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Der Nigerianer Oyindamola Johnson, 35, gehört zum aktuellen Jahrgang der „Global Solutions Summer School“.

© Thilo Rückeis

Global Solutions 2018: Der Klub der jungen Visionäre

In der Global Solutions Summer School tauschen sich junge Menschen aus, die nicht weniger als die Welt verändern wollen. Ein Besuch.

Viele sind über Umwege hergekommen. Oyindamola Johnson zum Beispiel war professioneller Pianist. Liebte Beethoven, mehr noch aber R’n’B und Jazz, spielte mit seiner Band vor 60.000 Zuschauern. Bis ihm eines Tages sein Cousin erzählte, er helfe nun in Makoko. Dem berüchtigten Armenviertel von Lagos, wo die Menschen in Pfahlbauten auf einer Lagune leben, ohne Strom und Frischwasser. Die Kinder dort gehen nicht zur Schule – deshalb gehen wir jetzt zu ihnen, sagte der Cousin. Bauen ein riesiges Floß mit Unterrichtsräumen aus Holz drauf, bringen ihnen zumindest das Wichtigste bei. Ihr Projekt nannten sie „Slum to Classroom“. Und Oyindamola Johnson sagte: Da will ich unbedingt dabei sein.

An diesem Sonntagvormittag muss Johnson, 35, mehrfach grinsen. Vor ihm steht George Akerlof, ein Wirtschaftsnobelpreisträger, und erklärt, wie manipulativ Märkte sein können. Er verdeutlicht das am Beispiel von Zimtschnecken und Kapuzineraffen.

Einen Nobelpreisträger, zumal einen 77-jährigen, hatte sich Johnson anders vorgestellt. Steifer vielleicht. Ganz sicher nicht so unterhaltsam. Oyindamola Johnson ist einer von rund 150 jungen Menschen aus 44 Nationen, die unter Tausenden Bewerbern ausgewählt wurden, um Teil des Berliner Global Solutions Summit zu sein. Damit auch die Generation der künftigen Problemlöser und Lenker auf der Konferenz vertreten ist. Sie werden hier Young Global Changers genannt.

50 von ihnen sind bereits zwei Tage früher zur Global Solutions Summer School angereist. Das Wochenende vor der Konferenz verbringen sie in den Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung am Rand des Tiergartens, tauschen sich aus, bilden Netzwerke, diskutieren, was sie auf der Konferenz erreichen wollen. Vielleicht auch: wen sie dort ansprechen und für ihr eigenes Projekt begeistern können.

Da ist der junge Nepalese, der inzwischen in Kalifornien lebt und für den Computerriesen Intel arbeitet, aber in seiner Heimat 3000 Bibliotheken errichten will. Da ist die Brasilianerin, die ihre Landsleute für Solarenergie begeistern möchte. Die Inderin, die für höhere Löhne in der Textilindustrie kämpft. Die Deutsche, die ein interreligiöses Musikfestival ausrichtet. Der Italiener, der sagt: Kindern muss in der Schule nicht nur Wissen vermittelt werden, sondern auch die Fähigkeit, kritisch zu denken.

„Slum to Classroom“, das Schulprojekt in Lagos, half Hunderten Minderjährigen, sagt Oyindamola Johnson. In der Floßschule lernten sie schneidern und wie man Brot backt. Einmal ist das Konstrukt eingekracht, die Schüler fielen ins Wasser. Egal, sie haben weitergemacht. Mittlerweile ist Johnson Direktor eines viel größeren Projekts: Landesweit bietet er Kurse an, um Jugendliche auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts vorzubereiten. Am Ende ihrer Schullaufbahn können manche nicht mal eine vernünftige E-Mail schreiben, sagt er. Wie sollen die kommenden Generationen die Welt retten, wenn es schon da hakt? Ein Komitee der Afrikanischen Union hat Johnson zum „African Youth Hero“ ernannt.

Die Teilnehmer der Global Solutions Summer School mit ihren Coaches.
Die Teilnehmer der Global Solutions Summer School mit ihren Coaches.

© Christian Thiel

Ein Wort, das alle Teilnehmer der Global Solutions Summer School umtreibt, ist Nachhaltigkeit. Damit meinen sie nicht allein die Ressourcen der Erde und wie Menschen sie maßvoll nutzen können. Sondern ganz konkret: Wie muss ich mein Projekt, meine Initiative, meine Organisation gestalten, damit sie auch in zehn Jahren existiert und wirkt? 99 Prozent aller gut gemeinten sozialen Projekte gehen irgendwann ein, sagt Pradeep Khanal, der Nepalese mit den geplanten Bibliotheken. „Das geschieht, weil Ehrenamtliche abspringen, sich anderen Projekten zuwenden.“ Weil neue Ziele dringender erscheinen als die Notwendigkeit, schon Erreichtes zu sichern.

Seine 3000 Bibliotheken will er deshalb von Beginn an den jeweiligen Gemeinden übertragen. Damit die nicht nur profitieren, sondern sich verantwortlich fühlen. Bevor ihm die Idee kam, hatte er in seiner Heimat Schülerstipendien organisiert und eine jährliche Auszeichnung für Lehrer ins Leben gerufen. Nach dem Erdbeben vor drei Jahren sammelte er Spenden für Hunderte provisorische Unterkünfte. Warum macht er das, wo er doch längst in Kalifornien lebt? „Im Jahrbuch meiner Schulklasse“, sagt er, „haben mir die anderen prophezeit, dass ich später nepalesischer Präsident werde.“ Er will es erst mal mit den Büchern probieren.

In der Global Solutions Summer School treffen nicht nur verschiedene Visionen und Lösungsansätze aufeinander, sondern auch unterschiedliche Grundvoraussetzungen. Das fällt etwa auf, wenn die einen über Details im Ethikunterricht ihrer Schulen diskutieren, die anderen aber berichten, wie Lehrer in ihren Herkunftsländern Schüler verprügeln und Leistungsschwache hänseln. Die Frau aus Indien sagt, ihr wurde im Unterricht mit dem Mathebuch auf den Kopf geschlagen. Da verstummen die Deutschen.

Andererseits, auch das wird für die Teilnehmer zur überraschenden Erkenntnis, ähneln sich die Probleme doch oft mehr als erwartet. Die Einsamkeit alter Menschen zum Beispiel. Ist das nicht ein ausschließliches Problem der westlichen Welt – sind die Senioren weniger industrialisierter Gesellschaften nicht durch Familienstrukturen versorgt? Im Gegenteil, sagt der Inder. Bei der Flucht in Metropolen werden Alte zurückgelassen. Und das Problem ist dort noch gravierender. Weil es nicht einmal Seniorenheime gibt.

Vinay Murudi beim Treffen mit dem Regierenden Michael Müller im Roten Rathaus.
Vinay Murudi beim Treffen mit dem Regierenden Michael Müller im Roten Rathaus.

© Tobias Koch

In den kurzen Pausen zwischen ihren Workshops erholen sich die Teilnehmer im Garten. Loben Deutschland für die Idee, Butter in Brezeln zu spritzen. Überlegen, ob es wohl überhaupt Gründe geben mag, nicht in Berlin leben zu wollen. Und wer von ihnen am Montag die eine Frage an Angela Merkel stellt. Vor versammelter Runde auf dem Global Solutions Summit. Die Veranstalter haben ihnen dieses Privileg zugesichert.

Die deutsche Kanzlerin ist unter den Teilnehmern beliebt. Nicht nur, weil sie vor drei Jahren die Flüchtlinge ins Land gelassen und so Not gelindert habe. Sondern weil sie eine starke Führungsperson sei, ohne laut zu werden. Weil sie zur Sachlichkeit neige. Die meisten Anwesenden kennen das aus ihren Regionen der Welt nicht. Das ist für sie ein weiteres globales Problem: der Vormarsch des Populismus auf Kosten der Vernünftigen. Die Auswirkungen spüren sie, egal ob sie sich gegen Klimawandel engagieren oder für den Schutz von Minderheiten. Der Populismus macht ihren Kampf beschwerlicher.

Muhammadu Buhari, der Präsident von Nigeria, hat im vorigen Monat über die Jugend seines Landes gelästert. Die sei mehrheitlich faul, wolle nicht arbeiten. Oyindamola Johnson steht im Berliner Tagungsraum in seinem Anzug zwischen zwei Tischreihen und sagt: „Mal ehrlich, sehe ich aus, als wolle ich nicht arbeiten?“

An seinem ersten Abend in Berlin hat er sich in sein Hotelzimmer gesetzt. Hat den Fernseher auf Aquarium-Modus gestellt, sich auf Facebook eingeloggt und eine Live-Übertragung begonnen. Er wollte allen, die einschalteten, erzählen, wie er nach Berlin gekommen ist und warum ausgerechnet er auf dem Global Solutions Summit sein darf, zwischen der deutschen Kanzlerin und Nobelpreisträgern.

Johnson hat gesagt, das liege an einer simplen Überzeugung. Wer etwas bewegen wolle, dürfe nicht darauf warten, dass andere einen dazu auffordern. Oder dass jemand kommt und sagt: Nun bist du bereit. „Die Erlaubnis musst du dir selbst geben.“

Dienstagabend, nach Ende der Konferenz, werden sich die Teilnehmer der diesjährigen Global Solutions Summer School noch einmal zum Abendessen mit denen des Vorjahres treffen. Denn genau das ist die mittelfristige Vision: ein weltweites Netzwerk junger Visionäre zu schaffen, die auf allen Kontinenten an den Lösungen der Welt von morgen arbeiten.

Die Frage an die Kanzlerin darf am Ende Nancy Hoque stellen. Ihre Eltern stammen aus Bangladesch, sie selbst ist in den USA aufgewachsen, lebt in San Francisco, engagiert sich für Gleichbehandlung der Geschlechter in Unternehmen. Als sie am Montagnachmittag dann tatsächlich vor Angela Merkel steht, fragt sie: Was unternehme die Kanzlerin als mächtigste Frau der Welt, um die Führungsqualitäten von Frauen sichtbarer zu machen? Und dann noch: „Wie können wir Ihnen dabei helfen?“

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