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Brandenburg: Auf die Werte kommt es an

Brandenburger Politiker suchen nach Gründen für Gleichgültigkeit gegenüber Mitmenschen

Potsdam - Die durch den mutmaßlichen neunfachen Babymord von Frankfurt (Oder) ausgelöste Debatte um Gewalt in Brandenburg geht weiter. Zwar hält die Empörung über Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) an, der sich für seine Aussage von den Wurzeln der Verwahrlosung, die in „Zwangskollektivierung“ und „Proletarisierung“ unter dem SED-Regime lägen, inzwischen entschuldigt hat: er habe niemanden verletzen wollen. Aber in einem Punkt erhält Schönbohm durchaus Zustimmung: Auch führende Politiker von SPD und Linkspartei halten eine „Wertedebatte“ inzwischen für notwendig.

„Es gibt einen Wertemangel im Land, ein zu verbreitetes Wegschauen“, sagte der voraussichtliche SPD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl und Ex-Minister Steffen Reiche. Man könne sich aber, zitierte Reiche Bert Brecht, kein neues Volk wählen – „eher sucht sich das Volk neue Minister.“ Seine Kritik an Schönbohm: „Um etwas gegen Wertemangel zu tun, muss man das Volk wertschätzen, nicht beschimpfen.“ Schönbohms Aussagen seien dabei „nicht hilfreich.“ Zugleich wies der frühere Pfarrer und Schulminister selbst auf drohende Bildungsdefizite in den ländlichen Regionen hin. Es seien Leistungsfähige, Gebildetere, die ins Berliner Umland oder in die alten Bundesländer abwanderten, was Folgen habe. „Das ist ein stärkeres Problem als in anderen Ländern“, sagte Reiche. „Man muss also in jene, die bleiben, besonders viel investieren, auch um Verwahrlosungstendenzen vorzubeugen“. Vor diesem Hintergrund sei etwa das Schulfach Lebensgestaltung, Ethik, Religion (LER), mit dem auch Kinder aus nichtchristlichen und bildungsfernen Elternhäusern an Werte herangeführt würden, umso wichtiger.

Die CDU-Spitzenkandidatin Katherina Reiche sagte, auch eine sachliche Debatte über Spätfolgen der DDR-Dikatur sollte geführt werden – aber nach der Wahl und nicht im Zusammenhang mit einem so singulären grausamen Verbrechen wie dem mutmaßlichen Babymord, der nicht für Ost-West-Vergleiche tauge. „Wir sollten uns eines Tages dafür Zeit nehmen.“ So sei es vielleicht denkbar, dass es einmal wie die 68-er Generation im Westen eine 89-er Generation im Osten gebe, die Fragen nach Verantwortung in der DDR stelle.

Katherina Reiche machte keinen Hehl daraus, dass Schönbohms Aussagen ein Fehler gewesen seien und der Union im Wahlkampf schaden würden. „Er würde das nicht mehr wiederholen.“ Im ZDF hatte Schönbohm noch bekräftigt, dass im totalitären System der DDR Wertevermittlung „sehr klein geschrieben“ worden sei. „Der Staat gab Werte vor. Und in der DDR war es ja auch so, dass man gut dabei fuhr, wenn man nicht zu sehr Anteil nahm am Nachbarn oder anderen Dingen.“ Die Spitzenkandidatin der Linkspartei, Dagmar Enkelmann, widersprach: Es sei eine Folge der Wende-Umbrüche, dass sich die Menschen heute „stärker verschanzen“, weniger Anteil am Nachbarn nehmen als zu DDR-Zeiten.

Eine konkrete Konsequenz aus dem Babymord regte Katherina Reiche an: In Brandenburg sollte das Angebot an „Babyklappen“ ausgeweitet werden – als präventives Angebot für Frauen in Notsituationen, um Kindstötungen zu verhindern. Bislang gibt es davon im Flächenland nur eine in Potsdam, bei der bislang noch nie ein Kind abgegeben wurde. Das Sozialministerium sieht für mehr Babyklappen bislang keine Notwendigkeit.

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