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Unprätentiös und doch raffiniert: die Berliner Gastronomie zeigt sich im Wyclef's in Hochform

© Kai-Uwe Heinrich

Von TISCH zu TISCH - die Restaurantkritik: Wyclef’s

Ein Lichtblick im kulinarisch unterversorgten Moabit: ein Lokal mit kreativer Küche zu bodenständigen Preisen.

Endlich wird der schöne Raum, in dem früher das „Richwater & Mitchell“ zu Hause war, wieder bespielt. „Wyclef’s“ heißt es nun in Anlehnung an die Adresse, wenn man sie englisch ausspricht. Genusstechnisch ist dieser Teil von Moabit immer noch eine ziemlich verlassene Ecke, hier herrscht ein Unterangebot an gehobener Küche, obwohl die Gentrifizierung natürlich längst eingesetzt hat. Dass wir an jenem Abend die einzigen Gäste waren und es auch blieben, mag daran gelegen haben, dass hier einfach immer noch niemand ernsthaft damit rechnet, gut essen zu können.

Noch bekommt man hier leicht einen Tisch - am Essen und am Service liegt es nicht

Dabei waren die Tische festlich gedeckt, einer sogar mit gelben Rosenblättern bestreut für ein Paar, das sich zur Feier seines Hochzeitstags angemeldet hatte, aber dann nicht erschien. Schade eigentlich, denn die Gastgeberin ist sehr freundlich, dazu kenntnisreich und auskunftsfreudig. Die Karte ist übersichtlich, aber ansprechend, mit drei Vorgerichten, vier Hauptgerichten und zwei Desserts. Wir begannen mit dem tadellosen Crémant, eiskalt und stilvoll serviert (6,50 Euro). Eine lockere Verbindung zum nahe gelegenen Weinfachgeschäft besteht wohl weiter. Die hausgemachte Focaccia mit Tomaten-Estragon-Dip war ein köstlicher Einstieg, fast tat es uns leid, dass die nur für uns gebacken worden war, frisch, knusprig und italienisch mild.

Die Speisen: unprätentiös aber raffiniert und immer gut gemacht

Die Vorspeisen, auf den ersten Blick unprätentiös, sind in Wirklichkeit raffiniert zubereitet. Das Rindercarpaccio wird inszeniert mit einem reichhaltigen Haselnusspesto, mit köstlichem Scamorza-Schaum sowie frischen gebratenen Pfifferlingen und Champignons (10,90 Euro). Ein fairpreisiges Erlebnis ohne Theaterdonner. Auch der gebratene Römersalat mit einer großzügigen Portion Trüffelschaum, orangeroten Datteltomaten und Fenchelknusper schmeckte uns gut (9 Euro). Alles kreativ ohne große Show und preislich bodenständig.

Sehr gut gelungen war auch das zuvor in Blauem Zweigelt marinierte große Wiener Schnitzel mit der knusprigsten Panade, die ich seit Langem probiert habe. Dazu gab es Estragon-Kartoffeln und einen frischen Salat (19,50 Euro). Ganz anders inszeniert war das Marokkanische Lamm-Curry mit Kichererbsen, serviert in einem tiefen Teller. Die exzellent gewürzte Sauce musste bis auf den letzten Tropfen aufgegessen werden. Dazu gab es eine auf offenem Feuer gegrillte Baby-Aubergine, dekorativ und keinesfalls trocken. Als Topping: eine Zickzack-Girlande aus grünem Korianderjoghurt (16,50 Euro). Zum Nachtisch kam Holunderjoghurt mit einer schönen fruchtigen Beerenmischung und knusprigen Bröseln aus gebackener weißer Schokolade auf den Tisch (8,50 Euro). Zu alldem passte der Rheingau-Riesling von Fred Prinz sehr gut. Die Weinkarte ist aus den erwähnten Gründen gut sortiert, wenn auch nicht sehr umfangreich (36 Euro).

Berliner Gastronomie in Hochform, nur bei der Rechnungsstellung gibt es noch Luft nach oben

Gerade wenn man viele Vergleichsmöglichkeiten hat, drängt sich die Frage auf, wieso ein so genießerfreundliches Konzept nicht auf Anhieb ein Erfolg ist. Es schmeckt, ist bezahlbar und es gibt kein unnötiges Getue. Berlin in Hochform.

Ganz am Ende zeigte sich dann doch noch Optimierungsbedarf. Dass es keinen Kaffee gab, weil die Maschine fehlte, schoben wir noch auf den hohen Anspruch, der hier an geschmackliche Qualität gesetzt wird. Schlimmer fand ich die auf einem Blöckchen handgeschriebene Rechnung. Erst nach mehreren Telefonanrufen bekamen wir eine Woche später per Mail eine einreichbare Quittung. Kreditkarten nehmen sie im „Wyclef’s“ auch nicht. Das sollte sich dringend ändern. Schließlich könnten sich auch diskrete Geschäftsrunden hier gut aufgehoben fühlen. Um die (und andere Gäste) zu locken, darf eine technische Mindestausstattung nicht fehlen.

Wyclef’s, Wiclefstr. 30, Moabit, Tel. 39 83 40 99, Di–Sa von 17 bis 23 Uhr.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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