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Von TISCH zu TISCH: S-Zimmer

Bio-Ei mit Spinat und Herbsttrompeten.

Es muss ziemlich genau 20 Jahre her sein, dass droben in Waidmannslust bei Siegfried Rockendorf mächtig gefeiert wurde. Rémi Krug war zu Gast, der Champagnerbaron: Es wurden sämtliche Abfüllungen bis rauf zum Clos du Mesnil vorgeführt, und Rockendorf, vom zweiten Stern beflügelt, kochte wie um sein Leben – den ganzen schwarzen Trüffel im Blätterteig habe ich noch auf der Zunge. Nur eine kleine Reminiszenz! Denn Rockendorf ist ja schon lange tot, und seine Nachfolger agierten nicht grad glücklich. Nun gibt es einen, der es vielleicht besser macht. Matthias Strempel versucht es mit modern-bürgerlicher Küche: gute Produkte, gutes Handwerk, aber kein kreativer Anspruch; so wie er hat schon Rockendorf gekocht. Ich habe deshalb lange gezögert, hinzugehen, weil ich mich ungern beim Essen langweile.

Was gibt es dort zu essen? „Deutsch- französisch“ besagt das Etikett, das sich die Küche selbst gibt. Und für einen unsinkbaren Klassiker wie „Himmel und Erde“ mag das in der Tat zutreffen, er kommt, recht kleinteilig präpariert, auf einer Schieferplatte – voll die Neunziger! – und schmeckt ausgezeichnet. Blutwurst, Zwiebelconfit, Kartoffelpüree, Äpfel, alles in bester Konsistenz, gut abgeschmeckt (13 Euro). Exakt das Gleiche lässt sich über das Bio-Ei sagen, das gekocht, knusprig ausgebacken und dann ganz schlicht präsentiert wird, auf schön knapp gedünstetem Spinat und würzigen Herbsttrompeten (12,50 Euro).

„Brust und Keule von der Wildente“: Das Fleisch wird geschmort, dann recht knusprig übergrillt, die Beilagen – Speckkohl und Pflaumenklöße – werden niemanden vor Überraschung vom Stuhl reißen (24 Euro). Hier wird keinen Millimeter von der althergebrachten Aromenlehre abgewichen, aber alles schmeckt. Nur mit der salzigen, vorlauten Chorizo, die ein saftiges Adlerfisch-Filet begleitete, war ich nicht einverstanden, habe diese irgendwie aus Spanien eingeschleppte Fisch-plus-Wurst-Mode aber ohnehin nie begriffen. Dazu Couscous, Bouillabaissesud, Kräuter (23 Euro).

Bei den Desserts haben wir uns weniger wohlgefühlt: Zwei standen auf der Karte, zwei kamen auf den Tisch: Eine Crème brûlée von der Tonkabohne, deren Aroma mich immer irgendwie an Omas Kleiderschrank erinnert, und eine Cappuccino-Mousse, platt süß, mit Orangenschnitzen, zerkrümelten Keksen und allerhand Dekorationsfrüchten, die ebenfalls altbacken wirkte (je 9 Euro). Gute, preisgünstige Weine.

S-Zimmer – das trifft es in etwa. Die renovierte Wohnzimmeratmosphäre verleitet zum Flüstern, daran ändert auch das große Orchester nichts, das im Hintergrund Hits der Beatles zersägt. Ja: Sie lesen vermutlich meine Skepsis durch. Warum tun junge, gut ausgebildete Köche im Jahr 2013 so, als habe die mehrfache Küchenrevolution der vergangenen Jahrzehnte überhaupt nicht stattgefunden? Aber es mag sein, dass dieser Stil genau das Richtige ist für die gesetzte Kundschaft im Norden, die sicher keine Abenteuer sucht.

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