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Panorama: "Die sind ja wie wir" - In der kleinen Ortschaft Pyla entdecken griechische und türkische Jugendliche Gemeinsamkeiten

Da sind sie ja, unsere Freunde", sagt Ulus spöttisch und zeigt auf den weißen Renault-Kombi, der draußen langsam auf den Parkplatz rollt. Jedes Kind weiß, wer hier solche Autos fährt: die türkische Geheimpolizei aus Nordzypern.

Da sind sie ja, unsere Freunde", sagt Ulus spöttisch und zeigt auf den weißen Renault-Kombi, der draußen langsam auf den Parkplatz rollt. Jedes Kind weiß, wer hier solche Autos fährt: die türkische Geheimpolizei aus Nordzypern. Die beiden Männer in dem Wagen beobachten eine Weile den Eingang des Lokals, notieren sich die Nummern der in der Nähe geparkten Autos und gehen dann hinter der nächsten Ecke in Lauerstellung.

Die Szene spielt im "Pylievs", einem Restaurant in der kleinen Ortschaft Pyla an der Demarkationslinie, die quer durch Zypern verläuft. Pyla, das von der UN-Friedenstruppe kontrolliert wird, ist eines von wenigen Dörfern, in denen griechische und türkische Zyprer noch zusammenleben. Hier ist die Grenze durchlässig, hier können die türkischen Zyprer rüber in den griechisch kontrollierten Süden. Das macht Pyla zu einem Platz für Schmuggelgeschäfte aller Art, aber auch zum inzwischen einzigen Treffpunkt für griechische und türkische Zyprer.

An diesem Nachmittag sind es etwa zwanzig Jugendliche aus beiden Teilen der Insel, die sich im "Pylievs" treffen, um über ein griechisch-türkisches Jugendfestival zu beraten, das sie am Wochenende veranstalten wollen. Ein paar Erwachsene sind auch dabei, zum Beispiel der griechisch-zyprische Lehrer Nikos Anastasiou aus Larnaka und sein türkisch-zyprischer Kollege Ulus Irkad, der heute in Famagusta im Norden lebt. Ulus stammt aus Paphos im Süden. 1974 ist er umgesiedelt, als die in Athen regierenden Obristen versuchten, die Insel zu annektieren und die türkische Volksgruppe zu vertreiben. Die Türkei besetzte daraufhin den Norden Zyperns, 180 000 griechische Zyprer flohen vom Norden in den Süden, 50 000 türkische Zyprer von dort nach Norden.

Nach mehr als einem Vierteljahrhundert der Trennung gebe es keine Gemeinsamkeiten mehr zwischen den beiden Volksgruppen, ist oft zu hören. Das will auch der türkische Volksgruppenchef Rauf Denktasch glauben machen. Er, der 1983 seine nur von Ankara völkerrechtlich anerkannte Türkische Republik Nordzypern ausrief, als deren Präsident er sich bezeichnet, widersetzt sich beharrlich allen Bemühungen um eine Wiedervereinigung. Und die Zeit, so schien es zumindest lange, arbeitet für ihn. Beiderseits der Demarkationslinie wuchsen zwei Generationen heran, die von einander wenig wussten und so gut wie keinen Kontakt hatten. Griechisch- und türkisch-zyprische Jugendliche kannten einander fast nur aus den tendenziösen Schulbüchern und den polemischen Propagandareden ihrer Politiker.

Doch jetzt sind es ausgerechnet junge Inselgriechen und Zyperntürken, die den Kontakt suchen - ohne Berührungsängste, unbelastet von den blutigen Konflikten der sechziger Jahre, unbefangen, neugierig und voller Begeisterung. Eigentlich hatten sie ja vor, ihr Jugendfestival im leer stehenden Hotel "Ledra Palace" an der Demarkationslinie in der Inselhauptstadt Nikosia zu veranstalten, aber das Denktasch-Regime hat signalisiert, zu dieser Gelegenheit werde man den dortigen Checkpoint nicht öffnen. Sie haben sich davon nicht einschüchtern lassen, das Fest soll jetzt in einem kleinen Park am Ortsrand von Pyla steigen.

Stundenlang reden sie sich jetzt schon die Köpfe heiß. Ein Turnier mit dem populären Brettspiel Tavli wollen sie organisieren, Rockbands und Folkloretänzer sollen auftreten, ein gemischter griechisch-türkischer Chor soll singen. Ein zehn Meter langes Stofftransparent haben die türkisch-zyprischen Jugendlichen aus dem Norden mitgebracht. Darauf soll jeder Teilnehmer seine Botschaft verewigen können. "Wir wollen keine vorgefertigten Slogans", sagt der junge Levent, "sondern Hunderte von spontanen Sprüchen!" Zum Höhepunkt des Fests wollen sie gemeinsam ein halb griechisch, halb türkisch getextetes Lied singen, Hunderte Ballons aufsteigen und Friedenstauben losfliegen lassen. Mindestens fünf Tauben, so beschließt die Gruppe, sollen jeweils aus dem griechischen Süden und dem türkischen Norden zu dem Festival mitgebracht werden. Und die 16-jährige türkische Zypriotin Tanyel sagt begeistert: "Stellt euch mal vor, wie toll es wäre, wenn die türkischen Tauben nach Süden fliegen würden und die griechischen nach Norden!"

Sie sagt es auf Englisch, denn das ist die Arbeitssprache bei diesem Treffen. Die Zyprer, deren Insel bis 1960 britische Kronkolonie war, beherrschen die Sprache meist gut. Selbst die türkisch-zyprischen Jugendlichen, deren Englischkenntnisse in der Regel etwas schwächer sind, haben keine Redehemmungen. Keine Spur von Scheu ist zu spüren, erst recht keine Feindseligkeit. Griechen und Türken auf Zypern können nicht mehr miteinander auskommen, geschweige denn zusammen leben? In Pyla wird der Beweis des Gegenteils erbracht.

Angefangen hatte es mit ein paar Jugendgruppen, die zum Beispiel die US-amerikanische Fulbright-Stiftung zusammenbrachte. Aber inzwischen gibt es auch einen anderen, direkten Kanal: das Internet. Telefonieren, über die wenigen von den Vereinten Nationen über die Demarkationslinie geschalteten, von beiden Regierungen ständig abgehörten Telefonleitungen? Briefe schreiben, die nie ankommen, obwohl der Empfänger gleich nebenan wohnt? Die jungen Leute lachen. Sie alle haben längst ihre E-mail-Adressen, tauschen Nachrichten aus, chatten stundenlang oder senden gescannte Flugblätter und Fotos. Die Zyperntürkin Tanyel fühlt sich beim Chat im Internet-Café ihren durch Stacheldraht und Panzersperren getrennten griechisch-zyprischen Freunden so nahe, als säßen die am nächsten Tisch. "Das Internet hat diese Grenze obsolet gemacht", sagt der Zyperngrieche Nikos Anastasiou. Eine bedrohliche Perspektive für jene Politiker in Nikosia und Ankara, die so gern die Teilung zementieren würden.

Trotz der optimistischen Stimmung, die die Jugendlichen verbreiten: Treffen wie das in Pyla sind für junge türkische Zyprer wie Tanyel oder Levent immer noch mit großen persönlichen Risiken verbunden. Sie werden von der türkischen Geheimpolizei überwacht, bei der Rückkehr nach Nordzypern mitunter gefilzt und verhört, sie riskieren wegen der offiziell missbilligten Kontakte mit den Griechen Ausgrenzung in der Schule und Konflikte in ihren Familien. Doch das nehmen die Jugendlichen offenbar in Kauf. Vielleicht sind es auch der Reiz des Verbotenen und die Lust an der kleinen Revolte, die Treffen wie das in Pyla so anziehend machen. Der junge Mehmet jedenfalls, ein türkischer Zyprer, hat viel gelernt: "Die griechischen Zyprer sind ganz anders als man uns in der Schule und zu Hause immer erzählt hat." Na und, wie sind sie denn? "Wie wir", sagt Mehmet.

Wie die anderen wirklich sind, werden noch ein paar hundert Jugendliche aus beiden Teilen der Insel am nächsten Wochenende herausfinden - wenn die Denktasch-Regierung den Grenzübergang bei Pyla nicht doch noch schließt. Das Treffen, wenn es denn tatsächlich zu Stande kommt, wäre das erste von Jugendlichen beider Volksgruppen selbst organisierte Festival. Werden die türkisch-zyprischen Jugendlichen anreisen dürfen? Lässt man sie ihre Musikinstrumente und ihre Papiere mitnehmen? "Wir wollen für den Frieden demonstrieren - wenn unsere Regierung das nicht zulässt, ist das auch eine Botschaft", sagt der 17-jährige Zyperntürke Kemal.

Für den Fall, dass die Papiere am Checkpoint beschlagnahmt werden, hat er das Gedicht, das an diesem Sonntag in Pyla auf Türkisch und auf Griechisch vorgetragen werden soll, schon mal auswendig gelernt. Es handelt von einer Möwe, die über die Ägäis fliegt. Ein Fischer fragt sie: "Woher kommst du, aus Griechenland oder der Türkei?" Und sie antwortet: "Welchen Unterschied macht das? Ich komme vom Meer, vom Land, aus der Luft, meine Grenzen sind das Wasser, die Erde und der Himmel."

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