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Luebbenow

© Matthias Matern

Lübbenow: Verstecktes Mädchen: Vom Leben abgeschottet

Im Fall des versteckten Mädchens aus der Uckermark geben die Behörden Fehler zu. Bereits vor drei Jahren bekam die Familie Besuch vom Jugendamt. Dass das Mädchen nicht zur Schule ging, wunderte den zuständigen Mitarbeiter nicht.

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Die geistig behinderte 13-Jährige hat noch nie eine Schule gesehen, ihre Eltern haben sie verwahrlosen lassen und komplett von der Umwelt abgeschottet: Einen Tag nach Bekanntwerden dieses dramatischen Falls von Kindesvernachlässigung hat das zuständige Jugendamt in Prenzlau „Versäumnisse“ eingestanden. Dem Amt ist die Familie bereits seit 2006 bekannt. Dies gab die Sprecherin des Landkreises Uckermark, Ramona Fischer, zu. Bereits im ersten Halbjahr 2006 hatte es demnach einen Hinweis eines Nachbarn an das Jugendamt gegeben. Er habe die Vermutung geäußert, dass das Mädchen nicht zur Schule gehe. „Daraufhin hat ein Mitarbeiter des Jugendamtes die Familie aufgesucht“, berichtet Fischer. Doch eine „Gefährdung des Kindeswohls“ habe er bei dem Mädchen nicht gesehen. Die Eltern des Kindes hätten ihm fälschlicherweise erzählt, dass die Tochter aufgrund ihrer Behinderung von der Schulpflicht zurückgestellt sei. Dies habe der Mitarbeiter so hingenommen und sei wieder gegangen, sagte Fischer. „Warum er nichts unternommen hat, ist unklar. Das werden wir prüfen.“ Ein solcher Fehler hätte nicht passieren dürfen, dies sei „ganz klar ein Versäumnis“.

Nachdem sich ein weiterer Nachbar gemeldet hatte, habe sich sofort Landrat Klemens Schmitz eingeschaltet. Er wies alle Ämter an, die Fehler und Lücken im System aufzudecken. Unter anderem müsse auch die Frage geklärt werden, warum das Kind gar nicht erst zur Einschulungsuntersuchung bestellt worden war.

Die Betroffenheit der Einwohner in dem beschaulichen kleinen Dorf am Rande der Uckermark war gestern groß. Auch sie fragen sich, wieso die Behörden erst so spät reagiert haben. Dabei war selbst vielen Lübbenowern die Existenz der 13-Jährigen angeblich lange unbekannt. „Ich war richtig erschrocken, dass es da noch ein drittes Kind gibt“, sagt Ortsvorsteherin Karina Dörk. Christine Wernicke, parteilose Bürgermeisterin der Gemeinde Uckerland, verweist bei der Frage nach der Verantwortung auf den Kreis. „Alle fünf Personen, die Eltern und drei Kinder, waren bei uns angemeldet“, versichert sie. Vor rund vier Jahren sei dann ihrer Vorgängerin aufgefallen, dass eines der Kinder nie in der Grundschule vorgestellt wurde. „Daraufhin wurde das Jugendamt in Prenzlau informiert“, erzählt Wernicke.

Wie berichtet, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Eltern der 13-Jährigen wegen Verdachts der Vernachlässigung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und wegen Misshandlung. Zwar soll das Kind nicht geprügelt worden sein, doch wenn sich herausstellen sollte, „dass es durch die Vernachlässigung der Eltern gesundheitliche Beschädigungen erlitten hat, dann droht eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu 10 Jahren“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Jürgen Schiermeyer. Er betonte, dass das Mädchen nicht von den Eltern in einem Verlies oder Ähnlichem eingesperrt worden war. Auch sei das Kinderzimmer nicht vergittert oder verschlossen gewesen. „Doch die Eltern haben es dennoch von der Umwelt abgeschottet. Es gab für das Mädchen keinerlei soziale Kontakte nach außen“, sagte Schiermeyer.

Die Ermittlungen laufen bereits seit dem 15. Juli – an diesem Tag hatte die Polizei das Kind aus dem Haus der Eltern geholt, nachdem ein Nachbar sich an die Behörden gewandt hatte. Das Mädchen wurde in eine Klinik gebracht, wo es immer noch ist. „Es wird fachärztlich untersucht, auch um festzustellen, welche Art von Behinderungen es hat“, sagte die Landkreissprecherin. Danach werde über weitere Schritte entschieden. Das Familiengericht habe dem Beschluss des Jugendamtes, den Eltern ein Teil des Sorgerechts zu entziehen, am Dienstag zugestimmt. Über das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge entscheidet nun das Jugendamt. Die beiden Geschwister des Mädchens – ein 14-jähriger Bruder und eine elfjährige Schwester – dürfen bis auf Weiteres bei den Eltern bleiben. Bei ihnen gebe es keine Anzeichen von Verwahrlosung. Auch hätten sie regelmäßig die Schule besucht.

Bewohner aus Lübbenow berichten, dass die Familie etwa vor neun Jahren aus Berlin in die Uckermark gezogen sei. Allerdings habe sie sich nicht am Dorfleben beteiligt. Ortsvorsteherin Dörk berichtet, sie habe den Vater nur etwa fünf Mal gesehen. „Dabei hat er auf mich immer einen angetrunkenen Eindruck gemacht.“ Die beiden anderen Kinder seien dagegen immer recht ordentlich angezogen gewesen. „Die Mutter habe ich stets nur im Auto gesehen, wenn sie die zwei in die Schule gebracht hat.“ Gearbeitet haben wohl beide nicht. Auf dem Grundstück der Familie war gestern niemand zu sehen. Fenster und Türen waren verschlossen. Diesmal hat sich die gesamte Familie nach außen abgeschottet. 

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