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Brandenburg: Amphibien-Fahrzeuge sollen die Prignitz retten

Wie im August 2002 stopfen Bundeswehr-Pioniere die Deiche an der Elbe Der Wasserpegel hat fast den Höchststand aus dem Jahr 2002 erreicht

Rühstädt - Drei Stunden Schlaf mussten genügen. Hauptfeldwebel Stefan Schnittger kannte für seine 18 Rekruten kein Pardon. Im Morgengrauen wollte er mit seinen riesigen Amphibienfahrzeugen unbedingt den völlig durchweichten Deich vor Rühstädt in der Prignitz erreichen. Das Vorhaben gelang, obwohl die Einheit den Befehl zum Einsatz im Elbehochwasser mitten in einer Übung am Neckar im Südwesten Deutschlands erreichte. Knapp zwölf Stunden brauchte der ungewöhnliche Konvoi für die Tour quer durch das Land.

„Wir waren schon beim Hochwasser im August 2002 in der Prignitz dabei“, sagte der Hauptfeldwebel aus Minden. „Damals wurden wir als Retter in letzter Stunde gefeiert. Wenn wir diesmal wieder gerufen werden, muss die Lage also erneut schlimm sein.“ Diese Vermutung bestätigte sich schon in den ersten Minuten nach der Ankunft in dem für seine drei Dutzend Storchenhorste bekannten Dorf.

Kurz nach dem Eintauchen der vier Pontonboote in die Elbe kippten Kleintransporter die ersten Hundert Sandsäcke auf die Ladefläche. Dann heulten die Motoren der vier zusammengekoppelten Amphibien auf. Wie ein Meeresungeheuer setzte sich das Gefährt mit seinen 18 Soldaten und zehn Feuerwehrmännern an Bord in Bewegung. Ihr Ziel lag nur einige Hundert Meter entfernt. Am Rande von Rühstädt ist der Deich durch das anhaltende Hochwasser schon so durchgeweicht, dass er zu brechen droht. Die Kameraden der Feuerwehr stopfen nun von der Wasserseite aus die Löcher. Vom Land kommen die Helfer schon lange nicht mehr durch, weil hier das Wasser mittlerweile mehr als hüfthoch steht.

Die Touren des rund sechs Millionen Euro teuren Konvois wiederholten sich gestern ohne Pause. Immer wieder meldeten Deichläufer gefährliche Sickerstellen. Etwa 70 000 Sandsäcke bewahrten zumindest bis gestern Abend diesen Abschnitt der Prignitz vor einer Überschwemmung. Bei einem Deichbruch in diesem Rühstädter Bogen müssten 7 800 Menschen aus den Orten hinter dem Deich in Sicherheit gebracht werden.

Auch im August 2002 transportierten die Bundeswehr-Pioniere Sandsäcke an den Deich. Damals wurden sie allerdings auf die Dammkrone gestapelt, um eine Überschwemmung zu vermeiden. Zwei Millionen Sandsäcke hielten die Elbe in jenen dramatischen Tagen entlang des 75 Kilometer langen Brandenburger Abschnittes im Bett.

Diesmal wird die Höchstmarke wohl nicht erreicht, dafür drückt das Wasser jetzt viel länger auf die Dämme. „Für uns kommt das Hochwasser zwei oder drei Jahre zu früh“, sagte der Prignitzer Landrat Hans Lange (CDU). „Spätestens 2008 hätten wir sämtliche Deiche saniert. Ausgerechnet den Rühstädter Bogen haben wir noch nicht geschafft. Dabei ist er schon mehr als 150 Jahre alt.“ Er sei deshalb sehr froh, dass die Bundeswehr wieder mit ihrer „Zauberwaffe“ helfe.

Die praktischen Amphibienfahrzeuge der Bundeswehr sind ausschließlich in der Prignitz im Einsatz – wie bereits im August 2002. Dabei hätten sie auch in Sachsen, Sachsen Anhalt oder in Niedersachsen gute Hilfe leisten können. „Wir erhielten nur eine Anfrage aus Brandenburg“, bestätigte Hauptfeldwebel Schnittger. „Die Experten hier zögern eben nicht mit der Ausrufung des Katastrophenalarms, um sofort auf die Bundeswehr zurückgreifen zu können.“

Das unterscheidet die Verantwortlichen in Brandenburg von denen in Sachsen. Hier vermeidet es Ministerpräsident Georg Milbradt bis heute, mit Rücksicht auf die Tourismuswirtschaft von einer Katastrophe zu sprechen. Rühstädts Bürgermeister Jürgen Herper eilte gestern gleich in den frühen Morgenstunden zu den Bundeswehr-Amphibien, um die Militärs wieder als „Retter in letzter Stunde“ und als „gute Freunde“ an der Elbe willkommen zu heißen.

ELBE

In der Prignitz stand der Pegel am Freitag bei 7,25 Meter – nur noch rund zehn Zentimeter unter der Höchstmarke des Hochwassers im August 2002. Am Wochenende werden rund 200 Soldaten und 800 freiwillige Helfer bei der Sicherung der Deiche eingesetzt. Vor allem bei Rühstädt schätzen die Experten die Lage als „kritisch“ ein. Mindestens bis Ostern soll die Elbe auf die Dämme drücken. In Mühlberg im Südwesten sank der Pegel um rund 14 Zentimeter auf 8,20 Meter.

ODER

Der Fluss schwillt weiter an und erreichte in Ratzdorf an der Mündung

der Neiße in die Oder die zweithöchste Alarmstufe. Für Eisenhüttenstadt wird

dieser Wert für den heutigen Sonnabend erwartet.

HAVEL

Die Lage spitzt sich rund um Havelberg zu, weil der Fluss nicht mehr in die Elbe abfließen kann. Bis zur höchsten Alarmstufe fehlen 20 Zentimeter.

NIEDERSACHSEN

In Hitzacker wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Noch am Freitagabend wurde in der Kleinstadt ein Pegelstand von 7,55 Metern erwartet, vier Zentimeter mehr als beim Jahrhunderthochwasser 2002. In Lauenburg (Schleswig-Holstein) stieg der Elbpegel am Freitag auf die neue Rekordmarke von 8,83 Metern und damit 13 Zentimeter höher als 2002.Ste.

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