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© A. Müller

Griebnitzsee: Hindernislauf für Fortgeschrittene

Im Streit um den Uferweg am Griebnitzsee steht am achten Mai die nächste Entscheidung an: Bis dahin will die Stadt wissen, ob die Anwohner Teile ihrer Grundstücke verkaufen. Zeit für eine Ortsbegehung. Kommt man trotz Absperrungen noch um den See herum?

Es ist still am Griebnitzsee. Nur ein eifriger Specht ist zu hören, der irgendwo in den Baumkronen auf der Suche nach seinem Mittagessen ist. Ein Schild am Ufer begrüßt Fußgänger und Fahrradfahrer, es ist Platz für beide. Das hört sich gut an. Die Sonne scheint, ideale Vorraussetzungen also für einen ausgedehnten Spaziergang am Seeufer. Doch gleich hinter dem Hotel mit Seeblick beginnt der Mauerbau, pardon, der Bauzaun. Direkt dahinter stehen säuberlich zurechtgeschnittene Topfpflanzen in Reih und Glied, der Weg ist versperrt, bis runter zum Wasser. Kein Durchkommen, und kein Anwohner weit und breit. Nur eine etwas ratlose Passantin steht auch vor dem Zaun. Sie hat zwar von der Sperrung gewusst, aber gedacht sie komme trotzdem irgendwie vorbei, auf einem schmalen Trampelpfad oder so. Falsch gedacht, ohne Paddelboot ist sie hier chancenlos. Vielleicht bietet ja die andere Richtung mehr Platz für Ausflügler?

Insgesamt acht Hausbesitzer am Griebnitzsee haben ihre Grundstücke – samt Uferweg – gesperrt. Ein sichtbares Zeichen dafür, dass hier irgendetwas gehörig schief gelaufen sein muss. Seit Jahren schon streitet sich die Stadt Potsdam mit den Anliegern um den Grund am See, der laut Gerichtsentscheid auch ganz klar den Anliegern gehört. Doch die Stadt hat hier einen Uferpark geplant und will den Weg frei zugänglich für alle halten. Die Anrainer dagegen verteidigen ihr Recht auf einen Privatgarten, der bis an den See reicht. Schließlich haben sie genau dafür bezahlt, als die Grundstücke nach der Wende verkauft wurden. Die Stadt Potsdam kaufte nicht, ihr war das zu teuer.

Die Mauer mahnt

Der Uferweg in die entgegen gesetzte Richtung, weg von der Sperre, ist völlig frei. Doch auch hier sind seltsame Aktivitäten im Gang: Männer stapfen durch das Unterholz am See und vermessen das Gelände. Auf einer Wiesenfläche am Ufer stehen verstreut weiße Plastikgartenstühle in der Sonne. Sind die jetzt für alle da, oder gehören sie zum Haus dahinter? Die werkelnden Bauarbeiter können keine Auskunft geben, eine Absperrung gibt es nicht. Schaut einladend aus hier. Ein paar Meter weiter steht dann tatsächlich eine Mauer in der Landschaft! Doch es ist gar keine Absperrung, es ist ein Stück Berliner Mauer, zum Gedenken an die 17 Menschen, die beim Fluchtversuch aus der DDR von Grenzern hier in der Gegend erschossen wurden. Beklemmung macht sich breit, nur der Specht klopft unbeirrt weiter.

Den acht mauerbauenden Grundstückseignern wird von Seiten der Stadt vor allem eines vorgeworfen: Mangelnde Verhandlungsbereitschaft. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs lässt ihnen nun ein letztes Kaufangebot unterbreiten, zu welchem Preis steht allerdings noch nicht fest. Dennoch, bis zum 8. Mai sollen sie sich entscheiden, ob sie grundsätzlich dazu bereit wären, der Stadt das fragliche Grundstück abzutreten. Falls nicht, droht Jakobs mit Enteignung – ein Kurs, den außer der Linken kaum noch jemand unterstützt. Ein Bürgerbegehren, das die Linke am ersten Mai startet, soll die „politische Legitimation“ dafür bringen.

„Ja, das ist die Habgier“

Nächster Versuch einer Seeumrundung, wieder bei Absperrung Nummer eins. Irgendwie muss es hier ja einen Weg geben. Wenn nicht mittendurch, dann doch Außenrum. „Ja, das ist die Habgier der Leute“ meint ein Mann, der auf der Straße mit seinem Hund unterwegs ist. „Hier den Weg dürfen Sie lang gehen, aber da kommen sie nicht weit. Nach ein paar Metern ist Schluss“. Eine junge Frau mit Kinderwagen schüttelt traurig-bestätigend mit dem Kopf. „Ja, so ist das.“ Die beiden sind Experten, schließlich waren sie bis vor kurzem täglich am See unterwegs. Aber so schlimm kann das doch alles nicht sein, immerhin wirbt hier das Truman-Haus mit dem Slogan „Für die Freiheit“. Auf Schildern ist zu lesen, dass Fußgänger und rücksichtsvolle Fahrradfahrer willkommen sind. Klingt viel versprechend, doch nach einigen Metern mit Seeblick ist wieder Schluss. Der Weg endet abrupt, in einem kleinen Wald Koniferen, mitten auf dem Pfad. Nicht hoch, man kann gut daran vorbei gucken, auf mehrere Boote die leicht auf dem See schaukeln. Der Spaziergang scheint doch länger zu werden, als eigentlich geplant, die Füße kochen. Der Bootssteg lädt ein zum Hinsetzen, Schuhe ausziehen und Zehen ins Wasser stecken. Doch hier ist kein Durchkommen. Ein neuer Weg muss her.

Kompromissangebote wurden abgelehnt

Rechtsanwalt Christoph Partsch vertritt seit Jahren sechs der Anwohner, und sieht den Uferstreit ganz anders als die Stadt Potsdam. Mangelnde Kooperationsbereitschaft bei seinen Mandanten kann er nicht erkennen. Schließlich wurden Kompromissangebote, wie etwa den Weg tagsüber offen zu halten und nur nachts zu schließen, von der Stadt „mit Hohnlachen abgelehnt“, berichtet er. Auf den Vorschlag, den Uferweg als Stiftung zu führen, gab es noch nicht einmal eine Reaktion. Auch sonst beklagt Partsch einen eher unpassenden Tonfall im Umgang mit den Grundstückseignern: Die letzte Einladung zum Gespräch habe sich wie eine Drohung gelesen, die Anwohner sollten ohne Rechtsbeistand erscheinen. Gespräche auf Augenhöhe stellt er sich anders vor.

Trotz schmerzender Füße also schnell weitergetrabt, zurück zur Straße, die nächste Einmündung Richtung See kann nicht weit sein. Doch dort ist sofort Schluss: Sobald der Weg auf das Ufer trifft, stehen links und rechts wieder Bauzäune. Ein Schild informiert, dass dies hier Privatgelände ist. Der See lockt, zwei Ausflügler sind mit ihrem Kanu unterwegs, Schiffe ziehen vorbei. Ein Boot wäre jetzt nicht schlecht, um die Absperrungen zu umfahren. Über einen Steg oder ein Wassertaxi wird auch in Potsdam gerade diskutiert, zumindest als Übergangslösung für den Sommer. Ohne Bauzäune und Flatterband wäre hier eine richtige Idylle - wenn es nur nicht immer wieder stark nach Hundekot riechen würde. Ist das die Rache der Spaziergänger? Einige der umstrittenen Anwohner mussten solche Hinterlassenschaften schon als unmissverständlichen Gruß in ihren Briefkästen vorfinden. Ob das die Kompromissbereitschaft bei Verhandlungen fördert?

Hindernislauf für Fortgeschrittene

Um doch noch eine Lösung zu finden, ohne Enteignung, fordern SPD, CDU und Grüne ein Mediationsverfahren. Einen ehemaligen Justizminister könnte sich SPD-Fraktionschef Mike Schubert dafür vorstellen, um endlich „raus aus den Schützengräben“ zu kommen, weg von persönlichen Verletzungen. Einen Mediator findet auch Rechtsanwalt Partsch grundsätzlich nicht verkehrt, man sei weiterhin zu Verhandlungen bereit. Das Kaufangebot der Stadt allerdings wird wohl keiner seiner Mandanten annehmen. Die Anwohner kämpften ja nicht 17 Jahre, um ein bisschen Geld zu verdienen, meint er. Und auch ein Enteignungsverfahren ist eher unwahrscheinlich: Das Innenministerium hat bereits durchblicken lassen, dass es noch lange nicht alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sieht.

Die mittlerweile fünfte Absperrung setzt allen Ambitionen zur körperlichen Ertüchtigung an der frischen Luft dann doch ein Ende. Zwar ist Spazieren auf der Straße in dieser Gegend auch ganz nett, aber es ist frustrierend den See immer nur durch Gartenzäune durchblitzen zu sehen. Das ewige Hin und Her zwischen Uferweg, Absperrung und Straße schlaucht ganz schön, das falsche Schuhwerk tut sein übriges. An manchen Häusern hängen Transparente mit der Aufschrift „Uferweg für alle“, eine Familie informiert am Gartenzaun „Wir sperren nicht!“. Auch das gibt es am Griebnitzsee. Bleibt nur zu hoffen, dass sich alle Beteiligten doch noch einmal zu einem konstruktiven Gespräch zusammen finden. Vielleicht genau hier, am Ufer, mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Auf Augenhöhe, versteht sich.

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