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Gesundheit: Kundenwerbung auf dem Campus

Der Finanzdienstleister MLP bietet Hochschulen gratis Seminare an. Dafür wollen die Berater Kontakte zu Studenten

Morgens um 10 Uhr 15 im Hörsaal. Die Professorin steht schon zu ihrer Vorlesung „Einführung in die Ästhetik“ bereit, da betritt ein smarter Versicherungsangestellter den Saal, unterm Arm einen Stapel Hochglanzprospekte. „Bevor wir anfangen, macht Ihnen dieser Herr ein Angebot“, sagt die Professorin zu den Studierenden. Der Vertreter beginnt: „MLP (Marschollek, Lautenschläger und Partner) ist in Europa der führende Finanzdienstleister für Akademiker und anspruchsvolle Kunden. Das Unternehmen integriert Bank- und Versicherungsdienstleistungen in ein auf den Kunden maßgeschneidertes Finanzkonzept …“

Erst die Werbung, dann die Wissenschaft – geht es so bald an den Hochschulen zu? Der Finanzdienstleister MLP kann sich das durchaus vorstellen. Die umfassende Offerte beinhaltet auch die Erlaubnis zur „Gruppenansprache z.B. vor Vorlesungen“ durch MLP, wie es in einem Entwurf zur Kooperation mit der Freien Universität Berlin heißt, der dem Tagesspiegel vorliegt. Die Universität soll sicherstellen, dass MLP alle Studierenden und Professoren kontaktieren darf.

Dafür hat der Finanzdienstleister aber auch etwas zu bieten. Er will am Career Center der FU bis zu 269 Seminare pro Jahr veranstalten, darunter Berufsstarter-, Rhetorik- und Existenzgründungskurse – ein zusätzliches Angebot für interessierte Studierende. MLP offeriert „kostenlose Sachleistungen für die Freie Universität Berlin“ im Gesamtwert von 854800 Euro. Und er könnte der Hochschule helfen, Kontakt zu ehemaligen Studierenden herzustellen, die die FU aus den Augen verloren hat. „6234 unserer Kunden haben an der Freien Uni Berlin studiert“, steht in der MLP-Präsentation für die Dahlemer Uni. Trotzdem ist das Angebot für FU-Präsident Dieter Lenzen „kein Thema“.

Doch die MLP hat sich an eine Reihe deutscher Hochschulen gewandt. Der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft liegt ein ähnliches Angebot wie das der FU vor, ebenso etwa den Unis Rostock, Bochum oder Erlangen-Nürnberg. MLP bestätigt Verhandlungen mit mehreren staatlichen Hochschulen. Demnächst wolle eine der „renommiertesten Hochschulen in Deutschland“ die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen bekannt geben. Die Humboldt-Universität kann damit nicht gemeint sein. Sie lehnte vor einigen Monaten ein Angebot von MLP ab, weil es nicht in das Profil des hochschuleigenen Career Centers passte, wie es aus der Uni heißt.

Werbung an der Hochschule ist nichts Ungewöhnliches. Niemand ist gezwungen, eine Versicherung mit MLP abzuschließen oder einen der freiwilligen Zusatzkurse von MLP zu besuchen. Außerdem sind Kooperationen zwischen den Career Centern mit Krankenkassen oder Versicherungen gang und gäbe, auch in Berlin betätigt sich MLP an den Hochschulen seit langem in vielen Bereichen. Doch die Offerte hat eine viel größere Dimension als die bisherigen Kooperationen – und wirft viele Fragen auf. „Ein Teil der Fachbereiche ist vehement für die Zusammenarbeit, weil er hervorragende Erfahrungen mit MLP gemacht hat, ein anderer Teil ist strikt dagegen“, sagt Herbert Grüner, der Präsident der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (FHTW).

MLP ist auf dem Campus keine Unbekannte. Die Heidelberger Firma ist auf die Beratung von Akademikern in Geldangelegenheiten spezialisiert. Um frühzeitig Kontakt zu potenziellen Kunden herzustellen, sponsern MLP-Vertreter Semesterparties und versorgen Nachwuchs-Juristen und -Mediziner vor Prüfungen mit Traubenzuckerpäckchen. Doch das Engagement führte auch schon zu Irritationen. Angehende BWLer und Soziologen der Universität Rostock umwarb MLP im April 2002 so massiv, dass der Fakultätsrat sich mit dem Thema befasste. MLP-Mitarbeiter, heißt es in einem internen Uni-Papier, hätten „wiederholt Studierende vor ihren mündlichen und schriftlichen Prüfungen mit Akquisitionsgesprächen und Datenerfassung belästigt“. MLP weist die Vorwürfe allerdings zurück: „Es finden vor Prüfungen keine Akquiseveranstaltungen statt“, heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage des Tagesspiegels.

Bewerbertrainings und Karriereseminare mit dem Zweck der Kundenakquise gehören seit langem zur Firmenstrategie. Studierende klagen allerdings, nach den Trainings „mit Anrufen geradezu bombardiert“ worden zu sein, wie es aus einem Berliner Career Service heißt. So schildert es auch ein Ehemaliger der Universität Stuttgart. Nach einem Bewerberseminar bei MLP sei er mehrfach am Telefon „aufdringlich“ zu Treffen mit einem MLP-Vertreter eingeladen worden – noch nach zwei Jahren. Der damalige Student der Ingenieurwissenschaften hatte seine Daten auf die Teilnehmerliste des Seminars eingetragen. An der TU Berlin ist „das Auftreten von MLP in einzelnen Bereichen der Uni als sehr aggressiv erlebt worden“, berichtet die Sprecherin der Uni, Kristina Zerges. Die TU habe die Kooperation mit MLP vor ein paar Monaten abgelehnt.

Die Kritiker begründen ihre Irritationen aber vor allem mit dem Wunsch von MLP nach einer fast exklusiven Partnerschaft: „Die Hochschule verpflichtet sich, keine weitere Kooperation, die wirtschaftlich in Wettbewerb mit dieser Kooperation treten könnte, einzugehen“, heißt es in dem Entwurf über die Kooperationsvereinbarung mit der FU. Und weiter: „Für die Eingehung einer weiteren konkurrierenden Kooperation seitens der Hochschule ist generell die Zustimmung von MLP erforderlich.“ FHTW-Präsident Herbert Grüner, der selbst Wirtschaftswissenschaftler ist, sagt: „Das ist für uns völlig indiskutabel.“

MLP betont dagegen, die Exklusivität gelte nur für einen „vergleichbaren Vertrag mit einem in unserem Kerngeschäft im unmittelbaren Wettbewerb stehenden Unternehmen“, wie es in der Stellungnahme heißt. Ansonsten wolle man die Hochschulen ermuntern, mit anderen Partnern zusammenzuarbeiten. Das Unternehmen verweist auf die erste derartige Zusammenarbeit, die die private Handelshochschule Leipzig (HHL) im September mit MLP einging. Die Leipziger sind mit den bisher von MLP durchgeführten Kursen sehr zufrieden. „Wir haben das Know-how, solche Kooperationen so zu gestalten, dass die Interessen aller Seiten gewahrt bleiben“, sagt Hans Georg Helmstädter, der die Unternehmensbeziehungen an der HHL leitet.

Unterdessen befürchten Kritiker, die Studierenden würden womöglich gar nicht bemerken, dass die von den Hochschul-Career Centern angebotenen Kurse MLP-Seminare sind. Die Studierenden liefen Gefahr, ihre Daten auf Teilnehmerlisten zu hinterlassen, ohne zu wissen, wer danach an sie herantreten werde. An der Ruhr-Universität Bochum warb MLP für eigene Veranstaltungen mit dem Hinweis, die Kurse fänden in Kooperation mit der Uni statt. Eine einseitige Kooperation, sagt die Uni: Sie sei nie eine Zusammenarbeit eingegangen. Die Hochschule hat das Angebot inzwischen abgelehnt.

Für MLP war der Zwischenfall ein Missverständnis, das nicht in der Verantwortung des Unternehmens liegt: Die Referenten sollen sich in den Seminaren als MLP-Referenten vorstellen und Unternehmen-Logos verwenden. Wenn Studenten nach einem Seminar individuelle Beratung zu Finanzthemen wünschten, könnten sie das auf einem so genannten Feedback-Bogen angeben. Sie könnten es aber auch ablehnen. FHTW-Präsident Grüner schließt die Zusammenarbeit bei bestimmten Kursen mit MLP denn auch nicht völlig aus – solange sichergestellt ist, „dass das Bewerbertraining nicht zu einer Kundenfangaktion degeneriert“.

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