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Der Wohnkomplex in der Rathausstraße in Bad Schlema, Sachsen, wurde im September mit 24 Balkonen ausgestattet.

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Update

Bad Schlema in Sachsen: Hartz-IV-Empfänger bekommt Balkon - und darf nicht drauf

Der Balkon ist da, eine Tür nicht: Ein Hartz-IV-Empfänger kann sich die Mieterhöhung für den Anbau nicht leisten - und darf deswegen nur draufschauen. Solche "Kompromisse" sind auch Berlin bekannt.

Klaus Leichsenring hat jetzt einen Balkon. Jedoch keine Tür, um diesen betreten zu können. Die Gebäudeverwaltung baute diese nicht ein, denn dem Hartz-IV-Empfänger fehlt das Geld. Die Geschichte des 61-Jährigen ist kein Einzelfall.

30 Euro kostet der Balkon pro Wohnung - eine Mieterhöhung, die sich Leichsenring nicht leisten kann. Ohnehin ist seine Dreizimmerwohnung zu teuer, das Arbeitsamt bezahlt nur einen gewissen Anteil seiner Miete. "Das Amt hatte mir schon vor einer Weile gesagt, dass meine Miete eigentlich unangemessen hoch ist", sagt Leichsenring. Für eine weitere Erhöhung gebe es keinen Spielraum. Ohnehin muss er einen Teil seiner Miete durch Ein-Euro-Jobs verdienen. Von insgesamt 24 Wohnparteien in der Rathausstraße in Bad Schlema in Sachsen hatten sich 23 für die Balkone entschieden - nur Leichsenring war dagegen.

Ihm einfach keinen Balkon an die Wohnung zu bauen, war nicht möglich, sagt Katrin Dörfelt, Geschäftsführerin der Gebäude- und Wohnungsverwaltung Schlema. "Es handelt sich um vorgefertigte Metallteile. Einen Balkon wegzulassen, ist aus technischen Gründen nicht möglich." Also habe man versucht, einen Kompromiss zu finden.

Andere Wohnangebote lehnt der Mann ab

Dem Mieter wurde eine Zweizimmerwohnung im Erdgeschoss eines anderen Gebäudes angeboten. Diese hätte er sich auch finanziell besser leisten können, sagt Dörfelt. Auch beim Umzug hätte man geholfen. Doch Leichsenring lehnte ab, aus gesundheitlichen Gründen. Der ehemalige Baumaschinist wohnt sein Leben lang in der Wohnung - bereits mit seinen Eltern hat er hier gelebt. Nach einer Herzkrankheit hatte er seinen Job verloren. Seit September blickt er nun schon auf seinen Balkon - und hat sich damit arrangiert: "Das ist okay. Ich wollte es ja so. Und was man nicht kennt, vermisst man ja auch nicht."

Konkrete Beschwerden von anderen Mietern hat es bisher nicht gegeben. "Aber für Wohnungen in dem Gebäudekomplex gibt es natürlich viele Anfragen", sagt Dörfelt. Auch andere "finanzschwache Mietparteien" würden die 30 Euro bezahlen. Leichsenring die Mieterhöhung zu erlassen, sei "unfair den anderen Mietparteien gegenüber". Deswegen habe man auf den Einbau einer Tür zum Balkon verzichtet. Ob der 61-Jährige durch das Fenster auf den Balkon steigt, werde nicht kontrolliert. Leichsenring sagt dazu, er sei so oder so zu ungelenk, um durch das Fenster auf den Balkon zu steigen.

Die Gebäudeverwaltung versteht die Aufregung nicht

Das Fenster ist das einzige in dem Zimmer mit den Balkon und zur Sonnenseite und könne daher auch nicht einfach zugemauert werden, beschreibt Dörfelt den Kompromiss. Die Geschäftsführerin findet, die Presse würde den Fall doch sehr "aufbauschen". Die Gespräche mit dem Mieter seien immer sehr freundlich abgelaufen. Dieser muss sich irgendwann an die lokale Presse gewandt haben. Am Dienstag kommt RTL mit einem Kamerateam nach Bad Schlema.

"Kompromisse" dieser Art seien kein Einzelfall, sagt Dörfelt. In der Region sind weitere Fälle bekannt: Auch in Schneeberg und Aue gibt es Wohnungen mit Balkon aber ohne Tür. "Das sind Ausnahmefälle, eine Handvoll vielleicht", sagt Frank Polster von der Wohnungsbaugesellschaft Aue. "Es handelt sich meist um ältere Personen, die krank sind oder sozial schwach."

Auch in Berlin seien derartige Fälle nicht unüblich, sagt Wibke Werner vom Berliner Mieterverein. In einem Fall wurde ebenfalls ein Balkon angebracht, aber kein Zugang für den Mieter eingerichtet, damit dieser keine Mieterhöhung zu zahlen habe.

In einem anderen Fall ging es um den Einbau eines Aufzuges. Hier hatte das Bezirksamt die Maßnahme genehmigt unter der Auflage, dass eine Mieterhöhung nur die Mieter betreffen darf, die dem Einbau des Aufzuges zustimmen und damit einerseits das Nutzungsrecht des Fahrstuhls bekommen, andererseits aber auch die Mieterhöhung durch die Modernisierungsumlage akzeptieren müssen. Hier handelt es sich um Fälle in sogenannten Milieuschutzgebieten.

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