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Brandenburg: Die "Kinder von Golzow": Ein Museum am Originalschauplatz

Die Einladung ins kleine Dorf Golzow im Oderbruch klang nicht sehr spannend. Zweimal in der Woche werde in der Schule ein früheres Klassenzimmer mit Fotos, Briefen, Plakaten und Drehbüchern aufgeschlossen.

Die Einladung ins kleine Dorf Golzow im Oderbruch klang nicht sehr spannend. Zweimal in der Woche werde in der Schule ein früheres Klassenzimmer mit Fotos, Briefen, Plakaten und Drehbüchern aufgeschlossen. Dann könnten sich Besucher mit der "längsten Langzeit-Dokumentation der Filmgeschichte" vertraut machen, hieß es da. Selbst die beigelegte Agenturmeldung, in der von einem "Denkmal" für die Reihe "Kinder von Golzow" die Rede war, steigerte nicht die Neugier. Doch an Ort und Stelle erwies sich die Skepsis als falsch. Aus dem geplanten kurzen Abstecher wurde ein ganzer Nachmittag mit einem Entschluss beim Abschied: Wiederkommen und Zeit mitbringen. Denn die "Kinder von Golzow" erzählen spannende, traurige, abenteuerliche, unwahre und alltägliche Geschichten - vom Leben im Osten zwischen 1961 und heute.

In der neuen Ausstellung werden sie an zwei Tagen in der Woche lebendig. Dann laufen Kopien fast aller der nunmehr 16 Filme der beispiellosen Reihe "Kinder von Golzow". Winfried Junge hat mit seiner Frau Barbara die Lebensläufe von vor 39 Jahren eingeschulten Mädchen und Jungen festgehalten. 13 Porträts sind entstanden. Für weitere wäre das Material vorhanden, sagt der heute 57-jährige Dokumentarfilmer. Die letzten Folgen konnten dank der Kooperation mit dem ORB, SR, SWR und der Defa-Stiftung abgedreht werden. Am nächsten Dienstag erlebt der vorerst letzte Film "Ein Mensch wie Dieter" im Ufa-Palast von Frankfurt (Oder) um 19 Uhr seine Premiere.

Über jeden einzelnen Streifen haben die beiden vom Arbeitsamt bezahlten Golzower Frauen Sylke Müller und Martina Smyk zusammen mit den Autoren Fotos, Drehbücher und persönliche Erinnerungen der Zeitzeugen zusammengetragen. Elf Monate wirbelten sie in dem ehemaligen Klassenraum und müssen nun doch um die Zukunft bangen. Ende Oktober läuft die "Strukturanpassung" - vergleichbar mit ABM - aus. Deshalb stehen feste Öffnungszeiten nur bis Ende Oktober fest. Doch Bürgermeister Christian Dorn hofft auf eine Verlängerung der Stellen durch das Arbeitsamt. "Golzow ist durch die Filmreihe bekannt geworden. Immerhin liefen die Streifen auf vier Kontinenten", sagt Dorn. Schon deshalb kämen sicher Touristen in den Ort, um einmal den Originalschauplatz kennen zu lernen. Zusammen mit dem nahen Fort Gorgast und dem Dorfmuseum im Nachbarort Friedrichsaue könne die Gegend bestimmt Neugierige anziehen, meint der Bürgermeister.

Beim Rundgang weist er jeden Gedanken an Ostalgie zurück, die sich beim Blick in die Vitrinen mit einigen typischen DDR-Utensilien aufdrängen könnte. "Wir wollen die Geschichte so zeigen, wie sie wirklich war", erklärt der Gemeindechef. "Unverfälscht, authentisch, eben mit den eigenen Worten unserer Golzower." Nicht ganz zufällig sei gerade das rund 80 Kilometer östlich Berlins gelegene Dorf für den Film vor 40 Jahren ausgesucht worden. Ursprünglich hatte eine Schule in Eisenhüttenstadt - damals als "erste sozialistische Stadt" gefeiert - der Schauplatz sein sollen. Doch da sich dort die Filmleute ohnehin die Klinke in die Hand gaben, entschied sich Winfried Junge für das etwas abgelegene Golzow.

Die meisten Ausstellungsbesucher finden sich nach einer Weile unvermeidlich in einem der alten Kino-Klappsessel vor dem Fernseher wieder. Zwar sollten die Filme über die Kinder von Golzow eigentlich nur nach Voranmeldung oder auf ausdrücklichen Wunsch laufen, doch das große Interesse hat diese Regelung längst durchbrochen. Wer wegen des Filmes in das Oderbruchdorf fährt, möchte schließlich auch wenigstens einige Teile sehen.

Recht unterschiedlich fällt die Reaktion des Publikums im kleinen Kinoraum aus. Während viele Ostler vor allem eigene Erinnerungen auffrischen und sich heute über so manche Formulierung wie "sozialistische Persönlichkeit" oder "große Gemeinschaft des werktätigen Volkes" amüsieren, betrachten Westler oder junge Leute die Filme doch als Lehrstunde. So eingehend hatten sich viele noch nie mit dem Geschehen und den vielbeschworenen Befindlichkeiten jenseits der Elbe beschäftigt.

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