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Spindler, Paul-Lincke-Ufer 43, Kreuzberg, Tel. 69598880, täglich ab 18 Uhr geöffnet, www.spindler-berlin.net.

© Kai-Uwe Heinrich

Von TISCH zu TISCH: Spindler

Schweinebauch mit Feldsalat und Rosenkohl.

Fast jeder, der in der Berliner Clubszene Geld verdient hat, macht irgendwann ein Restaurant auf. Das liegt vermutlich daran, dass all die coolen Jungs (und Mädels?) älter werden und es zu schätzen wissen, wenn ihnen beim Essen keine Techno-Bässe mehr den Darm massieren. Typisch für die Restaurants, die dabei herauskommen, ist der gemäßigte kulinarische Anspruch. Die Küche ist okay, liegt irgendwie im Trend, ist meist bezahlbar – mehr auch nicht. Schließlich sollen die Gäste, wie sie es vom Club gewohnt sind, sich selbst schön finden und nicht das Essen.

Aber die Hoffnung, es könne auch mal anders laufen, stirbt nie. Und es kommen ja zumindest auch schöne Restaurants heraus bei diesem Trend, so wie das neue „Spindler“ am Paul-Lincke-Ufer, gegründet von Frank Spindler, bekannt vom „Spindler&Klatt“. Die Einrichtung ist beispielhaft, weil sie sich leicht und unverkrampft an der Kreuzberger Gründerzeit-Atmosphäre bedient, und das Geld hat, eine Rarität, sogar für menschenwürdige Toiletten gereicht. Leider ist das Licht aus hypernostalgischen Kohlefadenlampen wieder mal so gedimmt, dass man gerade noch den Teller findet, und die Akustik ist furchtbar laut und hallig – Clubgastronomie halt.

Es fiel mir also schwer, die einzelnen Elemente der Gerichte optisch auseinanderzuhalten. Aber mir wurde beim Essen klar, dass es offenbar eine Rolle spielt, ob hier viel los ist oder wenig. Denn die ersten Lobeshymnen im Kollegenkreis blieben mir vergleichsweise unverständlich. Das lag vor allem daran, dass ich schon lange nicht mehr so wenig Kontraste auf der Zunge hatte bei Gängen, die dafür sogar prädestiniert waren.

Oktopus, Artischocken, Chorizo, Süßkartoffel in Würfeln, dazu ein Püree mit etwas Räucherpaprika, das ist an sich schon nahe am Klischee, aber hier kam das Ganze als süßliche Tiefebene ohne den geringsten Hauch Säure, so, als habe die Küche die Vinaigrette vergessen (13 Euro). Auch die Bauernterrine prunkte mit verlockenden Annoncen: Aprikose sollte dabei sein, Meerrettich-Elstar-Apfelmus, Silberzwiebel und Brioche – aber sie erwies sich dann als eine Art gepresstes, sehr fettes Rillette auf Linsen, das den wiederum oberdezent abgestimmten Beigaben keine Chance ließ (11 Euro). Die gelungenste Vorspeise war ein sehr guter gebeizter Lachs, große Stücke, mit gelben und roten Beten nebst etwas verlorenen Ricotta-Würfeln (13 Euro).

Ähnlich ging es weiter mit den Hauptgängen. Der Schweinebauch, ziemlich hastig übergrillt, war recht zart – aber warum lag daneben unmarinierter Feldsalat mit rohem, in Stücke gehobeltem Rosenkohl? Das ist einfach Quatsch (18 Euro). Die „Kartoffel-Mousseline“ war entgegen ihrem fluffigen Namen batzig geraten, halb bedeckt von Kräuterseitlingen. Ein Rätsel war auch der Kabeljau – ich habe mir das so vorgestellt, dass der Küchenchef alle Zutaten (Fisch, Miesmuscheln, Wirsing, Schwarzwurzeln, Urkarotten, Brandade und Zitrusfrüchte) beisammen hatte und dann dachte, oh Gott, wie soll das jemals passen? Und so lag alles einträchtig mild auf dem Teller, ohne dass der kleinste Funke übersprang (24 Euro).

Ruppiner Weidelamm, das waren zwei Scheiben mit einer Kräuterfüllung, mit Blumenkohl, Romanesco und einem suppigen Sud unerwartet in Richtung Gemüseeintopf stilisiert. An sich okay, doch unsere Enttäuschung rührte daher, dass die Karte eine „Harissa-Sauce“ versprochen hatte, die wir uns dicht und feurig und nicht als dünne Suppe vorgestellt hatten (28 Euro). Mit anderen Worten: Jeder Gang sagte: Hey, wir tun nur so wild, sind aber eigentlich schrecklich brav.

Gut schnitten dagegen die Desserts ab, ausgezeichnete Sorbets, eine Karamellcreme im Glas mit Pflaume, Mandeln und Apfelmus und Mandarinensorbet mit Orangenkuchen (je 8 Euro). Szeneüblich liegt der Getränkeschwerpunkt auf einer ausladenden Cocktailkarte, das Weinangebot ist klein, aber ganz gut zusammengestellt mit Nummer-sicher-Flaschen wie dem Chardonnay von Dreißigacker (39 Euro). Sagen wir: Ich würde mal wieder hingehen, weil das ein schönes Restaurant ist. Nur dann im hellen Sommerlicht und in der stillen Hoffnung, dass die Küche ihre Linie bis dahin gefunden hat.

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