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Panorama: Der Held vor Gericht

Kapitän Schröder rettete Menschen aus Seenot. Jetzt wurde er in Alabama wegen eines Unfalls verurteilt

Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand. Am Mittwochmorgen konnte Wolfgang Schröder aus Hamburg im Gerichtssaal in Mobile, Alabama, nur hoffen, dass der Himmel ein Einsehen hat und es ihm erspart, den Beginn seiner Pensionszeit in einem US-Gefängnis zu erleben. Bis zu zehn Jahre drohten dem 59-jährigen Kapitän in diesem Moment – wegen eines tragischen Unfalls.

Es ist ein weiterer Fall aus Amerikas Justiz, gegen den sich ein in Deutschland geschultes Rechtsempfinden empört. In Europa wird fahrlässige Tötung, etwa im Straßenverkehr, mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe geahndet. In den USA gelten andere Gesetze und andere Sitten im Strafvollzug. Nach einem Passus des Seerechts von 1838 reicht einfache Fahrlässigkeit bei Todesfolge aus für längere Haft. Wolfgang Schröder wirkt wie einer der wenigen, die die Situation verstehen oder sich zumindest in sie fügen können: „Wenn es eine längere Gefängnisstrafe wird, bleibe ich eben noch etwas hier. Da kann man nichts machen“, hat er im Dezember einem NDR-Reporter gesagt.

Seit 32 Jahren fährt er zur See. Lebenserfahrung spricht aus seinen Zügen, ein ruhiger Norddeutscher mit weißgrauem Kinnbart und gütigen Augen. Eigentlich ist er ein Held. Als 1987 die Fähre „Herald of Free Enterprise“ im Ärmelkanal kenterte, war er einer der Ersten an der Unglücksstelle und half bei der Rettung von mehr als 400 Passagieren. Margaret Thatcher schrieb einen Dankbrief, Belgiens König verlieh ihm einen Orden.

Am 2. März 2006 havariert sein eigenes Schiff im Hafen von Mobile – genau ein halbes Jahr nachdem Hurrikan „Katrina“ die Region heimgesucht hat. Schröder muss mit seinem Containerfrachter „Zim Mexico III“ beim Ablegen vom Ladedock wenden, bei dem Manöver fällt die Elektrik des Seitenruders am Bug aus. Strömung und Wind drücken das 160 Meter lange Schiff zurück, es rammt die Kaimauer, der Bug bohrt sich in eine Brücke, durch die Erschütterung fällt ein Ladekran um und erschlägt den 46-jährigen Hafenarbeiter Shawn Jacobs.

Schröder muss seinen Pass abgeben, seine Reederei Rickmers in Hamburg stellt eine halbe Million Dollar Kaution, um ihm bis zum Prozess das Gefängnis zu ersparen. Er lebt unter Hausarrest. Im Herbst kommt es zur Verhandlung vor dem Bundesbezirksgericht in Mobile. Das Gericht sieht Fahrlässigkeit gegeben, weil das Bugruder bereits zweimal zuvor ausgefallen war. Es ist zwar repariert worden, aber der Kapitän hätte mit einer Wiederholung rechnen müssen. Bevor sich die Jury zurückzieht, zeigt die Anklage nochmals das Bild des Toten. Schuldig lautet das Urteil am 12. Oktober.

Nun kommt es richtig hart, er muss ins Gefängnis, auch wenn das Strafmaß, wie in Amerika üblich, erst jetzt im zweiten Verfahren verhängt wird. Da er Ausländer ist, gehen die Behörden von Fluchtgefahr aus – das heißt: höchste Sicherheitsstufe. Zu den Gesprächen mit seinem Anwalt wird er in Hand- und Fußfesseln gebracht, 24 Stunden brennt Licht in der Zelle. Die medizinische Versorgung ist nachrangig, dabei leidet Schröder an Diabetes und hohem Blutdruck. Erst nach mehreren Interventionen der Botschaft und des Generalkonsulats wird er auf „mittlere Sicherheit“ zurückgestuft. Zu seinem Glück hat er einen deutschen Pass, die Bundesregierung kümmert sich.

Vor der Verhandlung herrschten widerstreitende Gefühle in Mobile. Am Ende behalten die Diplomaten mit ihren Hoffnungen Recht. Schröder bekommt zwar eine Haftstrafe von drei Jahren – aber auf Bewährung. Er muss eine Entschädigung in Höhe von 60 403 Dollar (46 392 Euro) an die Familie des Opfers zahlen und die USA innerhalb von 72 Stunden verlassen. Aber er ist endlich frei.

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