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Panorama: Die wollen doch nur spielen

Der Finne an sich verfügt über eine gehörige Portion Selbstironie – und freut sich über den Sieg der Monsterrocker

Das hätten sich die Monsterrocker der finnischen Band Lordi nicht träumen lassen: Nach ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest wird in ihrer Heimatstadt Rovaniemi ein Platz nach ihnen benannt. Außerdem plant die Stadt, dem Sänger und Bandleader Tomi Putansuu ein Grundstück zu schenken. Die fünf Bandmitglieder, die sich in der Öffentlichkeit nur mit ihren Monstermasken zeigen, sind in Finnland über Nacht zu Volkshelden geworden. Selbst Ministerpräsident Matti Vanhanen sprach von „Helden“. Und das Boulevardblatt „Iltalehti“ titelte einfach nur „Kiitos!“ – „danke“.

Nie zuvor hatte Finnland den Eurovision Song Contest gewonnen. Immer wieder „zero points“ zu erhalten, galt praktisch als nationale Schande. Kritik an der Band mit dem martialischen Auftritt und den Horror-Kostümen sucht man in Helsinki denn auch vergeblich. Hauptsache, die fünf haben den Sieg nach Finnland geholt – und den Wettbewerb im nächsten Jahr gleich mit. „Das ist besser als ein Sieg der Löwen“, sagt der 19-jährige Mikko. Die Löwen – das sind Finnlands eigentliche Helden: die Eishockeyspieler, die bei der WM in Riga Bronze holten.

Für viele Finnen ist es von größter Bedeutung, wie ihr Land von anderen wahrgenommen wird. Das illustriert ein Witz, der seit Jahrzehnten in Finnland kursiert: Ein Amerikaner, ein Franzose und ein Finne treffen einen Elefanten. Der Amerikaner denkt: Ich könnte ihn für zehn Dollar das Kilo verkaufen. Der Franzose denkt: Ich brauche Sahne, Zwiebeln und Knoblauch. Der Finne denkt: Was denkt der Elefant wohl über mich?

Sehr zufrieden konnten die Finnen mit dem Bild, das die anderen Länder Europas von „Suomi“ haben, bisher nicht sein. Auch in Deutschland prägten lange die immer gleichen Stereotype das Bild der Nachbarn im Norden: Die Finnen waren vor allem bekannt dafür, dass sie viel trinken, gern in die Sauna gehen und eine besonders hohe Selbstmordrate haben.

Umso größer das Erstaunen, als ausgerechnet Finnlands Schüler beim Pisa-Test siegten. Auch in anderen internationalen Vergleichen landet Finnland immer wieder auf vordersten Plätzen: bei der Wettbewerbsfähigkeit etwa oder der Transparenz in öffentlichen Verwaltungen. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat Finnland einen tief greifenden Wandel durchgemacht, dessen Folgen bis heute zu sehen sind: Aus dem früheren Agrarland wurde eine moderne Dienstleistungsgesellschaft, die international mithalten kann. Aus einer kleinen Firma, die für ihre Gummistiefel bekannt war, wurde der Handykonzern Nokia.

Dieser rasche Wandel ist auch das Ergebnis einer schweren Krise: In der Rezession Anfang der 90er Jahre, die Finnland nach dem Zerfall der Sowjetunion besonders hart getroffen hatte, entschied die Regierung, Innovationen, Forschung und Entwicklung zu fördern. Das Land sollte eine Wissensgesellschaft werden – eine Debatte, die in Deutschland erst viel später einsetzte. Und auch die Bürger zogen mit: Die Finnen zeigten sich aufgeschlossener für Neues als andere Nationen in Europa. Als das Handy in Deutschland noch verpönt war, nutzten die Menschen in Helsinki ihr „kännykkä“ schon ganz selbstverständlich. Ebenso ist es in Finnland längst eine Selbstverständlichkeit, dass Mütter arbeiten, Betreuung flexibel ist und Kindergärten nicht nur der Aufbewahrung der Kleinen dienen.

Im Ausland dagegen fallen vor allem die Merkwürdigkeiten auf – Wettbewerbe im Frauentragen etwa oder im Handyweitwurf. Dabei bleibt oft unbeachtet, dass hinter diesen skurrilen Geschichten sehr viel Selbstironie steckt. Und Selbstironie braucht auch, wer als Monster verkleidete Heavy-Metal-Sänger zu einem Schlagerfestival schickt. „Die Finnen sind schlecht darin, sich selbst zu vermarkten, aber dieses Mal verlief die Vermarktung wie aus dem Lehrbuch“, kommentierte die Zeitung „Helsingin Sanomat“.

Einen großen Empfang bereiteten die Finnen ihren neuen Helden allerdings zunächst nicht. Lordi kam am Sonntagabend in aller Stille in Finnland an.Putansuu hatte die Medien gebeten, die Bandmitglieder erst einmal in Frieden zu lassen. Sie wollten nach Hause – und in die Sauna.

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