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Gesundheit: Der Sensenmann tanzt immer mit

Wie wir mit dem Skandalon des Todes umgehen: Ein Blick in die Kulturgeschichte — und die Gegenwart

Natürlich ist der Tod ein Skandalon. Vor allem für einen Wissenschaftler. Erst recht für einen Geisteswissenschaftler. Da hat er ganze Jahrhunderte, ja Jahrtausende im Kopf und plötzlich: Licht aus. Eine ganze Bibliothek aus Nervenzellen für immer erloschen. Der Tod ist ein großer Verschwender. Trotzdem. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften tut, als sei der Tod ein Gegenstand wie jeder andere. Sie lädt zum Tag des Todes ein, genauer: der „Tag der Geisteswissenschaften“ ist diesmal ein Tag des Todes. Der Tag des Todes dauert von 9 Uhr bis spät abends. Aber passt der Tod zum Frühstück?

Am besten, die Naturwissenschaftler fangen an. Ernst Peter Fischer aus Konstanz kann uns viel besser mit dem Tod versöhnen als ein Geisteswissenschaftler. Natürlich, man weiß wie diese Biologen denken: das Individuum ist nur ein Mittel zur Erhaltung der Gattung, ergo bist auch du nur ... Der letzte Redner des Tages, der Alte-Griechen-Experte Walter Burkert wird es auf die kürzeste Formel bringen: Ohne den Tod wäre das Leben ein unendlich fortwucherndes Krebsgeschwür. Und nicht nur das. Ohne die Möglichkeit, zu sterben, gäbe es keine Individualität. Ohne Sexualität keine Individualität. Sexualität aber bedeutet den Tod. – Wir sind sterblich, also sehr individuell, also sehr sexuell, also sehr tragisch. Das ist doch viel besser als die unendlichen Teilungen des Regenwurms. Kurz nach dem Frühstück ist das alles geklärt, das Publikum steht überwiegend auf der Seite des Todes. Natürlich gehört zu einem ordentlichen Tag des Todes unbedingt ein Ägyptologe. Stephan Seidlmayer vertritt das Akademievorhaben des „Altägyptischen Wörterbuches“ und nach seinem Vortrag ist man ganz sicher, dass es sich hier um ein Buch des prallen Lebens handeln wird. Nichts wird an diesem Tag noch einmal so lebendig werden wie die Toten der alten Ägypter. Die bekamen ihre Pflichten wie alle anderen Ägypter auch, sie mussten sich um fremde Totengeister kümmern und für das Fortkommen der noch lebenden Familie sorgen und wenn das alles nicht klappte, bekamen die Toten Post. Die Ägypter schrieben viele Briefe an ihre Toten, ernste Ermahnungen: „Kämpfe für sie! .... Willst Du denn, dass Dein Hausstand zu Grunde geht? ... Kämpfe!“

Dieser Aufruf an einen pflichtvergessenen Toten zur Rettung eines Kranken ist auf eine Schale notiert. Die Toten erfahren auch, was ihnen droht, wenn sie nicht wieder zuverlässiger werden: Wenn die Familie zu Grunde geht, bekommt der Tote keine Opfer mehr „und sitzt auf dem Trockenen“, erklärt Seidlmayer. Ja schlimmer noch, wenn man ihn total verhungern lässt, muss er in der Unterwelt mit dem Gesicht nach unten gucken, Urin trinken und Kot essen. Tiefer kann ein Toter nicht sinken und die Hierarchie im Totenreich ist hart. Es ist ein einziger Kampf ums Dasein. Das alles verdeckt die ewige Ruhe der Pyramiden.

Zwar waren die Ägypter die größten Konservatoren, bevor Gunter von Hagens die Plastination erfunden hat. Allerdings ist inzwischen auch der Grund weggefallen, dass ein Körper möglichst ewig halten muss. Im Mittelalter gab es noch solche Gründe. Wenn der König tot war, entstand gewissermaßen eine Herrschaftslücke. Also wurde der Tote in Honig eingelegt oder gleich mit Wachs überzogen. Kein Stoff, sagt die Kunsthistorikerin Uta Kornmeier, wirkt so lebensähnlich wie Wachs. Wachsleiber eben verblichener Herrscher wurden durch die Städte getragen. Familien stellten sich ihre Toten aus Wachs (manchmal mit Glasaugen und echten Haaren) in die Diele – damit die Familie wieder vollständig ist. Aus dem Vollständigkeitsgedanken entstanden zuletzt auch die Wachsfigurenkabinette. Dank Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett können wir noch heute die Oberjakobiner der Französischen Revolution betrachten wie sie im Augenblick nach der Trennung der Köpfe von den Leibern aussahen. Fast lebendig. Aber nur fast.

Die französische Revolution brachte eine große Nähe der Lebenden und der Toten, indem sie die Kunst perfektionierte, aus Lebenden Tote zu machen, ehe sie es noch recht begreifen konnten. Für den mittelalterlichen Menschen wäre das völlig inakzeptabel gewesen. Zwar hat man nahen Umgang mit dem Tod, der Sensenmann tanzt immer mit. Wir sehen es noch heute auf den Totentanz-Bildern. Aber diese uns irritierende Nähe ist zugleich eine pädagogische. Der Tod äfft die Lebensfreude nach. Umkehr! lautet die Botschaft. Und Sterben ist lernbar. Bücher wie „Die Kunst des guten Sterbens“ waren wohl verbreiteter als Kochbücher. Vor unserem neuzeitlichen Wunsch nach einem schnellen Tod hätte sich der mittelalterliche Mensch gegraust, sagt Martin Schubert vom Akademievorhaben „Deutsche Texte des Mittelalters“. Mehr als vorm Opfertod?

Thomas Macho von der Humboldt Universität weiß, dass das Thema bis eben rein historisch klang. Die großen Schlachtmähler für die Götter – lange vorbei. Und nichts ist so von gestern wie die Opfer-Helden-Lyrik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heute hören wie bei dem Wort Opfer meist nur noch „victim“, die andere Bedeutungshälfte des „sacrificium“ ist fast weg. Mit dem Terror ist der Opfertod wieder da. Und springt zugleich aus allen Definitionen der Opfertheoretiker. Ein Band ist gerissen, das von Anbeginn der Menschengeschichte intakt war. Die Opferung war immer zugleich ein symbolischer Tausch. Der Gottheit stieg der Bratenduft in die Nase und sie schützte dafür die Opfernden. Im Opfertod des Terrors ist dieser symbolische Tausch aufgehoben.

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