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Gerhard Schröder mit seinem Biografen Gregor Schöllgen (Mitte) und Angela Merkel bei der Buchvorstellung.

© AFP

Biografen und Politiker: Nahaufnahmen können weh tun

Sie befragen Weggefährten eines Politikers, führen Interviews und kämpfen sich durch die Archive: Warum das Verhältnis eines Biografen zu seinem Gegenstand selten spannungsfrei ist.

Irgendwann muss Gregor Schöllgen dieses Zimmer leid gewesen sein. Nur wenige Quadratmeter groß, im Grunde ein Kabuff. Darin ein Schreibtisch, mehr als Ablage gedacht, sonst nichts als Akten. Kalender, Telefonprotokolle, Briefe. Über Jahre hinweg ergründete der Historiker hier die letzten Unbekannten im Leben eines Mannes, über den er schon so vieles zu wissen glaubte: Gerhard Schröder, Bundeskanzler a. D. Schöllgen ist sein Biograf.

„Eine einsame Arbeit“, sagt der Historiker, wenn er von der Zeit in dem kleinen Zimmer erzählt, das in einem Bundestagsgebäude Unter den Linden liegt. Auf demselben Flur, auf dem Gerhard Schröder heute sein Büro hat. Die Jahre zwischen 2011 bis 2015 widmete Schöllgen dem Politiker. Er hatte dabei so viel Zugang wie wenige andere: Schröder gewährte ihm etliche Gespräche, bevollmächtigte Schöllgen unter anderem zur Einsicht seiner Stasi-Akten und erteilte ihm eine Blanko-Vollmacht, um bei Behörden und Archiven anzufragen. Er vertraute Schöllgen. So erfuhr der Biograf Dinge über Schröders Familie, die nicht einmal der Altkanzler selbst wusste.

Das Verhältnis, das Biografen zu ihrem Gegenstand entwickeln, ist ein schwieriges. Es schwankt zwischen Faszination und Befremden, zwischen Bewunderung und Ablehnung. Und es ist getrieben von dem Wunsch, das Wesen einer Person, ihren Antrieb zu verstehen. Dabei entsteht eine Außenansicht, vor der sich mancher Politiker durchaus fürchtet.

Ablehnend, sogar aggressiv

„Wer möchte sich schon in einem Buch gespiegelt sehen? Ich möchte das nicht“, sagt Jens König. Der „Stern“-Journalist sitzt in seinem Büro, hinter ihm ein Bücherregal. Darin steht sie, die Biografie, die König 2005 über Gregor Gysi veröffentlicht hat. Ein Buch, dessen Entstehung der Linken-Politiker verhindern wollte.

Ablehnend, sogar aggressiv habe Gysi reagiert, als König ihm sein Vorhaben ankündigte. „Gysi schrieb mehrfach Briefe, an mich, an den Verlag. Er drohte sogar, seine Anwälte würden das Buch sehr genau prüfen und notfalls dagegen klagen.“ Die Begründung: Er wolle nicht, dass zu seinen Lebzeiten eine Biografie über ihn geschrieben werde. König hält das für eine Ausrede. „Gysi wollte einfach selbst bestimmen, wie er gesehen wird.“

König setzte sein Vorhaben trotzdem in die Tat um – unter erschwerten Bedingungen. Obwohl die beiden sich seit Dezember 1989 kannten, gab Gysi dem Journalisten für die Biografie kein einziges Interview. Er wies sogar Familienmitglieder und Weggefährten an, nicht mit König zu sprechen. Auch die Schwester, die das Familienarchiv der Gysis hütete, mauerte nun. König sagt: „In gewisser Weise ein Glücksfall. Das spornte mich an, noch gründlicher zu recherchieren und tiefer in die Archive einzusteigen.“

Der Schlüssel zu einem widersprüchlichen Charakter

In seinem Buch zeichnete König das Sittengemälde der Gysis als kommunistische Vorzeigefamilie. Mit der Zeit habe er die tiefen biografischen Verstrickungen verstanden, die Gysis Leben ausmachten. „Für ihn ist Politik Teil einer historischen Verpflichtung. Er fühlt sich mit jeder Faser seines Körpers der kommunistischen Bewegung verbunden.“ Es sind Erkenntnisse wie diese, die am Ende der Recherche stehen. Schlüssel zum Verständnis für einen widersprüchlichen Charakter.

Der „Zeit“-Journalist Matthias Geis suchte eine Antwort auf die Frage, „wie ein Steine werfender Sponti zu einen grünen Realpolitiker und gepflegten Diplomaten“ werden konnte. 2002 veröffentlichte er gemeinsam mit Bernd Ulrich, der heute stellvertretender Chefredakteur der „Zeit“ ist, eine Biografie über Joschka Fischer. „Diese politische Wandlung ist etwas Faszinierendes und Suspektes“, sagt Geis. Während die beiden an der Biografie arbeiteten, stand Fischer zwar für Gespräche zur Verfügung. Meistens führte diese aber Ulrich. Geis’ Verhältnis zu dem Grünen-Politiker war damals angespannt. „Er war ein Überwältigungspolitiker mit Hang zur Dominanz“, erinnert sich Geis. Einfluss genommen oder Zitate abgesegnet habe Fischer nicht. Trotzdem ist es Geis und seinem Kollegen nicht immer leicht gefallen, aus ihrem phasenweise kontroversen Blick auf Fischer ein gemeinsames Buch zu schreiben.

Ein ähnlich widersprüchliches Bild machte sich Daniel Friedrich Sturm von seinem Protagonisten. Auf der letzten Seite der Biografie über Peer Steinbrück schreibt der „Welt“-Journalist: „Wer Steinbrück kennenlernt, kann sich seiner Faszination nur schwer entziehen. Oft lässt er aber nichts zurück als Fassungslosigkeit.“ Als das Buch 2012 erschien, sagt Sturm, befand sich der Steinbrück-Hype gerade auf dem Höhepunkt. „Da war er nicht mehr Finanzminister, und Schwarz-Gelb agierte extrem unglücklich. Alle sehnten sich nach einer Figur wie ihm.“

Es überwog die Fassungslosigkeit

Und so war Steinbrück zwar nicht glücklich über Sturms Ankündigung, ein Buch über ihn schreiben zu wollen – „Oh Gott“ sei seine erste spontane Reaktion gewesen. Doch er gewährte Sturm zumindest zwei Mal 90 Minuten Gesprächszeit. Der Politiker erlaubte außerdem vielen seiner Weggefährten, mit dem Journalisten zu sprechen. Doch sei es Peer Steinbrücks Haltung gegenüber der SPD, deren Mitglieder er als Heulsusen bezeichnete, oder sein Hang, Konflikte zu entfachen und nicht zu lösen – am Ende überwog bei Sturm die Fassungslosigkeit.

Während die Phase, in der ein Politiker in der Öffentlichkeit steht, gut zu rekonstruieren ist, liegen die frühen Jahre oft im Dunkeln. Historiker Schöllgen brauchte lange, bis er sich die frühe Biografie Schröders erschlossen hatte. Der Altkanzler wusste lediglich, dass sein Vater im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Schöllgen recherchierte bei der Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin, fragte bei Gerichten an und fand heraus, dass Schröders Vater Fritz wegen Diebstahls zwei Haftstrafen verbüßt hatte. Er trieb Bilder auf, die Gerhard Schröder nie zuvor gesehen hatte. „Ungewöhnlich, wenn Sie einem Mann von diesem politischen Kaliber sein eigenes Leben erzählen“, sagt Schöllgen.

So eine Biografie verbindet. Das ist nicht allen angenehm. Fischer-Biograf Geis konnte sich mit dieser Rolle nie identifizieren. Er fand es unangemessen, sich ein halbes Jahr mit nur einer Person zu beschäftigen. Als das Buch erschien, waren Fischer und Geis gerade im Nahen Osten. „Er hatte es in einem Zug durchgelesen und sagte: ‚Du hast mir eine schlaflose Nacht bereitet.‘ Das war wohl seine Art zu zeigen, dass er das Buch akzeptierte.“ Und auch Gysi und sein Biograf König sind ausgesöhnt. „Als Gysi 2015 als Fraktionschef Abschied nahm“, sagt König, „konnten wir uns in die Augen sehen und höflich voneinander verabschieden, obwohl ich ihn so oft schwer getroffen hatte.“

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