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Arztbrief: Netzhautablösung

Unser Experte Joachim Wachtlin ist Chefarzt der Augenabteilung am St. Gertrauden-Krankenhaus in Wilmersdorf. Die Klinik ist das von den niedergelassenen Augenärzten Berlins für die Durchführung von Glaskörperoperationen zur Reparatur einer Netzhautablösung am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).

ERKLÄRUNG Die Netzhaut oder auch Retina ist für das Sehen unverzichtbar: Hier wird das einfallende Licht gebündelt und lässt ein Bild entstehen, das über den Sehnerv zum Gehirn weitergeleitet wird. Löst sich die Retina von der Innenwand des Auges ab, sterben Sinneszellen ab, weil sie dann nicht mehr ausreichend mit Nahrung und Sauerstoff versorgt werden. Dann gilt es, die Retina schnellstmöglich wieder anzulegen, denn dieser augenärztliche Notfall führt unbehandelt zur Erblindung.

Jährlich müssen rund 30 000 Menschen in Deutschland ins Krankenhaus, um dort eine Netzhautablösung oder einen -riss behandeln zu lassen. Die weitaus meisten Patienten sind älter als 50 Jahre.

Bei einer fortgeschrittenen Netzhautablösung (1) wird der Glaskörper entfernt (2), die die Netzhaut wegdrückende Flüssigkeit abgesaugt und der Augeninnenraum danach mit einem speziellen Gas oder Öl gefüllt, um die abgelöste Netzhaut von innen wieder an die Augenhinterwand anzudrücken (3). Zum Fixieren kommen dann Laser oder Kältesonden zum Einsatz.
Bei einer fortgeschrittenen Netzhautablösung (1) wird der Glaskörper entfernt (2), die die Netzhaut wegdrückende Flüssigkeit abgesaugt und der Augeninnenraum danach mit einem speziellen Gas oder Öl gefüllt, um die abgelöste Netzhaut von innen wieder an die Augenhinterwand anzudrücken (3). Zum Fixieren kommen dann Laser oder Kältesonden zum Einsatz.

© Fabian Bartel

SYMPTOME  „Bei einer Netzhautablösung nehmen Patienten am Anfang oft Blitze, Schatten oder auch umherschwirrende Flecken vor den Augen wahr, die an einen Mückenschwarm oder Rußregen erinnern“, sagt Joachim Wachtlin, Chefarzt der Augenabteilung am Sankt Gertrauden-Krankenhaus in Wilmersdorf.

Ist die Netzhaut am Punkt des schärfsten Sehens (Makula) abgelöst, kann der Mensch nur noch helle und dunkle Bilder unterscheiden. In der Regel klagen die Patienten bereits über Ausfälle im Gesichtsfeld.

Ursachen Winzige Löcher in der Netzhaut, die die Innenwand des Auges fast vollständig auskleiden, können dazu führen, dass sich die Netzhaut ablöst. Oft sind diese Löcher weniger als einen Millimeter groß. Sie entstehen dadurch, dass sich der Glaskörper, eine gallertartige Substanz, die den Augapfel ausfüllt, von der Netzhaut zurückzieht. Durch den hierdurch verursachten Zug an der Netzhaut können Einrisse und Löcher entstehen. Unter den beschädigten Punkten kann sich Augenwasser, eine Flüssigkeit, die im Auge zirkuliert, sammeln und so die darüberliegende Netzhaut von der Augeninnenwand wegdrücken.

Vor allem Kurzsichtige mit einer Brillenstärke von mehr als minus drei Dioptrien sind gefährdet, da ihre Netzhaut dünner ist als die anderer Menschen. Das empfindliche Gewebe kann aber auch durch Prellungen von außen einreißen - etwa dann, wenn Fußbälle oder Sektkorken ungebremst aufs Auge knallen.

Neben Verletzten und Kurzsichtigen erleiden auch Diabetiker häufiger als andere Menschen Netzhautschäden. Denn ihre Blutgefäße neigen dazu, unkontrolliert in den Glaskörper hineinzuwachsen. Wenn diese krankhaften Gefäße zusammenschrumpfen, kann es zu Narben kommen, die dann wiederum die Netzhaut, die nur leicht an der Augeninnenwand haftet, von der Augeninnenwand abheben oder Löcher hineinreißen können.

DIAGNOSE Der Augenarzt diagnostiziert die Erkrankung durch eine Untersuchung des Augenhintergrundes. Er muss abklären, ob die Stelle des schärfsten Sehens der Netzhaut, die Makula, von der Abhebung betroffen ist oder nicht. Dazu schaut der Augenarzt mithilfe einer hellen Lampe und einer Lupe dem Patienten tief in die Augen. Dadurch werden zum einen in der hellrot gefärbten Netzhaut die Äderchen sichtbar, die das Gewebe mit Sauerstoff versorgen. Zum anderen sind so die möglicherweise abgelösten Stellen der Netzhaut sichtbar, zum Beispiel in Form von weißen Flecken unter dem gesunden Hellrot.

An diesen Stellen können die hochsensiblen Nervenzellen nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden. „Sind Sinneszellen einmal abgestorben, wachsen sie nicht mehr nach“, sagt Chefarzt Wachtlin. Der Patient kann dann erblinden.

Je nach Schweregrad müssen Ärzte nach der Untersuchung die Netzhautablösung innerhalb nur weniger Tage behandeln. Ist der Punkt des schärfsten Sehens noch nicht abgelöst - und damit die Chance auf eine komplette Wiederherstellung einer 100-prozentigen Sehschärfe am größten -, werden die Patienten oft sogar bereits innerhalb weniger Stunden operiert, um die Chance zu nutzen.

THERAPIE Es gibt verschiedene Operationstechniken, die in der Regel unter Vollnarkose durchgeführt werden. Entscheidend sind die Lage und der Grad der Ablösung. Sind es nur Löcher, wobei sich die Netzhaut noch nicht abgelöst hat, werden sie meist mit dem Laser oder einem Kältestift geschlossen. Damit soll verhindert werden, dass sich die Haut überhaupt ablöst.

Ist eine Ablösung zwar schon vorhanden, aber noch nicht weit fortgeschritten, behandeln sie Chirurgen von außen. Dabei dellen sie die Augenglaskörper mit Silikonbändern oder einer Plombe ein, die angenäht werden. Dadurch liegt die Netzhaut wieder an der Aderhaut an und wird weiter durchblutet.

In der Mehrzahl der Fälle aber ist die Netzhautablösung bereits fortgeschritten, wenn sich die Symptome zeigen. Dann operieren die Netzhautchirurgen im Inneren des Auges. Vor der Behandlung der Netzhautablösung müssen die Fachärzte den Glaskörper, der ja die Entstehung des Netzhautlochs verursacht hat, entfernen - diese Methode nennen sie Vitrektomie. „Der Glaskörper ist wichtig für die Entwicklung im Kindesalter. Erwachsene brauchen ihn aber eigentlich nicht mehr“, sagt Chefarzt Wachtlin. Im Alter kann die gallertartige Masse sogar das Sehen beeinträchtigen.

Mit einem Mikroskop über dem erkrankten Auge des narkotisierten Patienten verfolgt der Operateur den Eingriff. Hier geht es um Millimeter, denn er muss in einem winzig kleinen Areal mit seinen Instrumenten hantieren. Er sitzt dicht am Kopf des Patienten auf einem Operationsstuhl, der mit speziellen Armlehnen für die Millimeterarbeit ausgestattet ist. Das Auge des Patienten wird durch eine Metallfeder weit geöffnet.

Während der Operation wird deshalb das Auge von Assistenten immer wieder mit einem schützenden Gel befeuchtet, um es vor einem Austrocknen zu bewahren.

Der Chirurg verwendet drei kleine, etwa einen halben Millimeter dicke Metallröhrchen, die durch die Bindehaut in den Augapfel eingesetzt werden. Durch diese Röhrchen hat der Chirurg nun Zugang zum Augeninneren, um mit Spezialwerkzeug die Operation durchzuführen. Eines dieser Werkzeuge, ein sogenannter Glaskörperschneider, zerkleinert den gallertartigen Glaskörper und saugt ihn ab. Der Glaskörper, der den Augeninnenraum ausfüllt, besteht zu 98 Prozent aus Wasser. Jedes Auge enthält rund Milliliter dieser Substanz.

Ist der Glaskörper entfernt, ersetzt ihn der Chirurg im nächsten Schritt durch eine schwerere Flüssigkeit - Ärzte nennen sie Dekalin. Sie erinnert an die Konsistenz von Olivenöl. Damit wird das abgelöste Gewebe der Netzhaut wieder fest an die Augeninnenwand gedrückt.

Anschließend nimmt der Chirurg einen Laser oder Kältestift, mit dem er die Augenwand von außen punktweise für Sekunden auf minus 68 Grad vereist. „Damit lösen wir gezielt eine Entzündung aus“, sagt Joachim Wachtlin. Die Netzhaut werde später komplikationslos vernarben. Die Narben verankerten die Netzhaut, die sich so wieder in Ruhe anheften kann.

Am Ende der OP tauscht Wachtlin die schwere Flüssigkeit noch einmal aus, diesmal gegen ein Gasgemisch, das nach der OP im Auge verbleibt und die Sicht des Betroffenen zunächst trüben kann. Nach rund zwei Wochen aber ersetzt das natürliche Augenwasser vollständig das Gasgemisch - die Sicht klart auf.

Nicht immer verläuft dieser Eingriff komplikationslos. So gibt es folgende Risiken bei der Operation: Neue Netzhautlöcher können entstehen, während der Glaskörper entfernt wird. Infektionen, Blutungen und Augendruckerhöhungen seien nach jeder Augenoperation möglich, aber zum Glück sehr selten, sagt Joachim Wachtlin.

Auch nach erfolgreichen Eingriffen können später Probleme auftreten. Laut Experten tragen Operierte ein erhöhtes Risiko, erneut eine Netzhautablösung zu erleiden. Trotzdem gebe es keine Alternative zur Operation und ohne Operation droht die Erblindung.

Oft trübten sich die Linsen der von einer Netzhautablösung oder Operation betroffenen Augen in der Folge ein. Es entsteht ein Grauer Star (siehe Seite 30). Dann müsse eine künstliche Linse eingesetzt werden, weswegen es häufig sinnvoll sei, diese beiden Operationen gleich zu kombinieren, sagt Wachtlin.

Die Redaktion des Magazins "Tagesspiegel Kliniken Berlin 2016" hat die Berliner Kliniken, die diese Erkrankung behandeln, verglichen. Dazu wurden die Behandlungszahlen, die Krankenhausempfehlungen der ambulanten Ärzte und die Patientenzufriedenheit in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, um den Patienten die Klinikwahl zu erleichtern. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel Shop.

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