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Brandenburg: "Bombodrom" entschärft: Bundeswehr erleidet Niederlage im Rechtsstreit um Truppenübungsplatz

Mit Sekt, selbstgebackenem Kuchen und Plätzchen feierte die Bürgerinitiative "Freie Heide" gestern auf dem Fußweg vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin ihren Sieg im Rechtsstreit gegen die Bundesrepublik. Zuvor hatte der 4.

Mit Sekt, selbstgebackenem Kuchen und Plätzchen feierte die Bürgerinitiative "Freie Heide" gestern auf dem Fußweg vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin ihren Sieg im Rechtsstreit gegen die Bundesrepublik. Zuvor hatte der 4. Senat entschieden, dass der 13 000 Hektar große Truppenübungsplatz südlich von Wittstock "derzeit nicht von der Bundeswehr weitergenutzt werden darf". Zuerst müssten die umliegenden Gemeinden in gebotener Weise angehört werden, um deren Betroffenheit durch den Übungsbetrieb zu ermitteln. Nachdrücklich stärkte das Gericht das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Diese müssten Beschränkungen nur hinnehmen, wenn "dies zur Wahrnehmung übergeordneter staatlicher Aufgaben erforderlich ist". Mit seinem Urteil bestätigte der Senat die Entscheidungen des Brandenburgischen Oberverwaltungsgerichtes vom März vergangenen Jahres.

Ein vor dem Gerichtsgebäude ausgebreitetes großes Bettlaken mit den Umrissen des unweit der Autobahn nach Hamburg gelegenen Übungsplatzes verdeutlichte die Dimensionen der Kyritz-Ruppiner Heide. 17 Orte liegen unmittelbar an der Grenze zum "Bombodrom", andere wie Rheinsberg oder Neuruppin befinden sich in der Nähe. Der Name "Bombodrom" stammt noch aus der "Russen-Zeit", wie die Einwohner die mehr als vier Jahrzehnte währende Präsenz der Soldaten mit dem Stern an der Mütze nennen. In einer Nacht- und Nebelaktion besetzten die sowjetischen Truppen Anfang der fünfziger Jahre die Heide. Tägliche Übungen von Tieffliegern, Bombenflugzeugen und Panzern machten ein normales Leben schier unmöglich. "Als die Soldaten 1992 in ihre Heimat abzogen, atmeten wir buchstäblich auf", sagte der Bürgermeister von Schweinrich, Helmut Schönberg. Doch dann meldete die Bundeswehr ihr Interesse an den Platz an. Er eigne sich wegen seiner großen Ausdehnung ideal zum Abwerfen von Übungsgranaten, hieß es damals zur Begründung. Außerdem könnte hier das Zusammenwirken zwischen Luft- und Bodentruppen trainiert werden. Die Kyritz-Ruppiner Heide sollte gleichzeitig die beiden anderen deutschen Bombenabwurfplätze in Niedersachsen und Bayern entlasten, wobei viele Übungen ohnehin schon in Nordamerika stattfinden.

Doch die Bundeswehr hatte wohl nicht mit dem Widerstand der Anwohner gerechnet, die sich regelrecht überrumpelt fühlten. Bürgermeister und Pfarrer organisierten eine heute beispiellose Protestbewegung, die schließlich auch vor Gericht zog. Stellvertretend klagten die Gemeinden Rossow und Schweinrich gegen die Bundesrepublik. "Das ist ein Sieg der Menschen und des Rechtsstaates", sagte der Anwalt Rainer Geulen. "Ich hoffe, die Bundeswehr baut bis Weihnachten Zäune und Sperrschilder ab."

Sein Berufskollege von der Gegenseite, Volker Dießelberg, sah nach dem Urteil "noch nicht alles verloren". Die vom Gericht geforderte Anhörung der Gemeinden könne schnell nachgeholt werden. Danach sei der Weg für ein neues Verfahren für den Übungsplatz frei. Schließlich habe das Bundesverwaltungsgericht auf die Regelungen im Einigungsvertrag von 1990 verwiesen. Danach seien die von den sowjetischen Truppen genutzten Liegenschaften ins Eigentum der Bundesrepublik übergegangen. Das weitere Vorgehen der Bundeswehr werde erst noch beraten.

Während sich die zahlreichen Anhänger der Bürgerinitiative vor dem Gericht ihre Feierstimmung nicht trüben lassen wollten und von Tourismuskonzepten erzählten, herrschte bei den Anhängern der Initiative "pro Bundeswehr" tiefe Enttäuschung. "So ein Übungsplatz mit einer gleichzeitig versprochenen 1200-Mann-Garnison in Wittstock wäre eine riesige wirtschaftliche Chance für die Region gewesen", erklärte Sprecherin Rosemarie Priebus. Die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete sprach von jährlich 27 Millionen Mark Umsatz, die die Garnison für den örtlichen Mittelstand gebracht hätte. Allein für den Ausbau der Infrastruktur seien 300 Millionen Mark vorgesehen gewesen.

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