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Immer mehr Privatpersonen machen ihre Steuererklärung digital. Wie wirken sich Emotionen, Einstellungen und Normen auf die Steuerehrlichkeit aus? 

© Christin Hume / Unsplash

Steuern und Gefühle: Warum man Montags ehrlicher ist als Freitags

Der Verhaltensökonom Peter N. C. Mohr erforscht unter anderem, welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Aufrichtigkeit bei der Steuererklärung hat.

Von Marion Kuka

Schatz, wir müssen noch die Steuererklärung machen!“ Das ist zwar nett gesagt, die alljährliche Erinnerung löst aber bei vielen Menschen negative Gefühle aus: Angst, etwas falsch zu machen oder hohe Beträge nachzahlen zu müssen, Wut über wahrgenommene Ungerechtigkeit, Neid auf andere, die mehr verdienen oder bei der Steuer tricksen. Auf der positiven Gefühlsskala steht bestenfalls der Stolz, einen eigenen Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten.

In den Wirtschaftswissenschaften ging man lange davon aus, dass Steuern eine völlig rationale Angelegenheit sind. „Unter dieser Annahme reduziert sich, ganz nüchtern betrachtet, schlicht das Netto-Einkommen dadurch, dass Steuern entrichtet werden. Aber das stimmt natürlich nicht“, sagt Peter N. C. Mohr, Professor für Verhaltensökonomie am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin.

Er beschäftigt sich mit „Behavioral Taxa­tion“, einem Forschungsfeld innerhalb der Verhaltensökonomie, und untersucht, wann und warum unser Umgang mit den Steuern nicht nur von rationalen Überlegungen geleitet wird. Besonders interessiert Peter N. C. Mohr die Steuerehrlichkeit: Wie aufrichtig wir gegenüber dem Finanzamt sind, werde von vielen Faktoren beeinflusst, sagt der Wirtschaftswissenschaftler, auch von Emotionen oder sozialen und politischen Einstellungen.

Vertrauen stärkt die Ehrlichkeit

Anfang der 1970er Jahre galt Steuerehrlichkeit noch als schlichte Entscheidung unter Berücksichtigung eines Risikos: Eigentlich möchte niemand Steuern zahlen, dagegen steht jedoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, erwischt und bestraft zu werden, also betrügen die meisten Menschen nicht. „Unter dieser Annahme müssten Privatpersonen jedoch viel unehrlicher sein, als sie es tatsächlich sind. Schließlich kann der Staat nur einen Teil der Angaben prüfen, das Risiko entdeckt zu werden, ist also gar nicht mal sehr hoch“, sagt Peter N. C. Mohr. Eine Erklärung lieferte die Verhaltensforschung: Da die Quote der Überprüfungen nicht bekannt ist, gehen Menschen eher vom Schlimmeren aus und überschätzen das Risiko. Diese Wahrnehmung stärke die Tendenz, bei der Steuererklärung ehrlich zu sein.

Der Ökonom Erich Kirchler ergänzte das Konzept von „Power of Authority“, der Kontrollmacht des Staates, später um die Komponente „Trust in Authority“: Wie sehr trauen Bürgerinnen und Bürger der Regierung zu, dass sie sinnvolle Dinge mit ihren Steuern tut? Sind Macht und Vertrauen schwach ausgeprägt, sei es um die Steuerehrlichkeit nicht gut bestellt, erklärt Peter N. C. Mohr. Das zeige auch das Beispiel der Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr während der Corona-Pandemie: Kontrolliert wurde wenig, und als das Vertrauen in Sinn und Wirksamkeit der Maßnahme sank, waren die Masken schnell wieder verschwunden.

Bei Masken wie Steuern spielen auch soziale Normen eine große Rolle. Anfang der 2000er Jahre sei der Begriff der Steuermoral geprägt worden, sagt Peter N. C. Mohr. Aber was beeinflusst eigentlich unsere Moral? Ist sie konstant, oder hängt sie auch von Situation und Kontext ab? In einer Studie konnte der Wissenschaftler zeigen, dass sogar Kontexte und Umstände, die überhaupt nichts mit Steuern zu tun haben, Einfluss auf unsere Ehrlichkeit nehmen können.

Freitags sinkt die Steuermoral

Im Rahmen einer großen Umfrage wurden Steuerzahlende in Deutschland anonym gefragt, ob sie es in Ordnung finden, Steuern zu hinterziehen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. „Wir konnten unsere Hypothese bestätigen“, berichtet Peter N. C. Mohr. Personen, die den Online-Fragebogen an einem Freitag oder am Wochenende ausgefüllt hatten, waren tendenziell eher bereit, Steuern zu hinterziehen, als Personen, die an einem Montag oder an einem Tag unter der Woche teilnahmen. Die Forschenden führen dies auf Stimmungsunterschiede zurück. Am Freitag und am Wochenende sind Menschen tendenziell fröhlicher als am Montag, wenn die Arbeitswoche beginnt. Im Gegensatz dazu steigt die Steuermoral bei schlechtem Wetter.

Dieses Ergebnis lasse sich gut erklären, sagt Peter Mohr. „Sogar dann, wenn wir nachts ganz allein über eine rote Ampel gehen, halten wir vorher kurz inne. Denn eine Norm zu verletzen, fühlt sich unangenehm an. Wenn ich bereits schlecht drauf oder verängstigt bin, werde ich das zusätzliche schlechte Gefühl – Steuern zu hinterziehen oder über eine rote Ampel zu gehen – eher vermeiden. Wenn ich jedoch gut aufgelegt bin und einen tollen Tag hatte, stecke ich das unangenehme Gefühl der Normübertretung leichter weg.“

Der Effekt sei zwar nicht groß, aber statistisch signifikant: Im Vergleich zum Montag waren am Wochenende 2,27 Prozent mehr Teilnehmende zur Unehrlichkeit in der Steuererklärung bereit. Auf ganz Deutschland umgerechnet ergebe das bereits eine Differenz von 410.000 unehrlichen Steuererklärungen. Dies konnten die Forschenden auch im Experiment bestätigen: Probanden, die fröhliche anstelle von beängstigenden Bildern gezeigt bekommen hatten, waren bei einem anschließenden Steuerspiel eher geneigt, zu ihrem eigenen Vorteil zu schummeln. Solche emotionalen Faktoren fänden in der Politik noch wenig Beachtung, sagt Peter N. C. Mohr.

Öffentlich gewordene Unehrlichkeit stiftet zur Nachahmung an

Auch die Steuerbehörden der Länder, die „Blaming“ und „Shaming“ einsetzen, also Namen von Steuersündern veröffentlichen, sollten besser die Forschung zu Rate ziehen: Studien hätten gezeigt, dass sich die kurze Abschreckung schnell ins Gegenteil verkehre, erklärt Peter N. C. Mohr: „Dann heißt es: Wenn andere es machen, mache ich es auch. Der Ansteckungseffekt untergräbt die Moral.“ In Deutschland sei eine solche Maßnahme allerdings schon aufgrund des gesetzlich verankerten Steuergeheimnisses nicht erlaubt.

Zurzeit untersucht der Verhaltensökonom, welchen Einfluss die Digitalisierung auf Steuerehrlichkeit hat. Immer mehr Privatpersonen nutzen digitale Formulare und Programme, um ihre Steuererklärung abzugeben, darin sind manche Felder bereits vorausgefüllt. „Sehe ich dort etwa einen hohen Wert für Papierkosten aus dem Vorjahr, könnte ich in Versuchung geraten, ihn stehen zulassen, obwohl ich weiß, dass meine Ausgaben dieses Jahr niedriger waren“, sagt Peter N. C. Mohr. Dieser Effekt könne noch verstärkt werden, wenn man die Belege erst aufwendig zusammensuchen müsste. „Wir sind sehr neugierig darauf, ob die Steuermoral dieser digitalen Verführung standhalten wird“, sagt der Wissenschaftler.

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