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Willkommen im letzten Zipfel Europas. Während die deutschen Fußball-Nationalspieler in der kasachischen Hauptstadt verweilen, werden in ihrem Tagesprogramm alle Termine in mitteleuropäischer Sommerzeit angegeben.

© dpa

Länderspiel in Kasachstan: Astana liegt in Deutschland

Dass die deutsche Mannschaft am Dienstag in Astana auf Kunstrasen spielen wird, ist noch das geringste Problem. Wie die Nationalmannschaft beim Länderspiel in Kasachstan versucht, mit den widrigen Umständen fertig zu werden.

Berlin - Joachim Löw findet es nicht schlimm, dass er als Trainer leicht zu durchschauen und in gewisser Weise auch berechenbar ist. Im Gegenteil. Für den Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft beweist das nur, dass er seinen Stil gefunden hat. Seine Mannschaft bleibt sich treu, sie muss nicht auf jeden Gegner immer wieder neu ausgerichtet werden. Für den Dienstag aber, für das EM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan in Astana, hat sich Joachim Löw einen ganz besonderen Kniff ausgedacht. Er ist wild entschlossen, die Mannschaft auszutricksen. Seine eigene Mannschaft.

Wenn der deutsche Tross morgen nach fünf Stunden Flug in der kasachischen Hauptstadt Astana aus dem Flugzeug steigt, sollen die Spieler der Illusion erliegen, dass sie nach einem Rundkurs wieder in Deutschland gelandet sind. Draußen mag es schon dunkel sein, aber für die Spieler bleibt es früher Nachmittag. Ihre Uhren werden sie auf Anweisung der sportlichen Leitung gar nicht erst umstellen dürfen, damit sie gar nicht erst in Versuchung kommen, sich über die ungewöhnliche Anstoßzeit des Qualifikationspiels zu wundern. Statt um 23 Uhr (Ortszeit) werden die Deutschen um 19 Uhr (mitteleuropäische Sommerzeit) spielen, zu einem durchaus üblichen Termin also. „Wir haben uns entschlossen, in unserem Rhythmus zu bleiben“, sagt Joachim Löw.

Die Reise nach Kasachstan führt die Delegation des Deutschen Fußball-Bundes an den letzten Zipfel Europas. Mehr als 90 Prozent des Landes gehören zu Zentralasien, knapp 4000 Kilometer sind es von Berlin aus, vier Stunden beträgt der Zeitunterschied – an einen weiter entlegenen Ort hat es die Nationalmannschaft zu einem Qualifikationsspiel noch nie verschlagen. Für Joachim Löw ist das „eine ganz neue Situation, ein ganz neues Gefühl“. Entsprechend ausführlich hat sich sein Stab mit der Planung der Fernreise beschäftigt. Dass die Mannschaft am Dienstag in Astana auf Kunstrasen spielen wird, ist noch das geringste Problem. Den kennen die Deutschen schon aus der WM-Qualifikation vor einem Jahr in Moskau.

Tim Meyer, der Arzt der Nationalmannschaft, erinnert sich, dass er sich schon vor gut vier Monaten zum ersten Mal mit den besonderen Umständen des Auswärtsspiels in Kasachstan beschäftigt hat. Anfangs habe man verschiedene Varianten durchgespielt: Soll man schon am Samstag, am Tag nach dem Spiel gegen die Türkei, aus Berlin nach Kasachstan fliegen, am Sonntag oder doch erst am Tag vor dem Spiel, gerade noch rechtzeitig zum Abschlusstraining? Nach einer Faustregel braucht der Körper für jede Stunde Zeitunterschied einen Tag zur Akklimatisierung. Die Nationalmannschaft hätte also vier Tage vor dem Spiel nach Astana reisen müssen, was schon deshalb schwierig war, weil sie am Tag X minus vier noch das Spiel gegen die Türkei bestreiten musste. „Wir stellen uns überhaupt nicht um“, sagt Meyer. „Wir bleiben komplett in deutscher Zeit.“ Auf ihren Tagesprogrammen werden die Spieler alle Termine, Frühstück, Mittagessen oder Training, in mitteleuropäischer Sommerzeit angegeben finden, auch wenn es laut Meyer schwierig ist, „mit den Hotelangestellten in deutscher Zeit zu verkehren“.

Als Wissenschaftler musste der Arzt der Nationalmannschaft feststellen, dass es zu diesem Thema „erstaunlich wenig seriöse Literatur“ gibt, dafür aber eine Menge Erfahrung. „Die Strategie ist wohlbekannt“, sagt er, „und klappt recht gut.“ Es geht darum, die Zirbeldrüse im Gehirn zu überlisten, die auf Licht reagiert und durch die Ausschüttung von Melatonin das menschliche Zeitempfinden steuert. Deshalb hat die Reiseleitung darauf geachtet, dass die Hotelzimmer der Spieler komplett verdunkelt werden können, damit die Nacht für sie ein bisschen länger dauert.

Der Ansicht, dass die derzeit so erfolgreiche Nationalmannschaft einen Gegner wie Kasachstan, die Nummer 126 der Welt, wohl auch im Halbschlaf besiegen werde, hat der Bundestrainer entschieden widersprochen. Joachim Löw hält die von Bernd Storck, dem früheren Kotrainer von Hertha BSC, betreute Mannschaft für eindeutig stärker als Aserbaidschan. „Sie spielen sehr robust“, sagt er. „Sie haben gute Fußballer, die durch ihren deutschen Trainer auch deutsche Tugenden verkörpern.“ Einen Vorteil aber haben die echten Deutschen: Sie dürfen schon um 19 Uhr spielen, die Kasachen müssen bis kurz vor Mitternacht auf den Anpfiff warten.

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