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Nummer 65: Länger im Bau als geplant.

© Doris Spiekermann-Klaas

Shopping in Berlin: Die Hauptstadt platzt aus allen Nähten

Am Leipziger Platz wird bald das 65. Einkaufszentrum Berlins eröffnen. Wie viele Shopping-Center verträgt die Stadt? Bald ist eine Sättigung erreicht, meinen Experten. Dann kann nur bestehen, wer sich eine bestimmte Strategie aneignet.

Als Berliner kommt einem die Geschichte allzu bekannt vor: Die angepeilte Eröffnung muss kurz vorher abgesagt werden. Hunderte Bauarbeiter verlegen zu diesem Zeitpunkt noch Fliesen oder bauen Läden aus. Doch es hakt beim Brandschutz. Nein, es geht nicht um den Flughafen, sondern um das neue Shoppingcenter Mall of Berlin am Leipziger Platz. Dessen zuletzt für Ende Mai geplante Eröffnung musste kurzfristig verschoben werden. Bei beiden Großprojekten ist indes absehbar, dass sie, einmal fertig, wohl ein Erfolg werden.

Anders als der Hauptstadtflughafen tritt das Zentrum mit dem von Selbstbewusstsein zeugenden Namen in Berlins Mitte jedoch gegen eine beachtliche Zahl von Konkurrenten an. Es sind derzeit 64. Einkaufszentrum Nummer 65, entwickelt von Harald Huth, wird zwar mehr Läden haben als jedes andere in der Hauptstadt. Aber was heißt das schon in einer von Superlativen gesättigten Branche? In der die Gropius Passagen in Neukölln die größte Verkaufsfläche halten, das Alexa am Alexanderplatz die höchste Besucherfrequenz erzielt und gefühlt jede zweite Neueröffnung den jeweils größten Elektronikmarkt der Stadt beherbergt. Wie viele Zentren verträgt die "Hauptstadt der Einkaufszentren"?

Wenn man als Investor drei Wünsche für den Standort eines neuen Einkaufszentrums in Berlin hätte, wären das vermutlich: eine prominente zentrale Lage, eine sehr gute Verkehrsanbindung und ein Ort mit Geschichte. Einkaufszentrum Nummer 65 liegt vis-à-vis zum Bundesrat und direkt neben dem großen Bahnhof Potsdamer Platz. Vor mehr als hundert Jahren wurde auf dem Grundstück schon einmal ein Konsumtempel eröffnet. Das Wertheim-Warenhaus zählte damals zu den größten und schönsten in Europa. Wenn nun der Erfolg des Nachfolgers vorgezeichnet scheint, was heißt das dann für die 64 bestehenden Konkurrenten?

Besuch beim bisherigen Platzhirschen, dem Alexa am Alexanderplatz. An Samstagen kommen bis zu 70.000 Menschen hierher. Im Jahr setzen die Läden zusammen mehr als 270 Millionen Euro um. Einige Ketten haben hier ihre bundesweit umsatzstärksten Filialen. Manche meinen, dem rosafarbenen Riesen, der sich an die krumme Bahntrasse schmiegt, werde durch die Nummer 65 im Markt ein ebenbürtiger Konkurrent erwachsen. Doch Center-Manager Oliver Hanna gibt sich demonstrativ gelassen. "Das ganze Thema wird aufgebauscht", meint er. "Erst mal müssen sich die anderen positionieren und Nachhaltigkeit beweisen."

Sich abheben vom großen Rest

Der 46-Jährige leitet das Alexa seit dessen Eröffnung im Jahr 2007. Und er blickt vom Start weg auf eine Erfolgsgeschichte zurück. Man muss sich den Beginn aber noch einmal in Erinnerung rufen, weil er viel erzählt über das Phänomen Shoppingcenter und die dazugehörigen Kunden: Damals eröffnete der – klar, weltgrößte – Media Markt vorab um Mitternacht. Der Ansturm der Rabattjäger war so gewaltig, dass eine Hundertschaft der Polizei anrücken musste. Es gab Verletzte, die Aktion wurde abgebrochen. In den folgenden Tagen mussten Hanna und sein Team die Massen mit Absperrgittern und Megafonen in geordnete Bahnen lenken. "Irgendwann sprachen mich Freunde darauf an, was ich da eigentlich mache", erzählt der Manager. Heute führt Hanna durch das Alexa und schwärmt vom Art-Déco-Stil, von den Böden aus Parkett, Terrazzo oder Teppich – und von den Stars, die schon da waren: Backstreet Boys, 50 Cent, Ozzy Osbourne, um nur einige zu nennen. Die bekannten Gesichter fungieren als Köder und tragen zur Imagepflege bei, die immer wichtiger wird bei mehr als 60 potenziellen Konkurrenten. Egal, mit wem man in der Branche spricht, alle reden von Unterscheidbarkeit, davon, sich abzuheben vom großen Rest.

In den 1990er Jahren entstanden in Berlin jedoch viele Center, die sich vom Konzept her sehr ähnlich sind. Früher oder später wird sich den meisten eine Frage stellen: Wie müssen wir uns verändern, um erfolgreich zu bleiben? Die Suche nach einer Antwort kann einen zur zweitgrößten Shoppingmeile der Hauptstadt führen, in die Schloßstraße im Südwesten. Vieles, was die Branche bewegt, lässt sich hier wie unter einem Brennglas beobachten. Auf etwa 1,7 Kilometern Länge gibt es gleich vier große Einkaufszentren, nirgendwo in Deutschland ist die Dichte höher. Als das Schloss-Straßen-Center (SSC) 2007 am einen Ende der Meile eröffnete, trat es gegen Das Schloss am anderen Ende und das traditionsreiche Forum Steglitz direkt nebenan an. Zunächst blieben die Besucher jedoch weitgehend aus. Mieter gaben ihre Läden auf. Die Rettung hieß dann: Primark. Die irische Billig-Textilkette zog auf gut einem Drittel der insgesamt 16.000 Quadratmeter Verkaufsfläche ein. Noch bis zum Sommer ist es die erste Filiale der Kette in Berlin, dann eröffnet am Alexanderplatz eine zweite. Mit Primark zählten die SSC-Betreiber plötzlich mehr als eine Million Besucher innerhalb eines Monats. Noch immer tragen ungezählte junge Menschen die braunen Papiertüten der Textilkette von dort weg.

Die Stadt bietet genug Potential für mehr Filialen

Das Erfolgskonzept ist offensichtlich: Es gibt mittlerweile drei große Mieter, die es zumindest auf der Schloßstraße nur einmal gibt. "Wir haben genügend Eigenattraktivität, damit das SSC Ausgangspunkt für den Schloßstraßenbesuch ist«, sagt Frank Röhlings, der Geschäftsführer der Centermanagement-Gesellschaft CMde. Zuvor habe dem Zentrum ein eigenes Profil gefehlt. "Wenn alles schon vorhanden ist, ist es schwierig, sich zu entwickeln."

Dem zweiten Berliner Primark sieht der 46-Jährige noch entspannt entgegen. "Am Anfang könnte es eine kleine Verschiebung geben", meint er. Doch die Stadt biete genügend Potenzial für mehr Filialen.

Aber bietet die Schloßstraße auch genügend Potenzial für gleich vier Zentren auf kleinem Raum? Der Größte am Platz, der Boulevard Berlin, bleibt bislang hinter den Erwartungen zurück. "Es gibt ein bisschen zu viel auf der Schloßstraße. Ohne den Boulevard würde es den anderen sehr gut gehen", sagt Andreas Keil, regionaler Bereichsleiter Centermanagement bei der Branchengröße MFI, die bundesweit bislang vor allem für ihre zumeist wiedererkennbaren "Arcaden" bekannt ist und allein sieben Center in Berlin führt, darunter das Forum Steglitz. "Aktuell hat ein Umdenken im Unternehmen eingesetzt, dass man von der Gemeinschaftlichkeit weggeht und jeder Standort eine eigene Positionierung bekommt", sagt Keil. Das fange beim Namen an und führe über die Vermietung und das Interieur hin zum Marketing. "Jedes Center braucht ein stärkeres, eigenes Gesicht."

Keils Einschätzung wirft eine Frage auf: Wenn die Schloßstraße bereits übersättigt ist, wie steht es dann um den gesamten Markt der Stadt? Nur wenige kennen sich so gut aus im Berliner Einzelhandel wie Nils Busch-Petersen. Angesprochen auf das Potenzial für Einkaufszentren sagt der langjährige Hauptgeschäftsführer des regionalen Handelsverbandes einen bedenkenswerten Satz: "Der Mensch an sich ist ja nicht ein Shoppingcenter-Mensch." Dennoch gebe es über alle Schichten hinweg einen relativ stabilen Kundenkreis, der aber nicht unbedingt einem Zentrum treu bleibe, sondern vom Neuen und Besonderen angezogen werde. "Wer jetzt noch auf das Terrain geht, muss sich daher etwas einfallen lassen", sagt der 51-jährige Busch-Petersen. Denn: "Wenn Sie vor der Tür 08/15 haben, fahren Sie nicht durch die halbe Stadt, um 08/15 zu bekommen." Die Vielzahl der Zentren trage zu einem qualitativen Wettbewerb bei. Nicht alle würden dann zu den Gewinnern zählen. Eine Handvoll Projekte sei auch in Berlin schon gescheitert, gibt der Handelsexperte zu bedenken. Er glaubt, dass es im Verhältnis zur Kaufkraft zu viel Verkaufsfläche in der Stadt gebe.

Eine entscheidende Frage für die Zukunft von Einkaufszentrum Nummer 65 und seinen Konkurrenten hängt unterdessen gar nicht unmittelbar von den Berlinern ab. Ein wichtiger Faktor sind Gäste: "Die Umsätze im stationären Einzelhandel würden anders aussehen, wenn die Touristen nicht kämen", sagt Meike Al-Habash, Branchenkoordinatorin für den Handel bei der Industrie- und Handelskammer. Zu rund einem Viertel davon tragen Berlin-Besucher bei – und deren Zahl steigt unentwegt. Mit Blick auf die Dichte der Einkaufszentren meint die 44-Jährige: "Für eine Stadt wie Berlin wird es kein Zuviel geben." Die Stadt vertrage mehrere Hotspots.

Investoren treiben die Entwicklung in Berlin voran

Center-Manager sind den Besitzern eines Zentrums verpflichtet. Die eher scheuen und oftmals auch gesichtslosen Investoren treiben die Entwicklung in Berlin mit ihren Milliarden voran. Ob Araber wie bei Zentrum Nummer 65 oder die Unternehmer-Familie Otto, die über die Gesellschaft ECE aktuell elf Objekte in der Stadt ihr Eigen nennt: Sie alle interessieren sich für diese spezielle Anlageform. Kein Wunder, gilt sie doch als stabile Wertanlage, bei der sich eine durchaus hohe Rendite erzielen lässt.

Weder im Privatbereich noch bei anderen Gewerbeimmobilien sind Mieten von im Schnitt etwa 30 Euro pro Quadratmeter leicht zu erreichen. Und weil die Spieler im Markt ihren Anteil weiter vergrößern wollen, wird es im Einzelhandel auch weiter Sieger und Verlierer geben.

Die zur ECE-Gruppe gehörenden Potsdamer Platz Arkaden gelten neben dem Alexa als zweiter Hauptkonkurrent von Einkaufszentrum Nummer 65. Der Jahresumsatz liegt im dreistelligen Millionenbereich. Samstags strömen bis zu 50.000 Besucher in die Läden und Cafés, die Hälfte sind Touristen. Arkaden-Leiter Lutz Heinicke geht zunächst von einer "sehr zukunftsträchtigen Symbiose" mit der Mall of Berlin aus. Er hofft, dass der Potsdamer Platz als Shopping-Ort ins Bewusstsein rückt. "Wir setzen darauf, dass mehr Berliner und Brandenburger hierher kommen werden", sagt der 53-Jährige. Zwar zogen Saturn und andere Große zuletzt bereits aus und eröffnen nun zum Teil beim Konkurrenten neue Läden, doch Heinicke gibt sich zuversichtlich. Die Leerflächen seien zumeist wieder vermietet oder man befinde sich in "vielversprechenden Gesprächen". Zu seinen Vorteilen zählt er die Außengastronomie, die mit einer neuen Fußgängerzone in der Alten Potsdamer Straße und einem Restaurant des Sternekochs Kolja Kleeberg noch gestärkt werden soll. In Zusammenarbeit mit Star-Architekt Renzo Piano wird darüber hinaus ein Masterplan erarbeitet, um die Arkaden auch im Inneren weiterzuentwickeln.

Klar ist: Zentrum Nummer 65 wird Auswirkungen auf die Center-Kundschaft der Stadt haben. Klar ist aber auch: Es wird nicht das letzte seiner Art in Berlin sein. Nummer 66 und weitere sind schon in Planung.

Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

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