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Gesundheit: Wie viele Germanisten braucht Berlin?

Der Finanzsenator will sparen – was Experten und das Arbeitsamt sagen

Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) fordert in seinem Spar-Szenario, mehrfach angebotene Studiengänge nach Leistung zu bewerten. Der Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort und auch der Arbeitsmarkt Berlin brauchten nicht 13 000 Germanisten an drei Universitäten. Sarrazin plädiert für 7000 Studenten an ein oder zwei Fakultäten. Die jetzt in unserer Serie „Wie retten wir Berlin?“ genannten Argumente und Zahlen werden an den Hochschulen diskutiert. Hat Berlin zu viele Germanisten?

Germanistik in Zahlen: An den drei Universitäten studieren heute nach Hochschulangaben rund 11 400 Studenten im Haupt- oder Nebenfach Germanistik. An der FU sind es 4216 (davon 1125 Lehramtsstudenten), an der Humboldt-Universität 5031 (893 Lehramt) und an der Technischen Universität 2191 (785 Lehramt). An der FU gab es noch vor zehn Jahren, bevor sie beratungsunwillige Langzeitstudenten exmatrikulierte, rund 9000 Germanistikstudenten. Auch die Professuren wurden reduziert: Allein die Neuere deutsche Philologie der FU verlor 18 von 25 Professorenstellen. Ein Studienplatz in den Kulturwissenschaften kostet laut Bildungsministerium rund 2700 Euro pro Student und Semester, für Mathematik und Naturwissenschaften jedoch rund 7700 Euro.

Arbeitslose Germanisten: Noch 1999 waren 326 Germanisten/Anglisten (die Ämter erheben beides gemeinsam) in Berlin arbeitslos gemeldet, im Februar diesen Jahres bereits 508. Bundesweit sind 2764 Germanisten arbeitslos gemeldet, rund 450 mehr als im Vorjahr. Zum Vergleich: Fast drei mal so viele Maschinenbauingenieure sind arbeitslos, obwohl der Verein Deutscher Ingenieure vor einem Ingenieurmangel warnt.

Beschäftigte Germanisten: In Deutschland gibt es etwa 42 500 erwerbstätige Germanisten/Anglisten (ohne Lehramt). Rein rechnerisch ist der Ersatzbedarf gedeckt: Während jährlich nur 1000 Germanisten/Anglisten den Arbeitsmarkt verlassen, rücken jedes Jahr 3000 neue Absolventen nach. Zum Vergleich: Jährlich verlassen bundesweit etwa 12 000 Maschinenbauingenieure die Hochschulen, pro Jahr gehen 8000 bis 10 000 in Rente. 30 bis 40 Prozent der Germanisten, die nicht Lehrer werden, arbeiten als Journalisten, Dolmetscher oder Lektoren. Der Rest verteilt sich auf viele andere Berufe – von der Politik bis zur Unternehmensberatung. Überhaupt sind nur vier Prozent der Akademiker in Deutschland arbeitslos.

Externe Experten zur Germanistik: Beim letzten Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung gelangte die Germanistik der FU in der Forschung in die Spitzengruppe, die TU und die HU lagen im Mittelfeld. Der Wissenschaftsrat attestiert den drei Germanistiken, dort würden „insgesamt international wettbewerbsfähige Forschungen betrieben“ und empfiehlt, alle Studiengänge weiter bestehen zu lassen. Trotz der Personalkürzungen hätten die Institute ihr Profil bewahrt, die renommierte Bibliothek der FU sei jedoch durch Einsparungen in ihrem Niveau „ernsthaft gefährdet“. Besonders loben die Experten das Hineinwirken der TU-Germanistik in die Öffentlichkeit. Um dafür noch mehr Raum zu gewinnen, solle sie die Lehrerbildung aufgeben.

Was Germanisten sagen: Der Altphilologe Thomas Cramer von der TU betont, dass die Germanistik ein „Fach der gesellschaftlichen Orientierung“ sei. Man dürfe nicht nur nach ihrem unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen fragen, sondern nach der „intellektuellen Präsenz“ in der Stadt.

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