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Brandenburg: Er kennt die Opfer, nennt die Namen

Seit Jahren kämpft Heinz Grünhagen in Strausberg um eine angemessene Würdigung des Aufstands vom 17. Juni. Im Frühjahr soll es soweit sein

Strausberg. Das Vertrauen hat Heinz Grünhagen schon vor über fünfzig Jahren verloren. Damals saß er nach dem Aufstand vom 17. Juni im Untersuchungsgefängnis. Nächtliche Verhöre, Fußtritte, später monatelang Einzelhaft. „Die haben mich kaputtgemacht“, sagt der heute 71-Jährige. Nach der Wende hat er in Strausberg jahrelang für eine angemessene Würdigung der Opfer des Aufstandes gekämpft, jetzt ist er kurz vor dem Ziel. Aber er mag nicht daran glauben.

Strausbergs Bürgermeister Hans Peter Thierfeld hat erklärt, noch in diesem Frühjahr werde die Gedenktafel aufgestellt, für die sich Heinz Grünhagen so lange eingesetzt hat. Eine Tafel, auf der die Namen derer stehen, die wie Grünhagen am 18. Juni 1953 von der Stasi abgeholt und später zu jahrelanger Haft verurteilt wurden.

Doch erst im Mai, kurz vor dem 50. Jahrestag des Aufstandes, war im Strausberger Rathaus unter Thierfelds Vorsitz über eben diese Tafel abgestimmt worden. Keiner hob damals die Hand dafür. „Die Zeit war noch nicht reif“, sagt Thierfeld heute. Die Leute in der Stadt hätten sich nicht hineindenken können in das Schicksal von Grünhagen und den anderen Verurteilten. „Wer hat denn die Zeit und den Willen für diese Auseinandersetzung?“, fragt der Bürgermeister. Strausberg war in der DDR Sitz des Verteidigungsministeriums. Heute ist die PDS die stärkste Partei.

Jahrelang hatte Heinz Grünhagen schon kämpfen müssen, bis am 17. Juni 2001 in Strausberg überhaupt ein Gedenkstein für die Opfer des 17. Juni aufgestellt wurde – jedoch ohne die Namen der Aufständischen zu nennen (der Tagesspiegel berichtete). Grünberg wollte auch die Verurteilten und ihre Haftstrafen auf dem Stein verzeichnet sehen. Doch die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung lehnten ab. Ein gebe einen Gedenkstein ohne die Namen oder gar keinen. Man dürfe schließlich nicht die anderen Opfer vergessen, so die Begründung – die Opfer auf Seiten der Staatsmacht. Vergangene Woche nun war Grünhagen zur Eröffnung einer Ausstellung zum 17. Juni in Brandenburg in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen als Zeitzeuge eingeladen. Erzählte, wie er als Vorarbeiter auf einer Baustelle zu einem der Streikführer wird. Fast vier Jahre geht er dafür ins Gefängnis. Manchmal muss er die Tränen niederringen. Doch dann redet er sich in Rage: Wie es sein könne, dass in der Strausberger Verwaltung noch heute hohe Stasi-Funktionäre sitzen? Als er über seinen Kampf um die Gedenktafel berichtet, spricht er von „Verrat und Verhöhnung der Opfer“. Es sind Sätze, die viele in Strausberg nicht gern hören.

Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte, kennt Grünhagen schon seit Jahren. Er hat schon öfter darauf hingewiesen, dass dem 17. Juni die Gesichter fehlen, die identifizierbaren Personen – die Namen. Am Tag nach Grünhagens Auftritt rief Knabe bei Hans Peter Thierfeld an und „überredete ihn“. Er erklärt ihm auch, dass er als Bürgermeister die Tafel mit den Namen als Zusatz zu dem existierenden Gedenkstein ohne das Votum der Stadtverordneten veranlassen kann. Nun stimmt Thierfeld zu. Er habe den Gedenkstein mit den Namen eigentlich immer gewollt, sagt er nun. Freilich habe Knabes Anruf die Sache „beschleunigt“. In dieser Woche, sagt Thierfeld, will er sich mit Grünhagen zusammensetzen.

Doch der glaubt ihm nicht; glaubt nicht, dass die Tafel mit den Namen jetzt geschaffen werden soll. Er hat kein Vertrauen mehr.

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