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Gesundheit: Weites Land, kleine Schulen

Warum Schleswig-Holstein alle Kinder gemeinsam unterrichten will

Alle Kinder lernen möglichst lange gemeinsam in einer Klasse – egal, wie leistungsstark sie sind: An dieser Idee der Gemeinschaftsschule scheiden sich hierzulande die Geister. Befürworter sehen in ihr einen Garant für mehr Chancengleichheit, Gegner verteufeln sie als Einheitsschule, die gerade leistungsstarke Kinder benachteiligt. Jetzt wagt sich Schleswig-Holstein an das heikle Projekt – als erstes Bundesland neben Berlin. Bereits zum nächsten Schuljahr sollen die ersten Gemeinschaftsschulen eingerichtet werden, in der alle Schüler von der ersten bis zur zehnten Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Leistungsstarke können dort dann auch ihr Abitur ablegen. Das beschloss gestern der Landtag mit den Stimmen der regierenden Großen Koalition.

Zunächst sollen die 25 Gesamtschulen des Landes umgewandelt werden. Bisher lernen die Schüler dort zwar unter einem Dach, werden allerdings je nach Leistung auf Haupt-, Realschul- oder Gymnasialkurse aufgeteilt. Jetzt sollen sie tatsächlich in einer Klasse unterrichtet und dort „individuell gefördert“ werden, wie Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) gestern im Landtag sagte. Auf Antrag können sich auch andere Grund-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien zusammentun. Mit insgesamt 1,4 Millionen Euro will die Regierung die neuen Schulen unterstützen.

Die Gemeinschaftsschule ist Kernstück einer weiter reichenden Schulreform. Ab 2010 sollen die restlichen Haupt- und Realschulen zu „Regionalschulen“ fusioniert werden – ähnlich wie in anderen Bundesländern (siehe Kasten). Nur die Gymnasien, die sich nicht an einer Gemeinschaftsschule beteiligen wollen, bleiben wie bisher bestehen.

Um die Reform hatten SPD und CDU monatelang erbittert gestritten. Die SPD wollte ursprünglich nur noch eine Schule für alle Kinder, die Gemeinschaftsschule gilt als ein Lieblingsprojekt Erdsiek-Raves. Sie will so einen niederschmetternden Befund aus den Pisa-Studien angehen: In Schleswig-Holstein wie in ganz Deutschland haben Kinder aus armen und bildungsfernen Familien im internationalen Vergleich besonders schlechte Chancen in der Schule. Die CDU dagegen hatte im Wahlkampf 2005 – ähnlich wie dieses Jahr die Berliner CDU – gegen die Gemeinschaftsschule gewettert. Die SPD befinde sich in der „Gemeinschaftsschulfalle“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul noch im September. Als Kompensation zur Gemeinschaftsschule setzte er die Regionalschule durch. Somit wird es auch in Zukunft drei Schulformen in Schleswig-Holstein geben.

Kann die Schulreform da tatsächlich zu „mehr Durchlässigkeit führen“, wie Erdsiek-Rave hofft? Oder ist sie nur eine Mogelpackung, wie Kritiker sagen? Die Befürworter der Gemeinschaftsschule setzen auch darauf, dass der demografische Wandel das Modell langfristig stärkt. In Schleswig-Holstein wird die Schülerzahl im nächsten Jahrzehnt um ein Viertel sinken – ein Problem, das auf alle Bundesländer zukommt. Nach einer Prognose der Kultusministerkonferenz fällt die Schülerzahl bis 2020 bundesweit auf 10,2 Millionen, von 12,4 Millionen im Jahr 1995. Überall dort, wo es zu wenig Schüler gibt, könnten nah beieinander liegende Gymnasien, Grund-, Haupt- und Realschulen fusionieren, hofft das Kultusministerium. Kindern und Jugendlichen blieben so auch stundenlange Schulwege erspart. Bereits jetzt entstehen an sechs Standorten auf dem Land freiwillige Gemeinschaftsschulen, auf der Insel Fehmarn sogar auf Betreiben der örtlichen CDU.

Solange die Gymnasien in der Reform unangetastet bleiben, werde die Gemeinschaftsschule „niemals Massentrend“, entgegnet Angelika Birk, die bildungspolitische Sprecherin der Grünen. „Die Gemeinschaftsschule ist eine Schmalspurvariante der Gesamtschule, die zu absehbar schlechteren Leistungen führt“, sagte gestern Ekkehard Klug, Bildungsexperte der FDP-Fraktion.

Auch die Regionalschule ist umstritten. Vor allem die Realschulen laufen gegen die geplanten Fusionen mit Hauptschulen Sturm. Im Dezember protestierten in Kiel mehrere Tausend Schüler und Lehrer gegen den neuen Schultyp. Sie befürchten, schwache Hauptschüler könnten auch die Leistungen der Realschüler herunterziehen. Ein Elternverein hat bereits eine landesweite Unterschriftenaktion angekündigt – um so einen Volksentscheid zu erzwingen, mit dem die Schulreform doch noch gestoppt werden kann.

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