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Im BLICK: Frauenzimmer und Infektionsherde

Neben den Schauplätzen, auf denen es wirklich brennt – man könnte Syrien nennen – gibt es politisch immer wieder Fragen, die ohne sofort plausiblen Grund Konjunktur haben. Dazu gehört seit ein paar Jahren wieder die Prostitution.

Neben den Schauplätzen, auf denen es wirklich brennt – man könnte Syrien nennen – gibt es politisch immer wieder Fragen, die ohne sofort plausiblen Grund Konjunktur haben. Dazu gehört seit ein paar Jahren wieder die Prostitution. Wer dachte, es sei nun alles gesagt und nach jahrzehntelanger Arbeit der Hurenbewegung ein Stück Ermächtigung geschafft, kann sich aktuell eines Schlechteren belehren lassen. Seit zwei Wochen ist der schwarz-rote Entwurf des „Prostituiertenschutzgesetzes“ draußen, der zwei der Repressionsinstrumente wieder in Dienst nimmt, die diese Bewegung am meisten bekämpfte: Die – zur Beratungspflicht verdünnte – Gesundheitskontrolle der Prostituierten und die Meldepflicht. International brach diese Woche ein Sturm los, als ein Papier der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekannt wurde, das die Entkriminalisierung von Sexarbeit forderte, weil sie die Menschenrechte dieser „weltweit randständigsten Gruppe“ verletze, sie Gewalt aussetze, Verfolgung und Menschenhandel Vorschub leiste und ihre Gesundheit untergrabe. Hollywood-Größen wie Kate Winslet, Emma Thompson und Meryl Streep zeigten sich darüber in einem Protestbrief „tief besorgt“, Feministinnen sind seit je geteilter Meinung. Während etwa die Frauenrechtsorganisation „Terre des femmes“ in Deutschland fordert, Sexkauf komplett zu verbieten – de facto ein Verbot der Sexarbeit – sind die Schweizer Schwestern dagegen.

Prostitution war seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein Hauptschauplatz jener Sexualpolitik, die Sex zum „Schlüsselelement“ von Gesellschaftspolitik überhaupt machte, wie die New Yorker Historikerin Dagmar Herzog in ihrer Geschichte der Sexualität in Europa im 20. Jahrhundert schrieb. Ihre Vorgeschichte allerdings geht bis aufs Ende des 18. Jahrhunderts zurück, als Mediziner und erste Seelenkundler mit wissenschaftlichem Anspruch begannen, sich für Huren zu interessieren – freilich um „das Weib“ an sich theoretisch in den Griff zu bekommen. Die weibliche Anatomie schlechthin, schrieb Katja Sabisch 2010 in ihrer Analyse „Die Prostituierte im 19. Jahrhundert. Zur Enstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ in der Zeitschrift „L’homme“, machte das „Frauenzimmer“ zum „Infectionsherd“, die Forscher glaubten an eine symbiotische Beziehung der Frau zur Syphilis. Galten Frauen schon vorher als krankhafte Abirrung des (Männlich-) Menschlichen, so wurde nun ihre „spezielle venerologische Pathogenität hinzugefügt“. Die Frau war ansteckend, schon wenn sie nur da war. Psychiater wie der berüchtigte Cesare Lombroso hätten den infektiösen Frauenkörper „um die infektiöse Seele komplettiert“; es entstand „Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte“, so der Titel eines Werks von Lombroso.

Hure, Krankheit, Verbrechen: Die alte Erzählung scheint noch immer attraktiv zu sein. Der Zug der Zeit bringt mit sich, dass das Verbrechen jetzt Menschenhandel heißt und die Prostituierten selbst seine Opfer sind. Wie stark die Erzählung noch wirkt, wird sich in Deutschland, vielleicht, in der parlamentarischen Beratung zeigen. Amnesty entscheidet am kommenden Wochenende über seine künftige Position zur Sexarbeit.

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