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Panorama: „Einen Schritt weiter“

Impfstoff gegen Aids: Der erste deutsche Test beginnt. Experten sehen gute Chancen für einen Erfolg – in acht Jahren

Erstmals beteiligen sich Wissenschaftler in Deutschland an der Suche nach einem Impfstoff gegen Aids. Sie kündigten am gestrigen Dienstag Tests mit einer in den USA entwickelten Substanz an, die von den Universitätskliniken in Hamburg und Bonn getragen werden. Damit ist Deutschland neben den USA und Belgien gleichberechtigter Partner bei dieser Studie – obwohl hierzulande zu Aids bisher wenig geforscht wurde. Experten sehen gute Chancen, dass am Ende der achtjährigen Erprobungsphase ein wirksamer Impfstoff gegen das Immunschwächevirus HIV, den Aids-Erreger, zur Verfügung stehen könnte. Bisher abgeschlossene Tests mit Aids-Impfstoffen schlugen sämtlich fehl.

Der jetzt erprobte Impfstoff zeigte im Tierversuch gute Resultate. „Keiner der acht geimpften Affen starb, doch drei der acht ungeimpften Tieren erlagen der Viruskrankheit“, sagte der deutsche Studienleiter der Testreihe, Jan van Lunzen, dem Tagesspiegel. Dies mache ihn „relativ zuversichtlich“,

Nun soll in einer ersten Testphase an insgesamt 50 Freiwilligen in Deutschland und in Belgien die Verträglichkeit des Stoffes beim Menschen geprüft werden. Doch bevor man überhaupt einschätzen kann, ob das Medikament wirksam ist gegen die Ansteckung mit dem Aids-Erreger, braucht es viel Geduld. Denn bis zur Marktreife muss die Substanz drei lange Testphasen durchlaufen. Bei dem nun anlaufenden deutschen Test dürfte das mindestens acht Jahre dauern.

Täglich 14000 Aids-Infektionen

Weltweit befänden sich etwa 20 verschiedene Impfstoffe in verschiedenen Stadien der Erprobung, sagt van Lunzen. „Wir suchen nach den besten drei bis fünf Substanzen.“ Mit der neuen Studie in Deutschland führe man die Welt einen Schritt näher an einen Impfstoff heran, der Aids besiegen wird, gibt sich der Forscher optimistisch.

Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs sei jetzt höher als bei den Impfstoffen, die man derzeit in der Endphase weltweit teste, sagt auch Ulrich Marcus, Aids-Experte am Berliner Robert-Koch-Institut. „Denn deren Erprobung begann schon vor 15 Jahren, aber viele der damaligen Annahmen sind längst wissenschaftlich überholt.“

In den jetzigen Tests erproben die Forscher einen Impfstoff gegen das Aidsvirus Typ C, das sich vor allem in Asien und Afrika schnell verbreitet. In Europa und den USA grassiert der Typ B, gegen den der jetzt getestete Impfstoff nicht schützen würde. Warum dann also Typ C? „Sollte es der Impfstoff tatsächlich bis in die letzte Phase schaffen, dann ist es beim Typ C einfacher, die dann nötigen mehreren tausend Probanden in Afrika und Asien zu finden“, sagt Marcus. Denn das Virus verbreite sich dort sehr schnell.

Durch einen Erfolg hofft man auch auf Hinweise für einen Impfstoff auch gegen den Virus-Typ B. Derzeit stecken sich jährlich etwa 2000 Menschen in Deutschland mit HIV an – weltweit sind es täglich 14 000.

Die Studie beginnt mit der Phase 1, die nach Angaben der Forscher etwa ein Jahr dauern soll. Den Freiwilligen, die negativ HIV-getestet sein müssen, wird die Substanz verabreicht, um zunächst die Verträglichkeit und die Sicherheit des Impfstoffes zu klären. Der Stoff enthält keine vollständigen Viren, sondern nur einzelne Bestandteile. „Eine Infektion mit HIV ist also unmöglich“, sagt van Lunzen.

Allen Versuchspersonen werden ständig Blutproben entnommen, um zu erforschen, ob das Immunsystem Abwehrstoffe (Antikörper) bildet. Erst dann geht der Test in die zweite Phase, in der der Stoff an Personen mit größerem Aids-Risiko getestet wird.

Und schließlich folgt Phase drei mit bis zu 5000 Teilnehmern direkt in den Risikoländern, die zum Teil den Wirkstoff und zum Teil ein unwirksames Placebo erhalten. Weder Versuchsleiter noch Probanden erfahren, wer welches Mittel erhalten hat. Die Forscher wählen dazu meist Risiko-Gruppen, bei bisherigen Versuchen waren das etwa Drogenabhängige in Asien.

Die Forscher stehen dann vor einem ethischen Problem: Natürlich darf niemand wissentlich mit HIV infiziert werden, um die Wirkung des Impfstoffes zu prüfen. Die Probanden in der Phase 3 werden über die HIV-Gefahren aufgeklärt, zugleich bauen die Wissenschaftler aber darauf, dass sich einige Versuchspersonen in den folgenden Jahren trotzdem mit dem Virus infizieren. Wird bei einem Probanden eine Infektion festgestellt, wird er ständig untersucht, wie stark sich HIV in dessen Körper ausbreitet. Im Idealfall gibt es in diesem Fall Unterschiede zwischen den Geimpften und denjenigen, die ein Placebo erhalten haben.

Forscher warten auf Infektionen

Der aktuelle Test gibt den deutschen Wissenschaftlern die Chance, sich an der weltweiten Aids-Forschung zu beteiligen. Denn es gibt nur wenige große Pharmakonzerne, die in die Suche nach Aids-Impfstoffen investieren – deutsche Firmen sind nach Angaben des Robert-Koch-Institutes nicht darunter. Der Grund für die Zurückhaltung sei unter anderem, dass die Entwicklung von Impfstoffen einen riesigen Aufwand mit unwägbarem Ausgang bedeute. Deshalb sei die Beteiligung an den jetzigen Tests auch so wichtig für die hiesigen Wissenschaftler – „um nicht ganz den Anschluss an die internationale Forschung zu verlieren", sagt Marcus.

Allerdings ist es in der Aids-Forschergemeinde umstritten, ob es überhaupt jemals einen wirksamen Aids-Impfstoff geben kann. Im Gegensatz zu anderen Krankheitserregern greift HIV das Immunsystem direkt an – also genau jene Zellen, die durch den Impfstoff eigentlich angeregt werden sollen. Darüber hinaus ist das Virus extrem wandelbar und deshalb schwer zu fassen. Bisher gibt es keinen einzigen beim Menschen gegen Aids erfolgreichen Impfstoff, auch wenn in Tierversuchen einige Substanzen auf einen Erfolg hoffen ließen. „Aber Tiermodelle lassen sich eben nicht auf den Menschen übertragen“, sagt der Aids-Experte Marcus.

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