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Brandenburg: Nach Polen, um die Pappe wiederzubekommen Immer mehr deutsche Autofahrer, die ihren Führerschein verloren haben, machen im Nachbarland einen neuen – und sparen sich den „Idiotentest“

Stettin - „Ohne Idiotentest“: Dick steht der Hinweis in den Anzeigen. Manchmal liest man sogar die exakte Bezeichnung „Medizinisch-psychologische Untersuchung – MPU“.

Stettin - „Ohne Idiotentest“: Dick steht der Hinweis in den Anzeigen. Manchmal liest man sogar die exakte Bezeichnung „Medizinisch-psychologische Untersuchung – MPU“. Die Kunden springen auf jeden Fall an, auch wenn das Angebot eine längere Anfahrt erforderlich macht. Denn die Fahrlehrer und Prüfer arbeiten mindestens 80 Kilometer nordöstlich Berlins – in Polen. Die mit Zug oder Auto gut erreichbare Großstadt Stettin (Szczecin) hat sich zum Zentrum von Fahrschulen entwickelt, die sich auf deutsche Interessenten spezialisiert haben. Bis vor einem Jahr zog es vor allem Fahranfänger wegen des Preis- und Zeitvorteils nach Polen – jetzt wollen hier zu 90 Prozent ganz andere „Schüler“ einen EU-Führerschein machen: in Deutschland ertappte Verkehrssünder, die wegen Trunkenheit, Raserei, einem zu hohen Punktekonto in Flensburg ihre Pappe abgeben mussten.

Wer den Führerschein wiedererlangen will, muss in der Regel erst die MPU bestehen. In Polen aber gibt es diesen psychologischen Eignungstest nicht. Zwar setzt ein hier von Ausländern erworbener EU-weit gültiger Führerschein einen mindestens 185 Tage währenden Aufenthalt voraus, aber die Scheinanmeldung in einem polnischen Wohnheim gehört mit zum Service der Fahrschulen. Nach Berichten einer Stettiner Zeitung erteilte die Stadt in den ersten fünf Monaten des Jahres mehr als 1000 Ausländern eine Aufenthaltsgenehmigung. 80 Prozent davon waren Führerschein-Prüflinge. Sie zahlen für ein paar Pflicht-Fahrstunden und die Prüfungen einschließlich Dolmetscher nicht mehr als 1100 bis 1300 Euro. In Deutschland können leicht mehrere tausend Euro anfallen, wenn jemand mehrfach durch die MPU fällt – was keine Seltenheit ist.

Bewusst nehmen die deutschen Teilnehmer dabei in Kauf, dass bei einer gründlichen Polizeikontrolle ihre in Flensburg gespeicherten Verfehlungen zum Vorschein kommen und sie sich eine Betrugsanzeige einhandeln. Aber das Risiko hält sich in Grenzen. Die Polizei ist nicht verpflichtet, eine Datenabfrage beim Kraftfahrtbundesamt zu starten, wenn ihnen ein deutscher Staatsbürger einen in Polen erworbenen Führerschein zeigt. „Das wäre der beste Weg, um den Missbrauch einzudämmen“, sagt Christian Weibrecht vom Bundesverkehrsministerium. Die MPU solle doch gerade prüfen, ob der Verkehrssünder aus seinen Fehlern gelernt habe. „Jeder, der sich auf den Schwindel einlässt, macht sich strafbar“, unterstreicht Weibrecht.

Aber im Verkehrsrecht lässt die Europäische Union einige Schlupflöcher zu. So könnte eine bessere Zusammenarbeit der jeweiligen Verkehrsbehörden alle Betrugsversuche unterbinden: Wenn die deutschen Fahrschüler nämlich einen amtlich beglaubigten Auszug aus der Verkehrssünderkartei vorlegen müssten. Aber die Prüflinge müssen in Polen nur eine eigenhändige Erklärung vorlegen, dass sie frei von einem gerichtlichen Fahrverbot seien. „Wir arbeiten mit den polnischen Kollegen daran“, sagt Weibrecht.

Die Polizei jedenfalls scheint bei ihren Kontrollen nicht allzu wirkungsvoll zu sein. „Jeder Beamte kann vor Ort die Umstände bewerten und eine Anfrage beim Kraftfahrtbundesamt stellen“, erklärt der Sprecher des Brandenburger Innenministeriums, Wolfgang Brandt. „Dafür muss er allerdings erst den Verdacht haben, dass ein Autofahrer unberechtigterweise im Besitz einer Fahrlizenz ist.“ In der Regel unterbleibe in Brandenburg diese Anfrage in Flensburg.

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