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Gesundheit: Aversionen gegen Herrn K.

Geschichtssendungen von Guido Knopp sind beliebt. Historiker kritisieren die Qualität der Berichte

Der Mann war nicht da und prägte die Debatten doch wie kein anderer: Guido Knopp, ZDF-Chefhistoriker, war meistgenannter Bilderschöpfer auf dem 46. Deutschen Historikertag in Konstanz. Die Tagung hatte kaum begonnen, da erwähnte als erster Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) Guido Knopp als Beleg für Geschichtsinteresse – 750 im größten Hörsaal der Universität Konstanz versammelte Historiker stöhnten auf, als bereite ihnen der Name körperliche Schmerzen. Ein Schmerz, der sie vier Tage lang begleiten sollte. In Fachdiskussionen sprachen sie über Stunden nur vom „Herrn K“.

Norbert Frei (Jena) warf Knopp Stakkato-TV vor. Der ZDF-Mann habe die „Fiktion des Zeitzeugen“ geschaffen, dem drei Worte reichten: „Es war schrecklich“. Doch auch Frei erklärte: „Knopp ist das zentrale Ereignis des deutschen Geschichtsfernsehens.“

Ein Fernsehen, das auf dem schlechtesten Sendeplatz noch mehr Menschen erreicht als jedes Buch der knapp 3000 Historiker, die zum größten geisteswissenschaftlichen Kongress Europas gekommen waren. Fast alle der 50 Sektionen mit 300 Vorträgen bezogen sich auf das Leitthema „Geschichtsbilder“.

Professoren, Lehrer und Studenten fragten nach der Bedeutung von Bildern als Quelle und nach Geschichtsbildern in den Köpfen. Die Veranstalter betonten, es gehe gerade auch um die Interpretation historischer Geschehnisse in der bildorientierten Mediengesellschaft.

„Der Kampf um Deutungshoheit und Vermittlungskompetenz ist härter geworden, wo Dokumentation und Fiktion immer mehr ineinanderfließen“, sagte Peter Funke (Münster), Vorsitzender des Historiker-Verbandes „Wir dürfen uns der Auseinandersetzung nicht entziehen.“ Dabei dürfe man keinem effektheischendem „Histotainment“ frönen, bei dem das Nachdenken durch Nacherleben und Nachfühlen ersetzt werde.

Doch scheint fraglich, ob die Historiker den Kampf gewinnen können. Der Geschichtslehrer-Verband beklagte eine „schleichende Enthistorisierung“ des Unterrichts, was kurzsichtig sei angesichts der drohenden Zunahme von Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit.

So wird vor allem das Fernsehen Quelle für Geschichte. Das Medium des Herrn K. aber folgt keinen Fußnoten, sondern der Quote. Auch wer Bilder kritischer zeigen wolle als Knopp, müsse sich laut Michael Kloft von Spiegel-TV fragen: „Wie kriegt man Leute unter 65 überhaupt dazu, sich noch eine zeithistorische Sendung anzuschauen?“

Die Fernsehmacher versuchten das unter anderem mit farbigen Filmen von Eva Braun. „Visuelle Geschichtspornografie“ nannte dies Frei. Der Schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg stellte fest, die medial vermittelte Geschichte Deutschlands beginne mit Hitler, erlebe mit dem Holocaust einen Höhepunkt und ende mit dem dritten Platz bei der Fußball-WM.

Doch waren diese Bilder immerhin noch echt. Dagegen stand für die Reichspogromnacht 1938 im Fernsehen über viele Jahre eine brennende Synagoge aus dem Jahr 1941 in Litauen. Der Flensburger Historiker Gerhard Paul warnte vor nachgestellten Bilder. So seien in einem Film über die Wannseekonferenz inszenierte Gestapo-Autos stets durch tiefe Nacht gefahren. Das erzeuge ein falsches Geschichtsbild: Alles heimlich, niemand konnte etwas wissen. „Die Bilder sind die Botschaft“, mahnte Paul.

Die nachgestellten Autofahrten fand der ehemalige ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann dagegen akzeptabel. Ohne Bilder gebe es kein Fernsehen und damit auch keinen kritischen Kommentar. Von der Tann sagte auch: „Wir werden früher oder später um den Kollegen vom ZDF nicht herumkommen“. Er habe Trends gesetzt. „Knopp war Geburtshelfer für Zeitgeschichte in der ARD.“

Dass falsche Geschichtsbilder nicht neu sind, referierte Islamforscherin Almut Höfert. So habe es in der frühen Neuzeit Werke gegen den Islam gegeben – doch damalige Reiseberichte hätten anderes bezeugt. „So ein Vorurteilsbild lässt sich nicht durchhalten, wenn man vor Ort ist, das ist damals so wie heute.“ Doch die Islamsektion zeigte selbst, wie übergewichtig heute die mediale Übermittlung ist. Nach dem Streit über die Papstzitate stellten Forscher vor den Kollegen klar, sie machten sich zeitgenössische Zitate nicht zu eigen.

Während Journalisten und Professoren noch über echte und unechte Bilder sowie ihre Deutung stritten, machte der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp mit seinem Vortrag deutlich, dass dies schon eine Debatte von gestern sei. Denn: „Bilder stellen Geschichte nicht dar, sondern schaffen ihre eigene.“ Im Irak würden Geiseln allein mit dem Ziel umgebracht, „dass sie zu Bildern werden.“

Die Attentate vom 11. September oder der Folterskandal von Abu Ghraib wären ohne Bilder nicht vorstellbar. Kein neues Phänomen: Erst eine begeisternde Skizze des neuen Petersdoms habe den Abriss des alten ermöglicht, sagte Bredekamp, „eine Zeichnung wirkt als Mauerbrecher.“

Solche Bilder machten den Betrachter allein durch das Anschauen zum Beteiligten. Sie spiegelten Geschichte nicht mehr als Quelle, sondern produzierten kalkuliert ihre eigene Wirklichkeit. Der Flensburger Historiker Paul hat Konsequenzen aus diesen weitgehend fremdbestimmten Bilderwelten gezogen: Er schaut kaum noch fern, seine Bilder stellt er sich im Internet selbst zusammen – und: „Ich lese wieder“. Aber Herr K. wird dennoch weiter senden.

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