinder des Catanacchio, einer Taktik, die vor allem eines verhindern sollte: Tore, Tore, Tore.

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