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Fisch macht schlank, verzögert Altern, lindert Herzprobleme und Demenz.

© IMAGO

Gesunde Ernährung: Esst mehr Eiweiß!

Forscher haben einen entscheidenden Faktor gefunden, der das Gewicht bestimmt. Es ist die "Proteinverdünnung", die dick macht. Warum das so ist, und was man tun kann.

Von Andreas Oswald

Menschen und Tiere essen so lange, bis ihr Hunger nach Eiweiß gestillt ist. Enthält die Nahrung einen hohen Anteil an Proteinen, hören sie früher auf zu essen, als wenn der Proteinanteil niedrig ist. Wenn der Hunger nach Eiweiß gestillt ist, kann es also sein, dass der Mensch viele Kohlenhydrate und Fette mitgegessen hat oder wenige.

In dieser Erkenntnis, die in der jüngeren Vergangenheit durch zahlreiche Studien belegt wurde, liegt möglicherweise der Schlüssel für die meisten Gewichtsprobleme. Dieser Zusammenhang ist bisher wenig bekannt. Es ist unter anderem das Verdienst des Wissenschaftsautors Bas Kast, mit seinem Bestseller „Der Ernährungskompass“ das Thema in den Fokus gerückt zu haben.

Der ehemalige Tagesspiegel-Redakteur weist darauf hin, dass offizielle Stellen wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung immer noch an problematischen Annahmen festhalten, dem Dogma etwa, wonach eine Kalorie stets eine Kalorie sei, egal von welchem Lebensmittel sie stammt. Was aber die Sättigung betrifft, ist dies offensichtlich nicht der Fall: Protein sättigt pro Kalorie eindeutig besser.

Wie eine Studentin den ersten Test im Chalet der Eltern machte

Professor David Raubenheimer von der Universität Sydney war zusammen mit seinem Kollegen Stephen Simpson der Erste, der das Phänomen an Insekten feststellte. Eine ihrer Studentinnen machte daraufhin einen Test. Sie lud zehn Freunde ins Chalet ihrer Eltern in der Schweiz ein. Alle durften essen, soviel sie wollten und bekamen keinerlei Vorgaben. Die Hälfte bekam proteinreiche Kost, die andere Hälfte proteinarme. Die erste Gruppe nahm spontan 38 Prozent weniger Kalorien zu sich als vorher, die andere Gruppe 35 Prozent mehr. Alle hatten unbewusst ihre Proteinzufuhr konstant gehalten, nur dass die eine Gruppe viel mehr Kohlehydrate mitessen musste um das Proteinlevel zu erreichen, die andere Gruppe weniger. Daraufhin stiegen zahlreiche weitere Forscher auf das Thema ein, inzwischen gibt es 38 Studien, die den Befund bestätigen.

„Wir überfressen uns an Fetten und Kohlenhydraten auf der Suche nach Protein“, schreibt Bas Kast. Der Körper könne Proteine nicht mit der gleichen Effizienz speichern wie Fett und Kohlenhydrate. Deshalb haben Proteine beim Hunger Vorrang.

Ein wichtiges Thema ist dabei die sogenannte Proteinverdünnung unserer Nahrung. Hier geht es vor allem um verarbeitete Lebensmittel. Sie enthalten oft sehr viel Fett oder Zucker oder beides, was dazu führt, dass der Proteinanteil „verdünnt“ wird. Raubenheimer und andere halten die Proteinverdünnung verarbeiteter Lebensmittel für eine der Hauptursachen des Fettleibigkeitsproblems auf der ganzen Welt. Ganz im Gegensatz zu der bisher vorherrschenden Meinung, dass Fett das Hauptproblem sei (bestimmte Fette wie die berühmten Omega-3-Fettsäuren in fettigem Fisch, wie Lachs, Hering und Forelle, helfen sogar nachweisbar beim Abnehmen, unter anderem, indem sie schädlichen Entzündungsprozessen im Körper entgegenwirken).

Raubenheimer hält es angesichts des weltweiten Problems für wichtig, dass auch die Lebensmittelindustrie in die Pflicht genommen wird, die vorhandenen Erkenntnisse zu nutzen und gesünderes Essen zu produzieren. "Wenn die Technologie fähig war, Lebensmittel so zu verarbeiten, dass jahrtausendealte Ernährungsgewohnheiten verschwinden, sollte sie auch in der Lage sein, verarbeitete Lebensmittel zu entwickeln, die gesund sind", sagte Raubenheimer dem Tagesspiegel.

Woran Diäten scheitern

Alle Kampagnen gegen Fett konnten nicht verhindern, dass das Fettleibigkeitsproblem auf der Welt immer größer wurde. Es gibt sogar Anzeichen dafür, dass mit dem Low-Fat-Kult die Übergewichtsepidemie, mit der wir es heute zu tun haben, erst so richtig in Fahrt kam. Dabei sind es vor allem ärmere Schichten, die billige verarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen. Wertvolle Proteine sind teurer.

Was ist die Lösung? Die meisten Diäten scheitern daran, dass die Menschen weniger essen und hungrig ins Bett gehen müssen. Das hält kaum jemand durch. „Unsere Forschungen zeigen, dass es effektiv ist, den Proteinanteil der Nahrung zu erhöhen, weil dadurch der Appetit mit einer insgesamt niedrigeren Energieaufnahme gestillt wird“, sagte Raubenheimer dem Tagesspiegel. Er verweist darauf, dass auch Ballaststoffe den Hunger stillen. Wer hauptsächlich unverarbeitete Nahrung zu sich nehme mit höherem Protein- und Ballaststoffanteil, dessen „Hunger erledigt den Rest“.

Die Sache hat einen Haken. Tierische Proteine vom Schwein und Rind verstärken den Alterungsprozess sowie damit einhergehende Krankheiten. Dieser schädliche Effekt verschwindet allerdings mit 65 Jahren.

Fisch, Joghurt und Olivenöl machen schlank und helfen gegen Herzkrankheiten und Demenz

Es gibt zudem Ausnahmen: Fisch und Joghurt. Bas Kast, der in seinem Buch die neuesten Forschungsergebnisse mitteilt, empfiehlt ein bis zwei Mal in der Woche fettigen Fisch sowie eine Portion Joghurt am Tag, der nicht zuletzt wegen der Milchsäurebakterien einen heilsamen Effekt auf die Darmflora ausübt. Beide Nahrungsmittel verzögern den Alterungsprozess und damit verbundene Leiden wie Herzerkrankungen und Demenz und helfen nachweisbar beim Abnehmen. Dasselbe gilt auch für kalt gepresstes Olivenöl (zwei bis vier Esslöffel am Tag) und Nüsse.

Aber wie kann man den höheren Proteinbedarf decken, wenn man unter 65 Jahre alt ist und eher weniger Fleisch essen soll? Neben Fisch und Joghurt, die viel Eiweiß enthalten, zählt Bas Kast äußerst gesunde pflanzliche Eiweißquellen auf: Gemüse, vor allem Brokkoli, aber auch Spinat, Spargel, Blumenkohl, Rosenkohl und viele andere Gemüsesorten.

Kartoffeln und Weißbrot sind die Dickmacher

Außerdem Hülsenfrüchte: Bohnen aller Art – Salat aus weißen Bohnen beispielsweise –, Linsen, Kichererbsen, dann auch Getreideprodukte, wie Bulgur. Sie ersetzen hervorragend die eiweißarme Kartoffel. Die ist einer der Hauptdickmacher, vermutlich, weil sie den Blutzuckerspiegel allzu rasant steigen lässt. Vor allem von Pommes und Kartoffelchips rät Bas Kast ab, wie von allem Frittierten.

Weitere empfehlenswerte Eiweißquellen sind Leinsamen, der knackig auf Joghurt schmeckt, sowie Weizenkeime, Vollkornhaferflocken, die zwar viele Kohlehydrate enthalten, aber langsamer verdaut werden und sich zudem durch einen hohen Eiweißanteil auszeichnen. Ganz auf Kohlehyrate soll der Mensch nicht verzichten, Extremdiäten wie Atkins scheitern überwiegend, jedenfalls langfristig. Vollkornbrot hat einen höheren Proteingehalt, im Gegensatz zu Weißbrot und allem, was mit Weißmehl gebacken wird. Wer sich von den Gerichten inspirieren lässt, die Bas Kast in seinem Buch vorstellt, bekommt Appetit. Es scheint wie ein Wunder zu sein, dass es einen Weg gibt, sich gesünder zu ernähren, ohne hungern zu müssen. Und ohne auf den Genuss zu verzichten.

Bas Kast, „Der Ernährungskompass“, C.Bertelsmann, 20 Euro.

Professor David Raubenheimer bereitet mit weiteren Forschern gerade ein Buch vor mit dem Arbeitstitel “The Five Appetites”.

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