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Wirtschaft: Einspruch, Herr Eichel!

Steuerbescheide sind derzeit in vielen Punkten nur vorläufig, weil Urteile in wichtigen Musterprozessen noch ausstehen

Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, in der die Herren Koch von der CDU und Steinbrück von der SPD im Dezember 2003 den Weg frei machten für den überparteilichen Steuerkompromiss. Um das Vorziehen der Steuerreform zu finanzieren, hatten die beiden Politiker dem Vermittlungsausschuss in letzter Minute eine Liste mit Steuervergünstigungen vorgelegt, die man opfern sollte. Diese Überrumpelungsaktion hat jetzt ein gerichtliches Nachspiel. Davon können auch Steuerzahler profitieren, die gar nicht geklagt haben: „Jeder, der von den Kürzungen des Haushaltsbegleitgesetzes betroffen ist, sollte unbedingt Einspruch gegen seinen Steuerbescheid 2004 einlegen“, rät Katrin Bless, Steuerberaterin in der Münchner Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungskanzlei SH+C Schwarz Hempe & Collegen GmbH.

Streitfall Haushaltsbegleitgesetz. Streichopfer gibt es viele: Immerhin waren dem Kürzungsgesetz Arbeitnehmer (Reduzierung des Arbeitnehmer-Pauschbetrags von 1044 Euro auf 920 Euro im Jahr, Einschränkungen bei Abfindungen) genauso zum Opfer gefallen wie Sparer (Senkung des Sparerfreibetrags von 1550 Euro für Ledige auf 1370 Euro im Jahr). Besonders hart traf es Pendler. Denn diese mussten auch noch eine Verringerung der Entfernungspauschale hinnehmen.

Der Deutsche Steuerberaterverband ist der Ansicht, dass das Gesetz nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, weil Bundestag und Bundesrat das Gesetz nicht ordnungsgemäß abgesegnet haben. In letzter Instanz wird sicherlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen. Weil bereits zahlreiche Einsprüche in dieser Sache bei den Finanzämtern liegen und auch Gerichtsverfahren anhängig sind, hat das Bundesfinanzministerium die Finanzverwaltung angewiesen, Steuerbescheide in Hinblick auf das Haushaltsbegleitgesetz für vorläufig zu erklären. Das heißt: Geben die Gerichte den Klägern Recht, profitieren auch all die Bürger davon, die nicht geklagt haben. Eigentlich wäre noch nicht mal ein Einspruch gegen den Bescheid nötig, aber: „Es kann passieren, dass der Vorläufigkeitsvermerk fehlt“, sagt Wolfgang Wawro, Präsident des Steuerberaterverbandes Berlin-Brandenburg. Und dann muss man doch Einspruch einlegen, um seine Rechte zu wahren.

Streitfall Abgeordnetenentschädigung. Das gilt auch für andere Punkte. So hat der Bund der Steuerzahler ein Musterverfahren eingeleitet, weil er die steuerliche Privilegierung der Bundestagsabgeordneten gerichtlich überprüfen lassen will. Denn die Volksvertreter erhalten 30 Prozent ihrer Bezüge steuerfrei, während Arbeitnehmer mit vergleichsweise kleinen Pauschbeträgen abgespeist werden. Auch in dieser Frage ergehen die Steuerbescheide jetzt vorläufig – wenn keine Panne passiert. Sollte der Vorläufigkeitsvermerk fehlen, bleibt nur ein Ausweg: Einspruch einlegen. Das ist ohnedies häufig ratsam. Denn nirgendwo sonst sind die Erfolgsaussichten so hoch wie im Steuerrecht (siehe Kasten) . 235000 Einsprüche erledigte allein die Berliner Finanzverwaltung im vergangenen Jahr, 157000-mal wurden dabei die Bescheide aufgehoben oder geändert, Erfolgsquote: 70 Prozent.

Neben dem Haushaltsbegleitgesetz und den Abgeordneten-Privilegien gibt es aber noch weitere offene Fragen. Dass die Behindertenpauschale seit 30 Jahren nicht erhöht worden ist, beschäftigt die Finanzgerichte genauso wie der Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende – auch hier ergehen die Steuerbescheide nur vorläufig, falls nicht: Einspruch.

Streitfall Spekulationssteuer. Und auch die unendliche Geschichte namens „Spekulationssteuer“ erfährt nun eine Fortsetzung. Nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits für die Jahre 1997 und 1998 die Regelung wegen des lückenhaften Kontrollsystems für verfassungswidrig erklärt hatte, äußerte der Bundesfinanzhof kürzlich auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit für das Jahr 1999 (IX B 120/04), ab 2000 erfolgt ohnehin schon die vorläufige Festsetzung. Wer betroffen ist und wessen Bescheid noch nicht bestandskräftig ist, sollte auch hier Einspruch einlegen, rät Wawro: „Der Steuerrechtler Professor Tipke nannte die Steuer auf Spekulationsgeschäfte eine Dummensteuer, weil das Finanzamt nicht in der Lage ist, solche Fälle aufzudecken, die man selbst nicht erklärt hatte. Ob die Probleme jetzt mit der Kontenabfrage, also seit diesem April, wirklich beseitigt sind, muss sich zeigen.“

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