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Panorama: "Der ewige Gärtner": Pharma-Fama

Es Beginnt in Kenia. Die junge Frau eines britischen Diplomaten wird ermordet, auf einer Reise in den Busch, bei der sie ein afrikanischer Arzt begleitet.

Es Beginnt in Kenia. Die junge Frau eines britischen Diplomaten wird ermordet, auf einer Reise in den Busch, bei der sie ein afrikanischer Arzt begleitet. Sie gilt in Nairobi ohnehin als leichtlebige Person. Offenbar hatten die beiden eine Affäre. Oder?

Mit fast siebzig Jahren hat John le Carré seinen achtzehnten Roman geschrieben, deutscher Titel: "Der ewige Gärtner". Der Witwer nämlich, ein unauffälliger Hobbygärtner, recherchiert auf den Spuren seiner Frau und kommt rabenschwarzen Machenschaften der Pharmaindustrie auf die Spur. Seine Recherchen führen ihn an verschiedene exotische Orte, unter anderem nach Bielefeld, in das Büro einer pharmakritischen deutschen Organisation mit zahlreichen tapferen Aktivistinnen. Ein Konzern missbraucht afrikanische Patienten als Versuchskaninchen für unausgereifte Medikamente! Mitarbeiter der britischen Regierung decken den Konzern! Die Ermordete war hinter diesen Pharma-Kriminellen her, der Arzt unterstützte sie. Sexuell ist zwischen den beiden nichts gelaufen. Sie war keine Hure, sie war eine Heilige.

Vor allem deshalb ist das Buch über weite Strecken recht langweilig: Eindimensionale Charaktere, makellos gut oder hoffnungslos böse, ohne Entwicklung, ohne Brüche und Facetten. Der Plot dient dem Autor dazu, Verhältnisse anzuprangern, die er, wahrscheinlich zu Recht, für empörend hält. Ein Sachbuch ist in solchen Fällen häufig die bessere Lösung.

Auffällig ist die Abwesenheit von Leid und von Leidenschaft. Die Hauptfigur bewegt sich seltsam indifferent durch die Handlung. Ein Mann riskiert sein Leben, aber er scheint dabei kaum etwas zu empfinden. Der Versuch, eine sterbende schwarze Patientin in die Handlung zu integrieren, ein Opfer jener Machenschaften also, misslingt Le Carré völlig. Und die ermordete Anti-Pharma- und Pro-Dritte-Welt-Aktivistin säubert er sorgfältig von jeglicher Erotik, er macht sie zur Dame ohne Unterleib. Eine Heilige, wirklich. Offenbar sind in dieser Welt nur die Schurken gelegentlich lüstern.

Le Carré ist ein realistischer Erzähler. Deswegen wirkt es so störend, wenn er in den Erzählfluss ein Verhör-Protokoll der Polizei aufnimmt, und wenn in diesem angeblichen Protokoll solche Formulierungen stehen: "Tatsächlich? Himmel!" Oder: "Du liebe Zeit." Nein, so klingen Polizei-Protokolle nicht. Auf die Glaubwürdigkeit seiner Details ist der realistische Roman aber angewiesen.

John Le Carré hat sich von den Spionagestories gelöst, die er während des Kalten Krieges erfolgreicher als jeder andere verfasst hat. Er schreibt ein wenig anders als früher, sarkastischer, weniger kühl. Die frühen Carrés waren Meisterwerke der kunstvollen Verzögerung, Stories, die leise von sich hin tickten wie eine Standuhr. Es wurde ausführlich beschrieben, was die handelnden Personen taten, ohne dass die Leser ihre Ziele oder Motive kannten. Carré ist es gelungen, fast ohne Psychologie Spannung zu erzeugen. Seine Romane funktionierten wie eine Black Box. Jetzt versucht Le Carré, seinen Figuren näher zu kommen. Es gelingt ihm nicht, dem großen alten Mann. Er bleibt der Spion, der aus der Kälte kam.

In seinem Nachwort beteuert er, dass die Pharmaindustrie sich in Wirklichkeit in Afrika noch skrupelloser verhalte, als er es schildert. Was sagt das über die Qualität eines Romans? Natürlich gar nichts. Die Qualität eines Romans hängt nicht von seiner Nähe oder Ferne zur Wirklichkeit ab, oder von der politischen Bedeutung seines Themas, oder von den ehrenwerten Absichten des Autors. Literarisch ist "Der ewige Gärtner" deshalb belanglos.

Gibt es den Unterschied zwischen "E" und "U" wirklich nicht mehr? Und wenn es ihn doch gibt, woraus besteht er? Nehmen wir zum Beispiel Helmut Kraussers "Schmerznovelle", eine zur Zeit gern gekaufte, souverän erzählte Geschichte aus dem Fachgebiet Sexualpathologie, Unterabteilung schwere Fälle, die sich beinahe wie ein Drehbuch liest. Auf dem Buchrücken steht denn auch eine lobende Bemerkung des Filmregisseurs Tom Tykwer. Im Gegensatz zum neuen Le Carré ist die "Schmerznovelle" sehr gute Unterhaltungsliteratur. Auch Krausser schildert lediglich die Oberfläche der Ereignisse. Das, was passiert. Das, was die Leute sagen oder denken. Es ist eine Story. Literatur kann aber das, was sogar der beste Film nicht schafft, sie kann unter die Oberfläche der Ereignisse schlüpfen, in die Personen und ihre Welten hineinkriechen, einen eigenen Kosmos erschaffen. Der Film kann trotz all seiner Tricks die Ebene der Ereignisse nicht wirklich verlassen, er bleibt Materie, außen. Der Roman ist Innenwelt, Geist. Er sagt das Unsagbare. Er kann wie Musik sein. Dazu muss er aber mehr bringen als eine Story.

Zweifellos empfinden die meisten Leser, dass es einen Unterschied zwischen trivialer und nicht trivialer Literatur gibt, aber es hängt nicht mit der Perspektive des Erzählens zusammen, nicht mit dem Handlungsreichtum, auch nicht mit dem Sprachniveau, für das der Autor oder die Autorin sich entschieden hat. Stephen King zum Beispiel hat vor allzu langer Zeit einen Roman veröffentlicht, "Das Mädchen", der nur aus Psychologie besteht und in dem so gut wie nichts passiert. Ein zehnjähriges Kind verirrt sich im Wald, isst Beeren und Gräser, hat wirre Träume und wird nach einigen Tagen halbverhungert von einem Jäger gefunden, das ist es auch schon. Diese Geschichte dürfte - im Gegensatz zu allen anderen King-Romanen - unverfilmbar sein. Trotzdem ist es - sehr kunstvoll gemachte - Trivialliteratur. Warum? Weil Kings Text vorgibt, die Welt zu kennen, er nimmt sie als sein Material. Weil der Autor nichts erfahren, sondern etwas erreichen möchte. Die Wirklichkeit wird nicht erforscht, sondern vorgeführt. Es geht nicht um die Suche nach Erkenntnis, es geht um den Effekt. Solche Bücher sind langweilig, aber das merkt keiner, wenn der Autor ein so geschickter Handwerker ist wie Stephen King oder wie Helmut Krausser.

Aus diesen Romanen erfahren wir nichts Neues, aber man liest sie trotzdem gerne. Wer aber in einem Roman etwas Neues sagen möchte, der muss nicht in Geheimdokumenten der Pharmaindustrie suchen, wie Le Carré, oder in der Fachliteratur für sexuelle Verirrungen, wie Krausser. Er oder sie muss nur in sich selber hineinschauen. Und was man dort findet, weiß man vorher nie.

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