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Die Kulturwissenschaftlerin Katrin Bahr lebt in den USA und hat das Netzwerk "3rd Generation Ost-USA" mitgegründet.

© privat

Dritte Generation Ostdeutschland: "Das Erzählen über die DDR ist immer noch stark Westdeutsch geprägt"

Katrin Bahr ist 1979 in Berlin-Köpenick geboren. Heute lebt und forscht die Kulturwissenschaftlerin in den USA. Zusammen mit Melanie Lorek hat sie das Netzwerk "3rd Generation Ost-USA" gegründet.

Wann haben Sie zum ersten Mal von der Initiative "Dritte Generation Ostdeutschland" gehört?

Ich war im Sommer 2012 in Deutschland und habe dort durch Zufall das Buch "Dritte Generation Ost" in einem Buchladen entdeckt. Meine ostdeutsche Vergangenheit hier in den USA hat für mich schon immer eine große Rolle gespielt. Ich fühle mich mit der Dritten Generation verbunden, weil ich hier Möglichkeiten und Potential sehe, die DDR-Vergangenheit aus anderen Blickwinkeln heraus zu betrachten. Wir sind eine Generation, die nicht unmittelbar von den politischen Ereignissen betroffen war und eine doppelte Sozialisation in der DDR und in der Bundesrepublik durchlaufen hat.

Ich denke, dadurch haben wir die Chance, zwischen den Generationen aber auch innerhalb der Generationen einen Redediskurs in Gang zu bringen.

Zusammen mit Melanie Lorek haben Sie das Netzwerk "3rd Generation Ost-USA" ins Leben gerufen. Warum war es Ihnen wichtig, als "Wendekinder" in den USA aktiv zu werden?

Als Melanie Lorek und ich 2012 das Netzwerk gegründet haben, ging es uns vorwiegend um zwei Dinge. Erstens, angehenden Wissenschaftlern eine Plattform zu bieten, sich über DDR relevante Themen auszutauschen und zweitens, die interdisziplinäre und interkulturelle Perspektive zu nutzen, um neue Forschungswege zu gehen. Das wir hierbei auch angehende Wissenschaftler mit DDR-Biographien dabei haben, ist natürlich schön aber nicht unsere vordergründige Motivation.

Wie bewerten Sie den Vorwurf, die "Dritte Generation Ost" verkläre die DDR-Vergangenheit?

Ich kann natürlich nicht für alle in der Gruppe der Dritten Generation sprechen. Das Problem der Verklärung taucht natürlich immer dann auf, wenn es um positive Aspekte des Lebens und Aufwachsens in der DDR geht. Ich denke, dass diese Diskussionen geführt werden müssen. Wenn ich über mein Heranwachsen in der DDR erzähle, geht es mir in erster Linie darum, aufzuzeigen, dass es auch Menschen in der DDR gegeben hat, die zu jung waren, um sich in bestimmte politische Gegebenheiten einzuordnen oder gegen diese aufzubegehren. In dem primär geführten Diskurs über die DDR als totalitärer Staat wird immer noch zu oft nur zwischen Opfern und Tätern klassifiziert. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass es auch Menschen gibt, die sich keiner Kategorie zugehörig fühlten und fühlen.

Wie waren bisher die Reaktionen von Amerikanern, wenn sie von der Initiative gehört haben?

Wir hatten bisher nur positive Reaktionen auf unser Netzwerk. Als wir mit unserer Website an die Öffentlichkeit gingen, waren wir selbst über die große Nachfrage und Interesse an einer Zusammenarbeit überrascht. Aufgrund der Entfernungen ist es oftmals schwer, sich regelmäßig zu treffen. Wir versuchen daher unsere Netzwerktreffen an verschiedene Konferenzen anzuknüpfen, auf denen wir uns dann über mögliche Projekte austauschen können.

Warum hat es Sie in die USA verschlagen?

Ich bin 2009 in die USA gegangen, um die Freiwilligenorganisation Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) in ihrem Länderbüro in Philadelphia zu unterstützen. Die unterschiedliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und dem Holocaust und meinem eigenen politischen Engagement in der Nachwendezeit hat mir deutlich gemacht, wie wichtig es ist, den deutschen Diskurs differenzierter zu betrachten. Auch begann ich zum ersten Mal, mich mit meinen eigenen ostdeutschen Wurzeln zu beschäftigen. Durch Zufall bin ich auf die "DEFA Film Library an der University of Massachusetts Amherst" gestoßen, in der DEFA Filme gesichtet und untertitelt werden. Eine erstmalige Kontaktaufnahme mit dem dortigen "German Department" führte zu dem Angebot, einen Doktor an der Universität zu machen. So bin ich 2011 von Philadelphia in die kleine Universitätsstadt Amherst umgezogen.

Welche Erinnerungen und Erfahrungen verbinden Sie mit der DDR?

Ich bin 1979 in Berlin-Köpenick geboren, habe zwei Jahre durch die Arbeitstätigkeit meines Vaters in Mozambique gelebt und bin den Rest meiner DDR-Zeit in Berlin-Hohenschönhausen aufgewachsen. Ich finde das Thema des Erinnerns sehr spannend. Da ich zurzeit der Wende selbst erst zehn Jahre alt war, frage ich mich oft, ob meine Erinnerungen wirklich die eigenen sind, oder nicht doch eher ein Zusammenschnitt aus Erzählungen und Fotos. Meine Erinnerungen an die DDR sind zumeist Erinnerungen an Schule, Schulappelle, Pioniernachmittage, unsere Platte, meine Zeit beim Eisschnelllauf, aber auch Ausflüge mit der Familie und den Tod meines Großvaters, der leider die Wiedervereinigung nicht mehr miterleben konnte.

An den Mauerfall und die Wiedervereinigung erinnere ich mich nur bruchstückhaft, und zumeist sind diese Erinnerungen mit dem Gefühl der Unbestimmtheit und Ungewissheit verbunden. Eines meiner positiven Erlebnisse sind sicherlich die Wochen im Ferienlager Zesch am See. Ich erinnere mich an die Kinobesuche, bei denen wir mit den tschechoslowakischen Kindern Brausepulver getauscht haben. Negativ in Erinnerung ist mir geblieben, dass eine meiner Klassenkameradin irgendwann nicht mehr zum Unterricht erschien und niemand wusste, wo sie war. Jahre später haben wir erfahren, dass sie mit ihren Eltern in den Westen geflohen war.

Welche Verbindung haben Sie heute noch zu Berlin?

Berlin ist und bleibt für mich der Ort, wo ich geboren, aufgewachsen und sozialisiert wurde. Meine Eltern leben noch dort und auch die meisten meiner Freunde, mit denen ich aufgewachsen bin. Wenn ich in Berlin bin, versuche ich die touristischen Orte zu meiden, was mehr und mehr unmöglich wird. Ich finde es interessant zu sehen, wie Berlin sich in den Jahren nach der Wiedervereinigung verändert hat. Nervig finde ich vor allem die Vermarktung von DDR-Geschichte. Während Ostdeutschen eine Verharmlosung ihrer Geschichte und nostalgisches Denken vorgeworfen wird, wird an anderer Stelle in Ausstellungen und Museen alles darum gegeben, das DDR-Erbe oder angebliches Wissen darüber so gut es geht zu vermarkten. Und so ist es dann auch nicht verwunderlich, dass man im Friedrichshain plötzlich ein Café mit russischem Namen entdeckt, in dem zehn Lenin Büsten stehen. Ich werde ab Dezember erst einmal für 18 Monate für Recherchezwecke wieder nach Berlin ziehen. Die Frage einer endgültigen Rückkehr lässt sich schwer beantworten, aber man soll ja niemals nie sagen.

Wie nehmen Sie das deutsch-deutsche-Verhältnis wahr?

Ich denke, die allseits zitierte Phrase der "Mauer im Kopf" ist auch heute noch vorhanden. Sicherlich wird auf politischer Ebene immer wieder von einer gesamtdeutschen Perspektive geredet. Wenn man sich jedoch den medialen Diskurs anschaut, wird schnell klar, dass das Erzählen über die DDR immer noch stark Westdeutsch geprägt ist.

Wen fanden Sie als Kind in der DDR toll?

Ich habe im Alter von sieben Jahren mit Eisschnelllauf angefangen, daher war für mich meine große Heldin immer Gunda Niemann.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage des Netzwerkes.

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