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Panorama: Eine zwölfjähriger Junge konnte lebend gerettet werden - bisher 50 Tote

Es sind dieselben Bilder wie vor drei Wochen in der Türkei. Nur, dass die Menschen aus der Athener Vorstadt Metamorphosis die Suche nach den Überlebenden einer Erdbeben-Katastrophe nicht mehr im Fernsehen erleben, sondern vor der eigenen Haustür.

Es sind dieselben Bilder wie vor drei Wochen in der Türkei. Nur, dass die Menschen aus der Athener Vorstadt Metamorphosis die Suche nach den Überlebenden einer Erdbeben-Katastrophe nicht mehr im Fernsehen erleben, sondern vor der eigenen Haustür. Oder dem, was davon übrig geblieben ist. An einer Straßenecke befindet sich der zwölfjährige Tzanis unter einem Trümmerberg, der am Dienstagmorgen noch ein vierstöckiges Haus war. Von tief unten dringt seine Stimme nach oben. "Bringt mir einige Werkzeuge, damit ich hier rauskomme." Die Rettungsmannschaften haben schon einen zwölf Meter langen Tunnel gegraben. Aber erreicht haben sie Tzanis bis zum Mittwochmittag, fast 24 Stunden nach dem Beben, immer noch nicht.

Die 20 Männer von der Feuerwehr und der Emak, der griechischen Sondereinsatztruppe für Katastrophenfälle, graben sich von vier Seiten an den Jungen heran. Ebensoviele Freiwillige helfen ihnen dabei. Die meisten tragen Handschuhe und gegen den Staub ein Tuch vor dem Hund. Die ersten Stunden nach dem Beben um 13.56 MESZ, das eine Stärke von 5,9 auf der Richterskala hatte, waren die schlimmsten. "Das war ein schreckliches Chaos", erzählt Thomas, einer der freiwilligen Helfer. "Drei Polizisten haben uns unterstützt, doch weder Feuerwehr noch Ärzte waren zur Stelle." Aber vor allem fehlte es an Suchhunden. "Wir hätten an so vielen Orten zugleich sein müssen" rechtfertigt sich ein Feuerwehrmann. "So viele Hunde haben wir einfach nicht."

In der Nacht gab es dann ein neues Problem. Damit die Helfer überhaupt etwas sehen konnten, kamen große Suchscheinwerfer zum Einsatz. Im Schein des künstlichen Lichts waren dann Schuhe, ein Kinderstuhl, ein Spielzeug zu sichten. Aber der Lärm der Scheinwerfermotoren war so laut, dass die Hilferufe der Verschütteten nicht mehr zu hören waren. Also wurden die Motoren wieder ausgestellt, und dann war wieder nichts mehr zu erkennen.

Bislang wurden mehr als 50 Tote geborgen. Solange die Verschütteten noch nicht tot geborgen sind, klammern sich viele an das letzte bisschen Hoffnung. Und manchmal haben sie Glück. Wie die Mutter von Tzanis. Kurz nach Mittag tauchen in Metamorphosis die Helfer mit dem Zwölfjährigen auf einer Trage aus ihrem Tunnel auf. Zwischen Heizung und Waschmaschine haben sie ihn unter einer Betonplatte herausgezogen. Das rechte Bein war eingeklemmt und ist vermutlich gebrochen. Aber sonst geht es Tzanis gut. Die Mutter, die bei dem Beben nicht zu Hause war, schließt ihn in die Arme. Ihr Ehemann, der Vater von Tzanis, ist tot.

Einige Straßenecken weiter, an einem anderen Trümmerberg, suchen die Suchmannschaften weiterhin fieberhaft. Vier Tote sind dort zu beklagen. Darunter ein Großvater, der wenigstens seinen zweijährigen Enkel retten konnte, indem er den Kleinen bei den ersten Erschütterungen an sich drückte. Mehrere Hausbewohner werden noch vermisst. Immer wieder bitten die Bergungsmannschaften die wartende Menschenmenge um einige Momente völliger Stille, um nach Hilferufen zu lauschen. Die Menge gehorcht sofort. Aber nichts ist zu hören, kein einziger Laut.

Und immer wieder bebt die Erde. Über 800 Nachbeben wurden gezählt. Viele von ihnen sind von jenem unheimlichen, dumpfen Brausen und Rumpeln begleitet, das tief aus der Erde zu kommen scheint, für Sekunden anschwillt, die Wände in Schwingungen versetzt - und dann wieder verebbt. Jeder dieser Erdstöße jagt den Menschen neue Angst ein, läßt sie aufschrecken, erstarren. Geht es wieder los? Nein, das war nur ein vorbeifahrender Lastwagen.

Wer das Gerücht in Umlauf gesetzt hatte, weiss man nicht, aber am Mittmochmittag verbreitete es sich in Athen wie ein Lauffeuer: ein noch stärkeres, noch verheerenderes Erdbeben als das vom Vortag stehe unmittelbar bevor. Wieder verließen zahllose Menschen ihre Wohnungen und suchten Zuflucht im Freien.

Versöhnliche Töne der Türkei

Die Rivalitäten zwischen der Türkei und Griechenland scheinen sich im Schatten der jüngsten Naturkatastrophen in beiden Staaten zu verwischen. Bereits nach dem verheerenden Erdbeben am 17. August, bei dem nach amtlichen Angaben mehr als 15 300 Menschen ums Leben kamen, hatten viele Griechen mit Anrufen und Blutspenden ihre Solidarität mit dem Nachbarvolk bekundet.

Die Antwort der türkischen Regierung und Bevölkerung folgt nun in Form einer Welle der Hilfsbereitschaft nach dem Beben, das Athen am Dienstag erschütterte. Auch der türkische Gesundheitsminister Osman Durmus, der sich nach dem türkischen Beben gegen jegliche ausländische und vor allem griechische Hilfe ausgesprochen und deshalb heftige Kritik ertragen musste, schlägt nun versöhnliche Töne an.

"Mitglieder meines Ministeriums und ich sind persönlich bereit, nach Athen zu kommen und direkt vor Ort mitzuhelfen", schrieb Durmus, Mitglied der rechtsgerichteten Wohlfahrtspartei, seinem griechischen Kollegen Lambros Papadimos. "Wenn es etwas gibt, was ich tun kann, stehe ich Ihnen zur Verfügung", so der Minister.

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